Anfang Dezember 1989 war es dann so weit. In der Redaktion der Lausitzer Rundschau hatte sich die Auffassung manifestiert, dass man eine neue Führungsriege braucht. Vorschläge wurden gesammelt, eine Wahl angesetzt. Hört sich einfacher an, als es war.
Noch immer fungierte die Bezirksleitung Cottbus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) als Herausgeber und versuchte, nach wie vor, ihren Einfluss geltend zu machen. Und Einigkeit herrschte auch in der Redaktion mitnichten.
LR-Redaktion wählte neuen Chefredakteur
Aber tatsächlich: Die Redaktion wählte ihre Chefs selbst! Gab’s noch nie, wird’s wohl auch nie wieder geben. Es herrschte eine unglaubliche Aufbruchstimmung, die sich auch in der Haupt-Schlagzeile widerspiegelte: „Kehre gründlich, Gregor!“ Gregor Gysi war gerade zum SED-Vorsitzenden gewählt worden und hatte auf dem außerordentlichen Parteitag einen großen Besen geschenkt bekommen.
Er war, so steht es im Hauptbeitrag auf dieser Rundschau-Titelseite vom 11. Dezember 1989, „zu einer führenden Persönlichkeit der Erneuerung des Sozialismus in der DDR geworden“.
Mauer seit einem Monat offen
Das war zu dieser Zeit – die Mauer war seit einem Monat offen – immer noch das Ziel. Die SED war noch an der Macht und gab die Parole aus: „Beherrschen der Ökonomie ist harter Kern der Sozialismuserneuerung“.
Konkret: „So wie die Demokratisierung des politischen Systems die generelle Voraussetzung ist, so sei das Funktionieren der Wirtschaft der Lebensnerv, an dem dieser Prozess hängt.“
Die Hoffnung war da, Ideen gab es: Dr. Herbert Richter, Generaldirektor des Gaskombinates Schwarze Pumpe und Vorsitzender der Internationalen Gasunion, schlug damals vor, eine Art „Interessenverband sozialistischer Unternehmer“ zu bilden.
Die Rundschau wurde zur „Sozialistischen Tageszeitung“
Und die Rundschau? Nannte sich fortan nicht mehr „Organ der Bezirksleitung Cottbus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“, sondern „Sozialistische Tageszeitung für den Bezirk Cottbus“.
Den Leserinnen und Lesern teilte der neue Chefredakteur Wolfgang Nagorske „In eigener Sache“ mit: „Seit heute steht die Redaktion unserer Zeitung unter einer neuen Leitung. … In der Vergangenheit erfolgten dirigistische Eingriffe von außen, die unsere journalistische Arbeit behinderten. Sie führten dazu, daß sich die Lausitzer Rundschau in den Dienst einer falschen Medienpolitik stellte. Dafür entschuldigen wir uns. Verlorenes Vertrauen ist nur durch eine ehrliche, offene, den Interessen unserer Leser zugewandte journalistische Arbeit wiederzugewinnen. … Dafür brauchen wir den wachen und kritischen Blick unserer Leser. Denn unsere Zeitung soll Ihre Zeitung sein.“