Mit Einsamkeit kennt Uwe Müller sich aus. Schon im Jahr 1988, vor mehr als drei Jahrzehnten, hatte er die bereits Kirchliche Telefonseelsorge Ostberlin gegründet. Noch heute leitet er das Sorgentelefon des Vereins in der Hauptstadt.
„Etwa 25 Prozent der Menschen, die bei uns anrufen, sagen, dass es ihnen nicht so gut gelingt, soziale Kontakte zu knüpfen“, sagt Uwe Müller er am Telefon.
Die Anrufer finden ein offenes und anonymes Ohr, dem sie ihre Probleme anvertrauen können. Die Telefonseelsorge hilft aber auch – und das hätte man zunächst nicht vermutet – den Ehrenamtlichen, die am Telefon Dienst tun, gegen die eigene Vereinsamung. „Ich schätze, dass mindestens die Hälfte unserer Helfer über 60 Jahre alt ist. Die haben vor der Rente mit dem Ehrenamt angefangen und inzwischen selbst ein sehr starkes soziales Netz. Sie haben Freundschaften gebildet. In Cottbus zum Beispiel sind es 35 Menschen, die sich nicht nur die Sorgen anderer Menschen anhören, sondern auch gemeinsam immer wieder unterwegs sind“, erzählt Uwe Müller.
Uwe Müller gründete 1988 die Kirchliche Telefonseelsorge Ostberlin und leitet bis heute die Dienststelle des Vereins in der Großstadt.
Uwe Müller gründete 1988 die Kirchliche Telefonseelsorge Ostberlin und leitet bis heute die Dienststelle des Vereins in der Großstadt.
© Foto: DWBO/Nils Bormann
Er und weitere Experten, die sich mit der Einsamkeit anderer Menschen beschäftigen, haben ein paar gute Tipps, wie sich Vereinsamung vermeiden und in jedem Alter wieder neue und bereichernde Kontakte knüpfen lassen.

Tipp Nummer eins: Vorurteile über Einsamkeit abbauen

Es gibt ein gängiges Klischee. Das lautet: Mit dem Alter nimmt die Einsamkeit zu. Diese Vorstellung sollte man besser vergessen, denn sie könnte auch zu einer „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ werden, sagt Prof. Clemens Tesch-Römer, Leiter des Deutschen Zentrums für Altersfragen in Berlin.
Tatsächlich sind in unserer Zeit auch mehr Jüngere von Vereinsamung betroffen. Der jüngste Deutsche Alterssurvey hat beispielsweise auch gezeigt, dass sich die 60- bis 85-Jährigen seltener einsam fühlen als die 55- bis 59-Jährigen. „Wo wir aber deutlich höhere Anteile an sehr chronisch einsamen Menschen haben, das sind die über 80-Jährigen, die oft mit Gesundheitsproblemen in Pflegeeinrichtungen leben“, sagt Tesch-Römer.
Prof. Clemens Tesch-Römer leitet das Deutschen Zentrums für Altersfragen in Berlin.
Prof. Clemens Tesch-Römer leitet das Deutschen Zentrums für Altersfragen in Berlin.
© Foto: Christoph Soeder
Ein weiteres Vorurteil ist, dass allein lebende Menschen ein höheres Risiko haben, einsam zu sein. „Es kommt nicht so sehr darauf an, wie ich wohne, sondern wie gut, stabil und aktiv mein soziales Netzwerk ist“, erläutert der Professor.
Dabei spielen die eigenen Bedürfnisse eine große Rolle. Da gibt es große Unterschiede: „Manche Menschen brauchen einen sehr großen Freundeskreis, andere eher eine wichtige zentrale Beziehung zu einer Person“, so Tesch-Römer.

Tipp Nummer zwei: Eigene Bedürfnisse erkennen

Um die eigenen Bedürfnisse herauszufinden, schlägt Annemarie Jost, Professorin für Sozialpsychiatrie an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, vor, sich nicht zu sehr darauf zu konzentrieren, was einem fehlt, sondern darauf, was man sich wünscht. Die Familie öfter sehen, sich regelmäßig mit Freunden treffen oder immer wieder neue Menschen kennenlernen?
Annemarie Jost ist Professorin für Sozialpsychiatrie an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg.
Annemarie Jost ist Professorin für Sozialpsychiatrie an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg.
© Foto: BTU Cottbus-Senftenberg
„Was würden Sie gerne mit anderen Menschen erleben und was wäre Ihnen wichtig? Möchten Sie sich zum Beispiel über Ihre Interessen austauschen oder über Ihre Gefühle sprechen können?“, fragt sie. „Es geht nicht nur um die Quantität, sondern vor allem auch um eine gewisse Qualität der Begegnung, um als Mensch gesehen und wahrgenommen zu werden.“

Tipp Nummer drei: Nachdenken, was in der Vergangenheit funktioniert hat

Auch eine andere Übung kann hilfreich sein. „Wir versuchen in den Gesprächen immer ein bisschen zurückzublicken und zu schauen, welche Ressourcen es früher gab. Wir fragen, wie es vor zehn oder zwanzig Jahren war, wie die Menschen mit anderen in Kontakt gekommen sind und was sie damals gut machen konnten“, erzählt Uwe Müller von der Telefonseelsorge.
Prof. Annemarie Jost empfiehlt, sich zu fragen, bei welchen Gelegenheiten es in früheren Jahren erfüllende Begegnungen gegeben hat und ob bestimmte alte Gewohnheiten wieder aufgenommen werden können.
Ob Gartenarbeit, Basteln, Kochen oder Theaterbesuche … Es wird immer leichter sein, sich in einen Verein zu integrieren, wenn die angebotenen Aktivitäten mit den eigenen Interessen übereinstimmen.
Natürlich können eine schlechte Gesundheit oder Armut für viele Menschen ein Hindernis sein. Aber die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telefonseelsorge nehmen sich gerne die Zeit, um im Internet nachzuschauen, welche Möglichkeiten es in der Nähe gibt, sich kostenlos zu treffen. Das kann eine Kirchengemeinde sein oder ein Nachbarschaftshaus, wie Uwe Müller weiß.

Tipp Nummer vier: Keine Angst, um Hilfe zu fragen

„In der Literatur zur Wirksamkeit von Interventionen gegen Einsamkeit (siehe Infokasten) hat sich nur die psychotherapeutische Intervention als wirksam erwiesen. Das Problem aber ist, dass Menschen, die chronisch einsam sind, gar nicht auf die Idee kommen, eine Therapie zu machen. Man muss schauen, wie man an die Menschen herankommt“, sagt der Leiter des Deutschen Zentrums für Altersfragen.
Falls psychische Störungen wie Depressionen oder Angststörungen zu Einsamkeit führen, könne eine Therapie helfen, hierbei müssen jedoch zunächst Anfangshürden überwunden werden,wie Prof. Annemarie Jost betont: „Es ist nicht immer ganz einfach, einen Therapeuten zu finden, vor allem, wenn man älter ist oder auf dem Lande wohnt und bereits die Anfahrt kompliziert ist. Und für diejenigen, die am meisten isoliert sind, ist es noch schwieriger, diesen Schritt zu tun. Hier braucht es mehr Unterstützungsangebote für ältere Menschen, die sich einsam fühlen.“
Diejenigen, die sich dazu in der Lage fühlen, können sich jedoch von ihrem behandelnden Arzt beraten lassen.

Tipp Nummer fünf: Wer sich früh ehrenamtlich engagiert, ist nie allein

Gerade weil es so schwer ist, eine Isolation zu durchbrechen, gibt Tesch-Römer den persönlichen Rat: Vorbeugen ist besser als heilen, und vor allem ist es besser, früh zu handeln. Das heißt, schon bei den ersten Einsamkeitsgefühlen etwas zu unternehmen, zu versuchen, beispielsweise wieder neue Leute kennenzulernen.
Das deckt sich mit dem Rat von Uwe Müller: „Wir empfehlen Menschen ab 50, sich am besten ein Ehrenamt zu suchen.“ Da trifft es sich gut, dass die Telefonseelsorge Cottbus derzeit neue Ehrenamtliche sucht, insbesondere jemanden, der die Außenstelle in der Stadt leiten könnte.
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So wird Einsamkeit auf gesellschaftlicher Ebene bekämpft

Auch wenn es in Deutschland keine Einsamkeitsepidemie gebe (die Prävalenzraten schwankten immer zwischen 5 und 10 Prozent der Bevölkerung), sei die chronische Einsamkeit ein wichtiges Thema, so Prof. Tesch-Römer vom Deutschen Zentrum für Altersfragen. „Man muss diesen Zustand von der Einsamkeit unterscheiden, die man erlebt, wenn man zum Beispiel sein Heimatland verlässt und in ein anderes Land zieht oder wenn man sich von seinem Partner trennt“, sagt er. Es ist schwieriger, aus diesem Zustand herauszukommen, und die Folgen sind auch für die Gesundheit schlecht.
Gesellschaftliche Maßnahmen gegen Einsamkeit, die zum Beispiel von Kommunen ergriffen werden können, sind bereits gut erforscht. Prof. Tesch-Römer unterscheidet drei Arten von Maßnahmen:
● Veranstaltungen organisieren, bei denen Menschen zusammenkommen,
● Menschen helfen, ihre sozialen Kompetenzen zu verbessern,
● Genau hinschauen, wie Menschen andere wahrnehmen, die eigenen Erwartungen an soziale Beziehungen hinterfragen und versuchen, eventuell vorhandene Misstrauensmuster zu durchbrechen.