Einst waren hier bis zu 20.000 Beschäftigte in Europas größter Glasindustrie tätig, um zum Beispiel Leuchten für den Central Park in New York herzustellen. Doch seit 2009 stehen die Öfen und Maschinen still – wenn nicht gerade die Kultur kommt und sie wieder anwirft.
In den Telux-Werken in Weißwasser, wo heute ein soziokulturelles Zentrum Teile des Geländes nutzt, während andere Gebäude noch ungenutzt verfallen, weiß man um die Macht des Geldes. Nur folgerichtig also, dass Festivalintendant Daniel Kühnel diesen Ort wählt, um zum zweiten Mal eine Shakespeare-Adaption zur Aufführung zu bringen. Ging es im vergangenen Jahr mit „Julius Caesar“ um die Macht im alten Rom, geht es nun mit „Der Kaufmann von Venedig“ um das Geld in der Lagunenstadt des 16. Jahrhunderts.

„Alles hat ein Preisschild“

Das Stück gilt wegen des immanenten Antisemitismus der venezianischen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts als problematisch, und auch Kühnel kennt natürlich die Brisanz des Stoffs. Wenn er das Stück trotzdem auf den Spielplan setzt, dann deshalb, weil ihn etwas Anderes daran interessiert: die Selbstverständlichkeit, mit der sich Freunde und Feinde, Mann und Frau auf Geld als gemeinsame Währung verständigen. Denn solange gehandelt und gerechnet werden kann, versteht man sich, und dass sich über den Preis alles lösen lässt, diese marktwirtschaftliche Botschaft haben alle akzeptiert, von Portia, die ihre Hand in einer Art Gewinnspiel versteigert, über Antonio, Bassano und Shylock, die in Krediten, Zinsen und Pfunden denken.
„Alles hat ein Preisschild“, so Daniel Kühnel. Und wünscht sich sehr, dass jemand dem verrannten Idealisten Shylock einen Ausweg böte, statt ihn vor Gericht schlichtweg auszutricksen. „Alle bieten nur Surrogate an, also Handel. Das ist eine armselige Antwort auf ein ungeheuerliches Geschehen. So, wie wenn einer auf Knien einen Heiratsantrag macht und einen schalen Rülpser als Antwort bekommt“, sagt er in einem Interview im Programmheft.

Eine Kammerversion von 75 Minuten

Ganz so radikal hat Regisseur Stefan Pucher das dann nicht umgesetzt, auch wenn er gemeinsam mit Dramaturg Malte Ubenauf das Stück auf eine Zwei-Personen-Kammerversion von 75 Minuten eingedampft und mit Gedichten von Gertrude Stein angereichert hat. Den Antagonismus der beiden Gegner Antonio und Shylock vereint der vielseitige Samuel Weiss zwar in einer Person, wenn er, ohne auch nur die Haltung verändern zu müssen, virtuos die Rollen wechselt. Doch ist da immer noch viel Handlung übrig, von Portias Heiratslotterie bis zu Jessicas Flucht. Dass auch die Frauen nur Preise in diesem Spiel sind, und Bassano die glücklich Errungene nur schnell heiratet, um dann mit den Dukaten der Mitgift seinen Freund Antonio zu erlösen, bringt Katharina Marie Schubert so kühl wie abgeklärt zum Ausdruck.
Einst waren hier Mundglasmacher tätig: Die Lehröfen in der Telux-Halle in Weißwasser. Im Zusammenhang mit Shakespeares "Kaufmann von Venedig" wecken sie freilich andere Assoziationen.
Einst waren hier Mundglasmacher tätig: Die Lehröfen in der Telux-Halle in Weißwasser. Im Zusammenhang mit Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ wecken sie freilich andere Assoziationen.
© Foto: Christina Tilmann
Gespielt wird rund um die Lehröfen der Telux-Werke mit ihrem historischen Industrie-Ambiente. Da klingelt das Wandtelefon, wenn Nachrichten überbracht werden, Schilder bezeichnen die „Abteilung Manuell gefertigte Hart- und Weichglaskolben“, und die beiden Schauspieler nutzen Führerstände, Galerien und die Lehröfen als Bühne. Das Publikum, die erste halbe Stunde stehend, dann auf Hockern sitzend, folgt dem Geschehen durch den Raum. Die verwinkelte Architektur, so Kühnel, habe ihn an die engen Gassen in der Gegend um die Rialto-Brücke in Venedig erinnert. Doch spätestens als die Öfen rot zu glühen beginnen, stellen sich in der Kombination mit dem Juden Shylock andere, schrecklichere Assoziationen ein.
So bleibt an diesem zweiten Festivalabend ein zwiespältiger Eindruck zurück, und das Gefühl einer verpassten Chance. Daniel Kühnel, der sein ambitioniertes Festival bewusst als Angebot an eine Region richtet, die nicht nur unlängst mit Transformationserfahrungen umgehen musste, ist stolz darauf, die Fördermittel auch einsetzen zu können, um Industrieorte wie die Telux-Halle für eine dauerhafte Nutzung wiederzugewinnen. Doch für den verstockten Shylock gibt es am Ende keine Erlösung. Und auch für die Sorgen der Region ist dieses Stück nicht die Antwort. Höchstens ein Anfang.
Wieder am 27., 30. und 31. August, 19.30 Uhr, Lehrofen, Telux-Gelände, Weißwasser. Restkarten unter www.lausitz-festival.eu