Es ist schon etwas Außergewöhnliches, wenn sich in einer kleinen Stadt wie Herzberg etwa 30 Leute über Wochen und Monate in ein Theaterstück hineinarbeiten, um es dann den Menschen in ihrer Stadt auf einer großen Bühne zu präsentieren. Sie alle sind Laien, aber sie sind keine Laientheatergruppe, die sich regelmäßig in dem Metier bewegt.
Sie sind ganz normale Leute – Angestellte, Unternehmer, Schüler, Geschäftsführer, Handwerker, Werkstattbeschäftigte oder Rentner. Was sie eint, ist der Spaß am Theaterspielen, und sei es nur alle paar Jahre einmal. Die Zuschauer staunen, was dabei herauskommt und welch komödiantisches Talent in einigen ihrer Mitbürger steckt.

Sparkassen-Einbruch als historische Vorlage

Der Funke, der vor sechs Jahren mit dem Reformationsstück „Anna“, sozusagen die Geburtsstunde der Herzberger Eigen-Theater-Produktion, entfacht wurde, hat die Zeit gut überlebt. Erneut war es der Berliner Regisseur und Autor Kai Schubert, der der Bitte der Herzberger nachgekommen ist, ihnen ein Stück zu schreiben. Die guten Beziehungen haben ihren Ursprung in den von Schubert inszenierten Theaterstücken zur „Soester Fehde“ in Herzbergs Partnerstadt in Nordrhein-Westfalen.
Bot die „Anna“ 2017 mit dem Reformationsjubiläum einen handfesten historischen Hintergrund, so war es diesmal etwas schwieriger. Kai Schubert und seine „Verbündeten“ um Herzbergs Kulturchefin Karin Jage entschieden sich für den Versuch Berliner Gangster, 1929 den Tresor der Herzberger Sparkasse zu knacken.
Um dieses verbürgte Ereignis herum packte Kai Schubert Herzberger Leben in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Aus fiktiven Geschichten mit zum Teil wahren Hintergründen machte er eine Gauklerkomödie mit so manchem Hieb auf die Gegenwart und nannte sie „Betty. Träume & Millionen“

Tumult in der „Sonne“ wegen Betty

Einziger Schauplatz des Geschehens ist die „Gaststätte zur Sonne“, in dem sich Wirtin „Mutter Sonne“ und ihre Schwester, die Köchin, gegen die galoppierende Inflation stemmen. In Vorbereitung auf das anstehende Frohsinnsfest soll das Haus symbolisch für Herzberg fortschrittlich werden und Elektrizität erhalten. In die konträre Diskussion über Sinn und Nachhaltigkeit dieses Fortschritts, in die sich die Kneipengäste vom Briefträger über die Melkerin, die Bäckersfrau bis zum Sparkassendirektor und die Kriegsversehrten so ziemlich jeder einmischt, platzt Betty auf ihrem Motorrad.
Die früher etwas verruchte Maria-Elisabeth kommt als frisch gebackene Ärztin und mit tollem Outfit aus dem Anfang der 20er-Jahre pulsierenden Berlin zurück in die Heimatstadt. Sie will die Praxis des (in Herzberg bis heute geachteten) Dr. Franz übernehmen und dem zumeist an sich selbst denkenden und wenig entscheidungsfreudigen Bürgermeister eine kostenlose Schulspeisung für die Kinder abringen. In der „Sonne“ sorgt das für allerhand Tumult. Als dann auch noch zwei nette Herren aus Berlin auftauchen, die angeblich einen Film drehen wollen, aber nur den Sparkassentresor im Auge haben, nehmen die Geschichten ihren Lauf.

Rollen passen ins richtige Leben

Diese Komödie ist eine grandiose Leistung der Herzberger Schauspieler-Laien. Fast zweieinhalb Stunden greifen die Szenen ineinander, stehen mitunter 20 Akteure auf der Bühne, von denen jeder ständig auf der Höhe des Stückes sein muss. Kai Schubert ist es gelungen, allen ihren eigenen Charakter zu geben, und sei es nur in wenigen Gesten. Besonders macht das Stück die Nähe der Akteure zum Publikum. Jeder kennt jeden. Und so manche Rolle passt zum „richtigen Leben“ wie die Faust aufs Auge.
Inhaltlich bettet Kai Schubert auch aktuelle Themen in das Stück mit ein – Krieg und Frieden, sexuelle Orientierung, Rollenverteilung der Geschlechter, Ärztemangel oder Bürokratie. Dennoch ist und bleibt es eine Komödie mit viel Fantasie und vor allem lokalem Bezug.
Die Texte lassen hören, dass der Regisseur die Herzberger mittlerweile sehr gut kennt und dass seine Schauspieler den Leuten in ihrer Stadt bewusst und manchmal auch überspitzt ins Gewissen reden.
Der mitunter recht ausgeprägte Argwohn der Herzberger gegenüber allem und jedem und ihre, sagen wir mal, Gutgläubigkeit, hat auch in der Gegenwart schon manches Gerücht in Gang gesetzt, das sich als hartnäckig erwies. Und so ist es wohl kein Zufall, dass Betty im Stück beinahe an der Lynchjustiz ihrer Mitbürger gescheitert wäre.
Alles in allem aber überwiegen die viele liebenswerte Seiten der Herzberger wie Hilfsbereitschaft, Mitgefühl, Zusammenhalt und der Wunsch danach, gemeinsam Spaß zu haben.

Standing Ovations vom Publikum

Den hatte das Publikum zur Premiere am Freitagabend ohne Zweifel. Es gab Standing Ovations für die Protagonisten.
Einzelne von ihnen hervorzuheben, ist sicher nicht fair. Sie alle waren großartig. Vielleicht hat das Gaunerduo (Frank Lehmann und Marco Hammer) komödiantisch besonders überzeugt und überrascht. Diana Friedrich und Doreen Strelitz als Wirtin und Köchin hatten Schwerstarbeit zu leisten, wie auch Holger Strieg als Kellner Bruno. Virginia Degen, Nicole Manig und Mario Leopold von der Kulturgruppe der Elster Werke aktiv in das gesamte Stück zu integrieren, war eine fantastische Idee.

Herzberg-Hymne mit guten Chancen

Ausgesprochen gut getan haben dem Stück tolle Requisiten vom Oldtimer bis zur Ziege und natürlich die musikalische Begleitung durch Sebastian Pöschl am E-Piano. Da kam vieles auf den Punkt. Und die von Pöschl selbst geschriebene und komponierte Hymne „Ich hab mein Herz in Herzberg verloren“ wird in der Stadt sicher die Runde machen und den Sommer 2023 überleben.
Wie die Geschichte um Betty, die Gauner und die Leute in der „Sonne“ ausgegangen ist, und ob das mit der Elektrizität und der Schulspeisung am Ende noch funktioniert hat, wird an dieser Stelle nicht verraten. Das kann jeder selbst erfahren. Am kommenden Wochenende ist noch zweimal dazu Gelegenheit.

Herzberger Sommerfestspiele

Die ersten beiden Aufführungen von „Betty. Träume & Millionen“ waren der Start zu den Herzberger Sommerfestspielen 2023. Die ganze Woche über wird auf der großen Bühne auf dem Markt etwas geboten:
Den Montag gestaltet „Kult!INKoffer“ – die Kulturgruppe der Elster Werke. Abends wird die JukeBox5000 aufgedreht.
Am 4. Juli (Dienstag) ist ab 16 Uhr „Offene Bühne“ der Musikschule, am 5. Juli (Mittwoch) rocken die Jugend und die Herzberger Anti-Sofa-Initiative HASI.
Am 6. Juli (Donnerstag) gestalten am Nachmittag die Kitas der Stadt ihr Programm auf der Markt-Bühne.
Ab 18 Uhr stellen sich Vereine und Ortsteile vor.
Um 20 Uhr beginnt das Benefizkonzert des Tierschutzvereins Tierhilfe Südbrandenburg mit der Gruppe „Black Bird“ zugunsten des Tierheimneubaus.
Am 7. und 8. Juli (Freitag und Samstag) gibt es dann zwei weitere Aufführungen von „Betty. Träume & Millionen“. Beginn ist jeweisl um 19 Uhr.