Eine Seniorin, die mit einem Küchenmesser eine Bank überfällt, ein Jungpianist, der Ferien in der fremdenfeindlichen Provinz macht und Eheleute, die liebend zusammenhalten, obwohl die Welt um sie herum zusammenbricht. Das sind die markanten Fußabdrücke, die die Pandemie beim 32. Cottbuser Festival für osteuropäische Filme hinterlassen hat. Die Isolation während der Coronazeit hat viele Regisseure dazu gebracht, ihr Leben zu reflektieren und dabei eher persönliche als globale Geschichten zu erzählen.
Der kroatisch-slowenische Siegerbeitrag des Wettbewerbs Spielfilm folgt diesem Muster. Sehr schmerzhaft und privat sind die Erlebnisse, die Regisseur Juraj Lerotic in seinem autobiografischen Werk „Safe Place“ verarbeitet und in dem er die Zuschauer mitfühlen lässt – bis zum dramatischen Schluss. Die Festivaljury hat ihm den mit 25.000 Euro dotierten Hauptpreis verliehen – „für den Mut, sich nicht nur als Autor zu offenbaren, sondern auch seine Seele zu enthüllen, in diesem Film über die bedingungslose Liebe zu den Nahestehenden.“
Lerotic brilliert als Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller. „Ich hätte nicht akzeptieren können, wie jemand anderes den großen Bruder spielt“, gibt er in Cottbus zu. Denn er erzählt die Geschichte seines jüngeren Bruders, der an den Folgen eines Selbstmordversuchs starb. Wie aus dem Nichts entstehen bei Damir (Goran Markovic) plötzlich Ängste. Er glaubt, er sei der Teufel selbst. Sein erster Suizidversuch wird leider wird nicht der letzte sein ... Und so begleiten die Zuschauer Damirs älteren Bruder Bruno (Juraj Lerotic) und die Mutter (Snjezana Sinovcic Siskov) dabei, wie sie Damir bedingungslos unterstützen und sich auf eine Odyssee durch das wenig empathische, menschenfeindliche Hilfe-System begeben.

Viel Stoff für Diskussionen

Juraj Lerotic punktet nicht mit lautem Kanonenfeuer. Der Film ist leise und damit genial: Ohne Musik, nur von Geräuschen gestützt, mutet der Beitrag eher dokumentarisch an. Die Kamera, immer dicht bei den Protagonisten, hört Gespräche im Flüsterton mit und teilt die Ängste von Brüdern und Mutter. Lerotic erklärt: „Ich möchte damit eine Debatte anstoßen über den Umgang mit Menschen mit psychischen Erkrankungen.“ In Cottbus haben die Diskussionen bereits begonnen.
Viel Gesprächsstoff lieferte auch der polnische Beitrag „Bread & Salt“, der mit dem Spezialpreis für die beste Regie mit 7.500 Euro plus den Dialog-Preis für die Verständigung zwischen den Kulturen ausgezeichnet wurde. In seinem Spielfilmdebüt mischt Damian Kocur, der mit Laiendarstellern arbeitet und mit seinen Kurzfilmen viele Preise abgeräumt hat, in gewohnter Manier Fiktion und Realität. Dabei hängt sich die Kamera an zwei Brüder, mit denen der Regisseur aufgewachsen ist. Beide spielen Klavier, der ältere, Tymek, studiert in Warschau und wird bald nach Düsseldorf gehen. Jacek hat auch viel Talent. Doch rappen, kiffen und mit den Leuten von früher abzuhängen steht bei ihm höher im Kurs.
Den Sommer verbringen die Brüder mit Gleichaltrigen in der Provinz, wo sie aufgewachsen sind. Die neueste Attraktion: Ein Kebab-Laden, in dem die Truppe immer wieder zum Essen stoppt. Dabei ist es fast schon ein Ritual, zu stänkern und sich mit den arabischen Angestellten anzulegen. Was Gewalt ist und wie es sich anfühlt, sich daran zu beteiligen, ist für Damian Kocur der Dreh- und Angelpunkt des Films.

Wie lebt man mit Gewalt?

Alltagsgewalt, latenter Rassismus und das Gesetz des Stärkeren beherrschen das Geschehen: Wenn alle zum Badesee gehen, ein testosterongesteuertes Großmaul fast einen Kumpel ertränkt, geschieht das fast nebenbei. Schließlich sieht der Heranwachsende mit der dunklen Haut fast aus „wie ein Zigeuner“. Und braucht deshalb eben ab und an aufs Maul. Für die Jugend ist das ganz normal. Merkwürdig ist nur, das Thymek, der in der Hauptstadt lebt und sich, wenn er allein ist, interessiert mit den Arabern unterhält, niemals eingreift. Er lässt sich treiben und macht einfach mit. Und ganz allmählich mischt sich Angst in die unbeschwerte Sommerzeit. Denn die Mitarbeiter der Dönerbude sind angespannt. Und die Jugend kennt bald keine Grenzen mehr …
Zu Ende geht damit ein Festival-Jahrgang, der viele aktuelle düstere Themen – oft aus persönlichen Perspektiven – auf die Leinwand gebracht hat. So auch in dem rumänischen Beitrag „Men of Deeds“, für den Iulian Postelnicu mit dem mit 5000 Euro dotierten Preis für eine herausragende darstellerische Einzelleistung ausgezeichnet wurde. Die Herzen des Publikums hat indes ein universelles Thema erobert: Um Freundschaft und Rivalität geht es in dem tschechischen Film „The last Race“ von Tomas Hodan. Das Drama beschreibt ein Skirennen im Jahr 1913 im Riesengebirge, bei dem es plötzlich nicht mehr um den Sieg geht, sondern um Leben und Tod.