Natürlich hätten auch Manfred Pauls „Frauenbeine“ am Anfang stehen können. Schon vor sieben Jahren zogen sie in seiner Werkschau die Kunstinteressierten ins Cottbuser Dieselkraftwerk (dkw). Ihr verführerischer Charme fehlt auch in dieser Ausstellung nicht.
Carmen Schliebe, Kustodin Fotografie im Landesmuseum für Moderne Kunst, aber platziert absichtsvoll ein anderes Bild ganz vorn im Maschinenraum 1. Nichts Aufregendes ist auf dem Foto eingefangen. Ein Postkartenständer, der wahrscheinlich im Hochglanz die Sehenswürdigkeiten der französischen Metropole preist. Zu sehen sind sie nicht. Die Postkarten zeigen dem Betrachter ihre Rückseite. So kann diese Fotografie als Sinnbild stehen für die Fotoserie „Paris 1988“, die bis zum 20. August im dkw die Besucher zu einem etwas anderen Bummel abseits der Touristenpfade durch Frankreichs Hauptstadt einlädt.

Auf der Suche nach dem Wesen einer Stadt

In diesen Bildern atmet die wohl meist fotografierte Stadt ihr eigenes, ganz besonderes Flair. Da brodelt der Verkehr, führen endlose Rolltreppen ins Nirgendwo. Natürlich begegnet man in der Stadt der Liebe auch Verliebten, die das Gewusel um sich herum zu vergessen scheinen. An der Seine wird Tango getanzt. Der Mann mit Hut und Zigarette im Café – versprüht er nicht den rauen Charme eines Jean-Paul Belmondo?
Manfred Paul, Mann im Café, aus der Serie: Paris, 1988 (Silbergelatineabzug)
Manfred Paul, Mann im Café, aus der Serie: Paris, 1988 (Silbergelatineabzug)
© Foto: Manfred Paul/BLMK
Dazwischen schummeln sich abblätternde Plakatwände und revolutionäre Losungen, bröckelnde Fassaden, Graffiti ... Drei Grazien, verhüllte Schaufensterpuppen, warten auf den Augenblick, sich zu entblättern, in der Stadt der Mode und des Lichts. Schrille Typen fläzen in der Sonne oder stellen ihre Sonnenbrillen an Bistrotischen zur Schau. Spielende Kinder flattern förmlich durch den Park. Und immer wieder geraten Frauenbeine in den Blick. Hier ist einer auf der Suche nach dem Wesen einer Stadt, seiner Lebensfülle, wohl wissend um die Vergänglichkeit des Augenblicks.
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Die Fotos sind erstmal in einer Ausstellung zu sehen

Der aus Schraplau, einem der kleinsten Städte Sachsen-Anhalts, stammende Fotograf Manfred Paul (Jahrgang 1942), der längst in Berlin zu Hause ist, zeigt diese Auswahl von etwa 80 Fotos, die vor 35 Jahren entstanden sind, zum ersten Mal in einer Ausstellung. Bekannt geworden ist Paul, eine der wichtigsten Vertreter der Autorenfotografie in der DDR, durch seine Stadtlandschaften und Stillleben, die in den 1970er- und 1980er-Jahren in seinem neuen Zuhause am Prenzlauer Berg entstanden sind und das Vergehen als Bedingung des Lebens begreiflich machen suchen.
Manfred Paul, Junge an der Rolltreppe, aus der Serie: Paris 1988 (Silbergelatineabzug)
Manfred Paul, Junge an der Rolltreppe, aus der Serie: Paris 1988 (Silbergelatineabzug)
© Foto: Manfred Paul/BLMK
Sein waches fotografisches Auge sorgte für Aufmerksamkeit. 1986 bekommt Manfred Paul die Möglichkeit, seine Bilder in einer Ausstellung im Musée des Beaux-Arts d’Orléans zu präsentieren. Zwei Jahre später erhält er die Einladung zu einer sechswöchigen Studienreise nach Paris.

Von der schweren Plattenkamera zur handlichen Leica

Hatte er vorher vornehmlich mit einer schweren Plattenkamera gearbeitet, stattet ihn nun das französische Kulturzentrum in Berlin mit einer handlichen Leica M3 aus. So kann er schnell auf das Geschehen in der pulsierenden Stadt reagieren. Auch die ihm unbekannte Lebenswelt, die Art, wie die Menschen leben, schlägt sich bei ihm in einer neuen Bildsprache nieder.

Zur Person

Der Berliner Fotograf Manfred Paul zählt zu den wichtigen Vertretern der DDR-Autorenfotografie. Seine Arbeiten beschäftigen sich mit den existenziellen Fragen des menschlichen Daseins und setzen sich mit dem umfassenden Thema der Vergänglichkeit auseinander. Neben Pauls Stadtlandschaften und Stillleben, die in den 1970er und 1980er-Jahren im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg entstanden, wurden auch die Fotografien der Werkgruppen „Verena“ und „Künstlerportraits“ zu Gleichnissen, die das Vergehen aller Dinge als Bedingung des Lebens begreiflich machen.
Scheinbare Belanglosigkeiten fesseln seine Aufmerksamkeit. Dynamik überlagert poetische Bildansichten und fördert Unvermutetes zutage. Hinter Glasscheiben blitzt die Wirklichkeit auf. Aber nicht das Äußere, die touristischen Highlights, spiegeln sich darin. Nur einmal kann man eine zarte architektonische Andeutung erkennen. Ansonsten ist er auf das Innere im koketten Spiel mit dem Außen fokussiert.
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Mittels Spiegelungen verschränkt er beide Welten in einem Bild und fördert Rätselhaftes im Alltäglichen zutage. Er arbeitet mit Diagonalen, gewagten Aus- und Anschnitten, ungewöhnlichen Perspektiven, kippt Bildflächen und fängt mit Licht und Schatten auch Romantisches ein. Ein fluoreszierendes Verwirrspiel in Schwarz-Weiß, in der auch Unschärfen die Momenthaftigkeit spürbar werden lassen. In dem Bemühen, das Vergängliche festzuhalten, atmen diese Bilder noch nach 35 Jahren eine betörende Frische, haben noch heute ihre Gültigkeit.
Wer im vergangenen Sommer die Bilder des französischen Fotografen Willy Ronis aus der DDR der 1960er-Jahre im dkw gesehen hat, kann sich nun vom umgekehrten fotografischen Blick auf Frankreichs Hauptstadt zwei Jahrzehnte später faszinieren lassen.

Manfred Paul: „Paris 1988“

Die Ausstellung ist bis 20. August dienstags bis sonntags jeweils von 11 bis 19 Uhr im Dieselkraftwerk, Uferstraße/Am Amtsteich 15 in Cottbus zu sehen. Weitere Infos gibt es hier.