„Willi“ und „Joringel“ ist sichtbar kalt. Die beiden halbwüchsigen Kraniche zittern und haben jeweils ein Bein angezogen und unter den Bauchfedern versteckt, während sie mit dem anderen im tiefen Schnee stehen. Ungeduldig warten die beiden Jungvögel auf Ziehmutter Beate Blahy, die mit ihnen täglich über die verschneiten Felder bei Steinhöfel (Uckermark) läuft.
Leicht trillernd und gurrend lockt sie die sieben und acht Monate alten Tiere, die ihr daraufhin flügelschlagend folgen. „Das ist kranisch“, erklärt sie lächelnd die ungewohnten Laute. Sie ahme das Verhalten der Altvögel nach, die den Jungen zeigten, wie und wo sie Nahrung finden.
„Die gesamte Kranich-Familie ist tagsüber in Bewegung.“ Tatsächlich weichen die beiden Jungvögel ihr nicht von der Seite und beobachten genau, was die Tierschützerin aus dem Schnee klaubt.
Kraniche kehren nach Brandenburg zurück
Noch im vergangenen Jahr waren die Jung-Kraniche zu dritt. Blahy und ihr Mann Eberhard Henne, seit Jahren engagiert in der Brandenburger Arbeitsgemeinschaft Kranichschutz, hatten drei erst wenige Tage alte Küken aufgenommen, um sie aufzupäppeln und anschließend möglichst wieder auszuwildern.
Beim einzigen Weibchen im tierischen Trio, „Jorinde“, hat das auch geklappt. Sie hat sich ihren Artgenossen wieder angeschlossen und den Abflug vom menschlichen Zuhause geschafft.
Auch bei „Joringel“ haben die beiden Kranichexperten die Hoffnung noch nicht aufgegeben. „In Kürze kehren auch die Kraniche nach Brandenburg zurück, die zum Überwintern in den Süden geflogen sind“, sagt Henne.
70 bis 80 Prozent der erwachsenen Vögel kämen ohne ihren Nachwuchs aus dem vergangenen Jahr wieder, hat er beobachtet. „Sie wollen ja erneut brüten. Also erfolgt die Abnabelung im Winterquartier“, ergänzt Blahy, die fest entschlossen ist, „Joringel“ in die freie Natur zu entlassen. Allerdings müssten sie den Vogel wohl weit weg vom jetzigen Zuhause bringen und auswildern.
„Von allein wird er sicher nicht gehen“, glaubt Blahy. Nesthäkchen „Willi“ hingegen wird wohl ein„Hauskranich“ bei den beiden bleiben. „Er ist zu sehr auf den Menschen geprägt, sieht sich selbst nicht als Kranich. Er hat in freier Natur keine Chance“, erklärt der ehemalige Brandenburger Umweltminister Henne.
Kraniche müssen harten Winter in Brandenburg überstehen
„Willi“ und Joringel“ sind nicht die einzigen Kraniche in Brandenburg, die sich im Herbst nicht auf die Reise in die spanischen Winterquartiere gemacht haben. Doch während die beiden Jungtiere in Menschenobhut vor Kälte, Eis und Schnee jederzeit wieder in den Stall schlüpfen oder sich in der Küche von Blahy und Henne bei Leckerbissen wie frischen Hähnchenherzen aufwärmen können, müssen tausende ihrer Artgenossen den ungewöhnlich harten Winter in Brandenburg überstehen.
Unter ihnen wohl auch „Jorinde“, die Beobachter anhand ihrer Beringung vor wenigen Tagen in einer großen Kranich-Gruppe nahe Werneuchen (Barnim) entdeckt haben.
In mehreren Gruppen, so schätzen beide, überwintern etwa 1000 Kraniche in der Nähe der Oder, vor allem im Oderbruch. „Dort finden sie noch offenes Wasser, sowohl um zu trinken, als auch als Schlafplatz“, sagt Blahy. Inzwischen würden die Gruppen aber auf Feldkuppen oder auch auf Eisflächen gemeinsam übernachten, haben sowohl sie, als auch Dirk Treichel, Leiter des Nationalparkes Unteres Odertal, beobachtet.
Auch im Süden Brandenburgs gibt es überwinternde Kraniche, bestätigt Ralf Donat, Sprecher der AG Kranichschutz und Mitarbeiter der Heinz Sielmann Stiftung Wanninchen (Dahme-Spreewald). In Summe dürften es südlich von Berlin auch um die 1000 Tiere sein. „Solange Kraniche ausreichend Nahrung finden, spielt die Kälte keine Rolle. Problematisch wird es nur, wenn die Schneedecke zu hoch oder der Boden zu hart gefroren ist“, erzählt Donat.
Durchfliegende Kraniche aus dem Frühjahrszug gesichtet
Würden die Bedingungen zu extrem, könnte Europas größte Vogelart auch spontan in südlichere Gebiete ausweichen. „Da die Kraniche noch da sind, muss der Winter in Brandenburg für sie auszuhalten sein“, glaubt der Experte.
„Vor dem Kälteeinbruch waren es im unteren Odertal deutlich mehr Exemplare“, sagt hingegen Treichel. Selbst balzende Paare habe er vor den starken Nachtfrösten bereits beobachtet.
Inzwischen werden aber auch schon durchfliegende Exemplare aus dem Frühjahrszug gesichtet, berichten die Kranichexperten. Die Ankunftszeit der zurückkehrenden Vögel verlagere sich immer weiter in den Februar, sagt Donat. „Sobald es wärmer wird, sind die Revierpaare da, um sich ihre angestammten Brutplätze zu sichern. Denn Kraniche gelten als sehr standorttreu“, bestätigt Kranichvater Henne.
Beide sind sich sicher, dass diese zeitliche Verlagerung mit dem Klimawandel zu tun habe. „Die fliegen zum Überwintern nicht mehr bis nach Nordafrika, sondern nur nach Spanien und Frankreich. Um so kürzer ist dann auch der Rückweg“, erklärt der uckermärkische Veterinärmediziner. Sollte sich die Erderwärmung fortsetzen, würde es in absehbarer Zeit wohl gar keinen Vogelzug mehr geben, prognostiziert er.