An diesem speziellen Samstag kann Matthias Grünert den Faktor Zufall gar nicht gebrauchen. Er kommt am 9. September 2023 mittags in Bernsdorf an, schnappt sich die passenden Noten aus dem Kofferraum, erfüllt den Raum mit Orgelmusik und zieht weiter. Der Kantor der Dresdner Frauenkirche stellt sich einer neuen Herausforderung: Der 49-Jährige bespielt beim Lausitzer Orgelmarathon sieben verschiedene Orgeln innerhalb von sechs Stunden.
Es ist alles minutiös geplant: „Für diesen Tag habe ich eine Umzugskiste mit Noten gepackt“, sagt Matthias Grünert. Diese bekommt ihren Platz im Kofferraum. Vor jeder weiteren Kirche zieht er den passenden Umschlag mit den vorgesehenen Stücken aus der Umzugskiste. Damit es nicht zu einfach ist: In jeder der sieben Kirchen spielt der Organist etwas anderes. Sonst wäre solch ein Orgelmarathon für ihn womöglich zu einfach. „Es passt nicht jedes Stück zu jeder Orgel“, sagt er und lacht. Das ist seine Art von Nervenkitzel.
Wobei: Solch ein Orgelmarathon ist für den Sohn eines Kirchenmusikerehepaars schon fast ein schöner Ausgleich zum Alltag. Neue Orte, neue Orgeln, neue Leute: Was andere eventuell für Stress halten könnten, ist für Matthias Grünert Spaß. Wobei: Nur Spaß ist es auch nicht.

Kantor Grünert prägt die Musik in der Frauenkirche

Ein Stück Ernsthaftigkeit ist auch dabei. Immerhin hat der 49-jährige Franke einen Ruf zu verlieren. Seine Vita lässt aufhorchen: Im Jahr 2004 wird er erster Kantor der Dresdner Frauenkirche – und ist es bis heute. Wo Gäste ehrfurchtsvoll entlang wandeln, ist Grünerts Arbeitsplatz. Er gründet Chor und Kammerchor der Frauenkirche und etabliert diese weit über die Grenzen Sachsens hinaus. Auch als Dirigent ist der Musiker aktiv – nicht nur in Cottbus, Chemnitz und Mannheim. Ihn führt es unter anderem nach Japan, Belgien, Island und Frankreich.
Der Orgel-Marathon startet in der Johanneskirche in Bernsdorf. Sie ist im Jahr 1905 erbaut worden.
Der Orgel-Marathon startet in der Johanneskirche in Bernsdorf. Sie ist im Jahr 1905 erbaut worden.
© Foto: Sascha Klein
Und jetzt Bernsdorf, Hohenbocka, Hosena, Lauta Dorf, Lauta, Laubusch und Schwarzkollm: Wieso sind es eigentlich gerade diese sieben Orgeln in den jeweiligen Kirchen? „Pfarrer Gerd Simmank war im Gottesdienst in der Frauenkirche. Wir haben uns anschließend getroffen. Aus unserem Gespräch ist diese schöne Idee entstanden“, sagt Matthias Grünert.

Jede Orgel kann beim Marathon zur Überraschung werden

Wer glaubt, der 49-Jährige hätte daraufhin alle betreffenden Orgeln inspiziert, zur Probe gespielt und genau hingehört, wie sie klingen, der irrt. Grünert geht voll auf Risiko. Er spielt sie ohne vorhergehende Probe, sondern verlässt sich auf das Urteil des Pfarrers. Die Orgeln stehen zur Verfügung, sind gestimmt – fertig. Grünert kennt die Fabrikate und kann daraus ableiten, welche Stücke geeignet sind.
Die Magdalenenkirche in Hohenbocka ist 1408 erbaut worden. Sie ist eine der Orgel-Konzert-Stationen.
Die Magdalenenkirche in Hohenbocka ist 1408 erbaut worden. Sie ist eine der Orgel-Konzert-Stationen.
© Foto: Sascha Klein

Kondition für das Orgel-Konzert ist ausreichend vorhanden

Matthias Grünert scheut die Herausforderung nicht. Privat zieht es ihn in die Berge. Es ist gerne auf 3000ern unterwegs. Das ist sein sportlicher Ehrgeiz. Einen musikalischen Ehrgeiz entwickelt er gerne bei Mammutkonzerten wie demnächst in der Lausitz. „Konditionell ist das kein Problem“, sagt er. Es klingt fast so, als könnte er auch zehn Orgeln in neun Stunden spielen. Doch er schränkt ein: „Wenn eine Orgel sehr schwergängig ist, macht das auf die Dauer schon muskuläre Probleme in den Schultern.“

Frauenkirchen-Kantor spielt gerne auf dem Land

Von Schmerzen geht Matthias Grünert bei seinen Konzerten in den Regionen Hoyerswerda und Senftenberg allerdings nicht aus – eher von Freude und Spaß. Doch ist es nicht trotzdem Hetzerei, wenn man sieben Konzerte hintereinander an verschiedenen Orten spielt? Grünert verneint. „Es macht mir Spaß. In Dorfkirchen ist man viel näher an den Menschen dran. Manchmal ist das Publikum nur zwei oder drei Meter entfernt.“ Da störe es auch nicht, wenn Bänke knarren oder jemand im Publikum plötzlich hustet. In der Frauenkirche hat er durch die Größe des Gotteshauses nicht so engen Kontakt zu den Gästen.
Die Marienkirche in Schwarzkollm, einem Ortsteil von Hoyerswerda, ist die letzte Station vom Orgel-Marathon am 9.September 2023.
Die Marienkirche in Schwarzkollm, einem Ortsteil von Hoyerswerda, ist die letzte Station vom Orgel-Marathon am 9.September 2023.
© Foto: Sascha Klein
Also stürzt sich der Frauenkirchen-Kantor gerne ins Getümmel in den kleinen Kirchen auf den Dörfern. Ganz unbekannt ist ihm das nicht. Er hat schon öfter Orgelmarathons gespielt. Eine gewisse Routine ist bereits vorhanden. „Ich habe ein Team im Erzgebirge und eines in Saalfeld, wo ich solche Aktionen öfter einmal mache“, sagt der 49-Jährige. Auch im Lausitzer Oberland hat er bereits in die Tasten gegriffen.

Ein Problem für den Orgel-Marathon in der Lausitz

Die größte Gefahr ist eigentlich die Strecke zwischen den Kirchen. „Aber da vertraue ich auf den Pfarrer vor Ort. Er kennt die Wege schließlich am besten“, sagt Grünert. Das heißt: Der Pfarrer lenkt und der Organist entspannt zwischendurch Finger und Füße im Auto. Die größte Gefahr, dass der Zeitplan durcheinander gerät, besteht kurz vor 15 Uhr: Dann müssen die Protagonisten die Bahnlinie in Hosena kreuzen – wenige hundert Meter weiter ist die Kirche. Auch zum Schluss könnte die Bahnstrecke Spielverderber sein. Denn auch zwischen Laubusch und Schwarzkollm drohen geschlossene Schranken.

Orgel-Marathon in der Lausitz am 9. September 2023

● Am Samstag, 9. September 2023, ist der Kantor der Dresdner Frauenkirche, Matthias Grünert, zum Orgelmarathon in der Region Hoyerswerda und Senftenberg.
● Der Eintritt zu den Konzerten ist jeweils frei. Ein Beitrag für die Kollekte ist jedoch erbeten.
● In diesen Kirchen ist Matthias Grünert zu Gast:
► 13 Uhr: Bernsdorf, Johanneskirche (Dresdener Straße 4)
► 14 Uhr: Hohenbocka, Magdalenenkirche (Dorfaue)
► 15 Uhr: Hosena, Christuskirche (Goethestraße 1a)
► 16 Uhr: Lauta Dorf, Laurentiuskirche (Dorfstraße 9)
► 17 Uhr: Lauta, Stadtkirche / Kulturkirche (Nordstraße 18)
► 18 Uhr: Laubusch, Barbarakirche (Am Markt 8)
► 19 Uhr: Schwarzkollm, Marienkirche (Dorfstraße Ecke Kubitzbergweg)