Wieder mal jährt sich ein Gedenktag. Zum 78. Mal. Er ist als der „Verlorene Transport“ in die Geschichte eingegangen. Der Zug mit Güterwagen fuhr Anfang April 1945 aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen mit jüdischen Häftlingen los. Er stoppte am Bahnkilometer 101,6 bei Langennaundorf. Die gesprengte Eisenbahnbrücke über die Schwarze Elster verhinderte die Weiterfahrt. 16 Insassen des Zuges, die die katastrophalen Umstände nicht überlebt hatten, wurden am Rande der Bahnstrecke in einem Massengrab beigesetzt.
Der Zug mit rund 2500 Häftlingen wurde anschließend mit einer Lok der Beutersitzer Braunkohlewerke zurück in Richtung Doberlug-Kirchhain gefahren, kam bei Tröbitz zum Stehen und wurde dort nach einer zweiwöchigen Irrfahrt durch Deutschland, ohne Nahrung und Wasser, am 23. April von der Roten Armee befreit.
Die KZ-Häftlinge waren sogenannte „Austauschjuden“, die gegen deutsche Kriegsgefangene und kriegswichtige Güter getauscht werden sollten. Unter ihnen waren etwa 500 Kinder und Jugendliche. Die sowjetischen Truppen wiesen die Dorfbewohner und Dorfbewohnerinnen der Gegend an, den Überlebenden in ihren Wohnungen und Häusern Platz zu schaffen beziehungsweise sie ihnen zu überlassen. Diese besondere Situation der mehrwöchigen Co-Existenz und des gemeinsamen Lebens in dem Dorf Tröbitz, ist einer der Ausgangspunkte der Wanderausstellung, die im November des vergangenen Jahres unter dem Namen „Wer ein Leben rettet ...“ Lebensgeschichten von Kindern des „Verlorenen Transports“ eröffnet wurde.

Eine Ausstellung, die sich an junge Leute richtet und Ältere beeindruckt

Die Ausstellung, zu sehen in der Brikettfabrik Louise in Domsdorf, soll helfen, eine Frage zu beantworten: Wie kann es heute gelingen, die Kriegsgräuel von damals nicht zu vergessen? Heute, in einer Zeit, in der selbst die Kinder von damals alt geworden sind und bald nicht mehr leben werden. Die Kuratoren Dr. Verena Buser und Thomas Irmer haben unter Projektleitung von Prof. Dr. Günter Morsch einen anderen Ansatz verfolgt. „Wir wollen junge Leute mit dem Thema konfrontieren, sie empfindsam machen“, sagt Thomas Irmer. Dazu haben sie Steven Hess und Marion Lewin, Celino Bleiweiß, Zvi Birnbaums Kinder, Micha Gelber, Raul Teitelbaum, Hanah Pick-Goslar, Moshe Nordheim und Mirjam Lapid-Andriesse stellvertretend für die anderen Kinder im Zug ein Gesicht gegeben.
Kranzniederlegung auf dem Jüdischen Friedhof in Tröbitz. Am 24. April wird auch in Langennaundorf und in Domsdorf an die Ereignisse vor 78 Jahren erinnert.
Kranzniederlegung auf dem Jüdischen Friedhof in Tröbitz. Am 24. April wird auch in Langennaundorf und in Domsdorf an die Ereignisse vor 78 Jahren erinnert.
© Foto: VRS
Wie sie an die Erarbeitung herangegangen sind, wie die Gespräche verliefen und wie es den Kindern von damals heute ergeht, haben sie in einem längeren Interview, das online nachzulesen ist, erklärt. Thomas Irmer sagt darin: „Die Ausstellung richtet sich an alle – aber insbesondere an Kinder und Jugendliche, da es um Kinderüberlebende geht. Mit der Ausstellung wollen wir ein breites Publikum ansprechen, gerade auch an den Orten, durch die der Transport durchgefahren ist. Das haben wir bei der Gestaltung mitberücksichtigt. Die Texte sind einfach und kurz gehalten. Das ist nicht selbstverständlich.“

Wie sich Überlebende gefühlt haben

Wie es den Überlebenden ging, hat Verena Buser in Gesprächen so reflektiert bekommen: Viele Überlebende galten in Israel lange Zeit als schwach. Mit den Überlebenden wurde, wie auch in Deutschland, lange assoziiert, dass sie sich wie die Schafe zur Schlachtbank hätten treiben lassen. Der Umgang mit den Überlebenden in Israel änderte sich erst in den 1960er Jahren. Gleichzeitig wurde sehr stark darauf beharrt, dass man weiterleben, nach vorne blicken und die Vergangenheit hinter sich lassen müsse. Für manche Menschen ist das der richtige Weg, wie etwa für den Überlebenden Celino Bleiweiß. Er sagte: „Ich will eigentlich nicht schon wieder drüber sprechen und auch nicht auf diese Geschichte reduziert werden.“ Der große Teil wurde aber nicht gehört, trotz des Bedürfnisses zu sprechen.
Auch das gehörte zum Tag der Ausstellungseröffnung: Zeitzeugengespräch zwischen Mirjam Lapid (89) und Werner Mann (88) in der Mensa der evangelischen Grundschule in Tröbitz, Thomas Irmer (l.).
Auch das gehörte zum Tag der Ausstellungseröffnung: Zeitzeugengespräch zwischen Mirjam Lapid (89) und Werner Mann (88) in der Mensa der evangelischen Grundschule in Tröbitz, Thomas Irmer (l.).
© Foto: VRS
Thomas Irmer: „Durch die Interviews mit den Nachfahren wird deutlich, wie präsent die Geschichte der Verfolgung im Nationalsozialismus noch in der Gegenwart ist. Zum Beispiel sagt Mike Hess, der Sohn des Überlebenden Steven Hess, dass er nie Opfer sein will, was seine Konsequenz aus der Verfolgung seiner Familie ist. Das ist etwas, was jede und jeder nachvollziehen kann. Dadurch rückt die nationalsozialistische Verfolgung sehr nah an die Besuchenden heran.“
Zu sehen ist die Ausstellung noch bis 25. August in der Brikettfabrik Louise Domsdorf.

Gedenken am 24. April

In Langennaundorf:
9 Uhr: Treffen in Langennaundorf hinter dem Feuerwehrgerätehaus (Nähe ehemaliger Konsum)
9.15 Uhr: Fahrt mit dem Auto zur Gedenkstätte im Langennaundorfer Forst
9.30 Uhr Gedenkfeier mit Ansprachen und Kranzniederlegung bei Kilometer 101,6
In Tröbitz:
11 Uhr: Ansprachen und Kranzniederlegung am VVN-Denkmal im Ortskern von Tröbitz, anschließend Kranzniederlegung auf dem jüdischen Ehrenfriedhof in Tröbitz
12 Uhr: Besuch der Ausstellung „Der verlorene Zug" in der Mensa der evanglischen Grundschule Tröbitz
13 Uhr: Besuch der Ausstellung „Wer ein Leben rettet - Lebensgeschichten von Kindern des Verlorenen Transports" in der Kraftwerkshalle der Louise, Domsdorf.
Die Veranstaltungen sind öffentlich und werden vom Freundeskreis Technisches Denkmal Brikettfabrik Louise Domsdorf, der Stadt Uebigau-Wahrenbrück und der Gemeinde Tröbitz organisiert.