Ausnahmsweise steht heute mal keine Titelseite der Rundschau im Fokus, sondern die Seite 3, die neben der Seite 1 wichtigste Seite der Zeitung. Am 5. Januar 1990 war sie zu großen Teilen dem singenden Baggerfahrer Gerhard Gundermann gewidmet, der bis 1989 in der Lausitzer Rundschau nicht mehr stattfinden durfte. Er war Ende der 70er-Jahre wegen unerwünschter eigener Meinung aus der SED ausgeschlossen und von führenden Genossen im Bezirk Cottbus zur Persona non grata erklärt worden. Er konnte auftreten und Platten machen, gewann 1987 den Hauptpreis und den Preis der Schallplatte bei den Chansontagen der DDR in Frankfurt (Oder), war 1989 Texter für das Album „Februar“ der Gruppe Silly, hielt auf dem „Kongreß der Unterhaltungskunst der DDR“ am 1. März 1989 eine bemerkenswerte Rede – aber in seiner Heimatzeitung fand er keine Erwähnung.

Zu Besuch bei Gerhard Gundermann

Aber nun war ja alles anders. Ich kannte Gundermanns Lieder, war ihm schon bei einigen Konzerten begegnet und dachte mir: Jetzt aber. Der hat was zu sagen, der muss in die Rundschau. Also besuchte ich ihn Ende 1989 in Spreetal. Er hatte schon vor „dem, was wir heute Revolution nennen“, davon gesprochen, jede Generation hätte 30 Jahre Zeit, ihre Ideale zu verwirklichen, und 15 wären für ihn schon um. Und bekräftigte nun: „Ja, die Generation vor uns hat sich an die Sessel und an die Macht geklammert, weit über ihre Zeit hinaus, für die ihre Ideen reichten. Und jetzt, wo wir endlich dran sind, untrainiert und unvorbereitet, steht schon die nächste Generation hinter uns, mit ihren eigenen Vorstellungen, und will an die Hebel. Da müssen wir uns konzentrieren und in kürzester Zeit das leisten, was wir können und wozu wir stehen.“

Gundermann: Optimismus im Januar 1990

Im Januar 1990 war noch eine Menge Optimismus in der Welt. Damals sang er in „Steinland“:
Wir ham‘s nicht zerrissen
Wir ham‘s nicht beschissen
Wir ham‘s nicht aufgeräumt
Wir ham‘s nicht eingezäunt
Wir sind hineingeboren
Und jetzt ham wir‘s aufm Hals. . .
Es ist doch mein Land
Und es ist auch dein Land
Ach in diesem Steinland sind wir beide zuhaus. . .
Sagte im Interview aber auch: „Ich bin ein Unterzeichner des Appells der 89, der eine totale Abrüstung der DDR vorschlägt. Ich finde es unverantwortlich, 20 Prozent des Nationaleinkommens für die sogenannte Landesverteidigung rauszuschmeißen. Heute braucht man keine Armee, sondern nur ’ne gutgehende Bank, um die DDR zu kapern.“
Im März 1990 kandidierte Gerhard Gundermann bei den Volkskammerwahlen für das Aktionsbündnis Vereinigte Linke, das 00,17 Prozent der Stimmen bekam.

Rundschau-Seite ist im Gundermann-Film zu sehen

Viele Jahre später sehe ich mir zum wiederholten Mal den Gundermann-Film von Andreas Dresen an, diesmal aber stutze ich an einer Stelle. Spule zurück, friere das Bild ein. Und tatsächlich! Es ist die Szene, als Gundermann und seine Frau Conny in die Wohnung von Gundis Vater, der gestorben ist, gehen. Ein Blick in die Schrankwand, es fallen den beiden jede Menge Zeitungsausschnitte über Gundi entgegen (Von wegen, der Vater hat sich nie für das, was Gundi macht, interessiert…). Und ganz oben auf dem Stapel der Zeitungsausschnitte liegt ein Text mit der Überschrift „Die Härte der Poesie“. Das gibt’s doch gar nicht, denke ich. Doch, gibt’s: Der Text stammt von mir! Eben von dieser Rundschau-Seite 3 vom 5. Januar 1990.
Durchaus eine Ehre, in Dresens Gundermann-Film quasi mitzuspielen!