Ausgerechnet Religion, zur Eröffnung des Festivals. „Das mag für viele von uns hier befremdlich erscheinen“, mutmaßt der Frankfurter Philosoph Christoph Menke bei seiner Eröffnungsrede im futuristischen Bibliotheksgebäude der BTU. Aber man soll sich ja auch befremden lassen, bei diesem Festival, das für 4,5 Millionen Euro für drei Wochen ein höchst anspruchsvolles Programm in die Lausitz setzt.
„Was wollen wir hier?“, fragt auch Intendant Daniel Kühnel, „wie wollen wir gemeinsam eine Welt schaffen“, und betont, kein Angebot machen zu wollen, sondern sein Publikum fordern zu wollen, frei nach dem diesjährigen wortschöpferischen Festivalmotto „Hereinforderung“. Für viele ist es eine ziemliche Herausforderung.
Dafür ist der Eröffnungsabend ein gutes Beispiel. Eine „Eröffnungsaktion“ ist versprochen, mit einer Kombination zwischen Giuseppe Verdis „Quattro pezzi sacri“, vier heiligen Stücken, und Bernd Alois Zimmermanns „Ekklesiastische Aktion“ von 1970. Jede Menge letzte Werke: Das „Stabat Mater“ und das „Te Deum“ aus den „Quattro pezzi sacri“ gelten als Verdis letzte große Kompositionen. Bernd Alois Zimmermann nahm sich fünf Tage, nachdem er seine „Ekklesiastische Aktion“ beendet hatte, das Leben.
Großes Aufgebot: Die Dresdner Philharmoniker unter Leitung von Sylvain Cambreling sowie der Tschechische Philharmonie Chor Brno eröffnen das Lausitz Festival
Großes Aufgebot: Die Dresdner Philharmoniker unter Leitung von Sylvain Cambreling sowie der Tschechische Philharmonie Chor Brno eröffnen das Lausitz Festival
© Foto: Michael Helbig
Das ist also ziemlich viel Düsternis für die Eröffnungsnacht, und dass nach dem Konzert dann noch Sturm, Blitz und Donner über Cottbus hereinbrechen, bevor DJ Hell die Tanzfläche eröffnet, rundet den Bogen vom Himmel zur Hölle aufs Eindrücklichste. Hatten die Frauenstimmen des Tschechischen Philharmonischen Chors aus Brno zum „Ave Maria“ und dem Dante entlehnten „Laudi alla Vergine Maria“ engelsgleich den weiten Raum gefüllt, lassen „Stabat Mater“ und das „Te Deum“ düstere Wucht und existenzielle Klage erklingen, mit jeder Menge Orchesterdonner durch die Dresdner Philharmoniker unter der Leitung von Altmeister Sylvain Cambreling und am Ende einer flirrenden Violin-Passage, hinter die ein verzagter Bass ein Fragezeichen setzt.

Alles, was Rang und Namen hat, wird aufgeboten

Existenzieller und dramatischer wird es noch bei Zimmermann, der Dostojewskis berühmte Passage vom Großinquisitor zur Basis seiner Komposition macht. Hier vollends bietet das Lausitz-Festival alles, was Rang und Namen hat, den dänischen Bariton und Opernstar Bo Skovhus, den Schauspieler Rainer Süßmilch als Sprecher und den belgischen Theaterstar Luk Perceval als Regisseur, der eine so simple wie eindrucksvolle Förderbühne quer durch den Hangar spannt, auf dem der hochgewachsene Skovhus steht, während Süßmilch mit verbundenen Augen langsam über die Brücke kriecht und am Ende fast über dem Publikum abstürzt.
Trailer zum Eröffnungsabend auf Youtube:
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Die Auseinandersetzung zwischen dem greisen Kirchenmann und dem schweigenden Christus ist schon bei Dostojewski ein Ringen um Freiheit und Selbstbestimmung. Bernd Alois Zimmermann fügt dem unter dem Titel „Ich wandte mich und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“ noch einige Tonnen Verzweiflung, Leid und Kritik am katholischen Machtmissbrauch hinzu, mit harten Percussion-Schlägen, die wie an ein verschlossenes Tor donnern, und einem gespenstisch flüsternden Dialog zwischen Sänger, Sprecher, im Raum hallenden Stimmen und auf der Galerie platzierten Bläsern.
Ob diese Setzung, die in ihrer monolithischen Wucht durchaus eine Zumutung für das Publikum ist und am Ende enthusiastisch gefeiert wird, das richtige Zeichen ist, um die Notwendigkeit von Kultur im Prozess des Strukturwandels der Lausitz zu beweisen, sei dahingestellt. Für einen einzigen Abend ist das schon ein enormer Aufwand an Kraft und Mitteln, der hier aufgeboten wird, mit einem Programm, das wie ein Meteorit in Cottbus einschlägt. Es ist gleichwohl auf jeden Fall ein Abend, den keiner der Anwesenden so leicht vergessen wird.
Das Lausitz-Festival 2023 läuft noch bis 10. September. Programm und Infos unter lausitz-festival.eu