Von Gerd Höhler

Die Beschaffung der russischen Raketen sei beschlossene Sache, bekräftigte Erdogan Anfang dieser Woche bei einem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin in Moskau. Wer versuche, die Türkei davon abzubringen, „kennt uns nicht“, so Erdogan. Damit eskaliert der Raketenstreit. Ende 2017 hatte die Türkei mit Russland einen Vertrag über die Lieferung von vier S-400-Raketenbatterien geschlossen. Die Waffensysteme sind nicht kompatibel mit den Strukturen der Nato. Schlimmer noch: Die USA fürchten, dass die Russen mit den Systemen, die ab Juli in der Türkei installiert werden sollen, Stärken und Schwächen des Tarnkappen-Kampfjets F-35 ausspionieren könnten. Die Türkei hat 100 F-35 bestellt, die ab November geliefert werden sollen.

Anfang April stoppten die USA alle Lieferungen von Trainingsausrüstungen für die F-35 an die Türkei. Vier prominente US-Kongressabgeordnete warnten diese Woche in einem gemeinsamen Artikel in der „New York Times“, wenn Ankara an den russischen Raketen festhalte, werde keine der bestellten F-35 jemals die Türkei erreichen. Außerdem drohten dem Land einschneidende Wirtschaftssanktionen.

Auf die Regierung in Ankara scheint das bisher wenig Eindruck zu machen. Erdogan kündigte auf dem Rückflug von Moskau an, er werde als Reaktion auf die „Provokationen der USA“ die Installierung der Raketen sogar beschleunigen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte am Mittwoch, man werde möglicherweise weitere S-400 sowie russische Kampfflugzeuge kaufen: „Wenn es mit den F-35 nichts wird, muss ich die Flugzeuge, die ich brauche, von anderen besorgen“, kündigte Cavusoglu an. Als Alternativen nannte er die russischen Muster Su-35 und Su-57.

Erdogan und seine Berater glaubten offenbar, die USA würden nachgeben. Außenminister Cavusoglu hatte jüngst angedeutet, er erwarte, dass Präsident Donald Trump das Thema zur Chefsache machen und den Konflikt lösen werde. Das hat sich aber bisher nicht erfüllt. Im Gegenteil, der Wind, der Erdogan aus Washington entgegenweht, wird immer rauer, wie das Ultimatum der vier Abgeordneten in der „New York Times“ zeigt.

Die Situation ist verfahren. Erdogans Raketenpläne sind nur ein Streitpunkt. Das Tauziehen um die Auslieferung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen, der seit 1999 in den USA lebt, dauert an. In Syrien kooperieren die USA militärisch mit der Kurdenmiliz YPG, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. Umgekehrt gibt es in Washington Kritik an den engen Beziehungen Erdogans zur radikal-islamischen Hamas.

All das hat auch Auswirkungen auf die Kräfteverhältnisse im östlichen Mittelmeer. Im gleichen Maße, in dem in den USA die Zweifel an der Bündnistreue der Türkei wachsen, gewinnt für Washington die Partnerschaft mit Griechenland, Israel und Zypern an Bedeutung. Die drei Länder kooperieren bereits in der Energiepolitik und militärisch. Die USA erwägen jetzt eine Aufhebung des Waffenembargos gegen die Republik Zypern, das Washington 1987 verhängt hatte, um das Wettrüsten auf der geteilten Insel zu beenden.

Möglicherweise hat Erdogan im Raketenstreit zu hoch gepokert. Der türkische Staatschef kann jetzt eigentlich nur noch verlieren: Wenn er bei der Bestellung der russischen Luftabwehrsysteme bleibt, riskiert er Sanktionen der USA, die eine neue Lira-Krise auslösen und die wenigen verbliebenen ausländischen Investoren vertreiben könnten.

Gibt er dem Druck der Amerikaner nach und storniert die russischen Waffensysteme, zieht er sich den Zorn Putins zu. Der könnte erneut, wie schon vor drei Jahren, einen Handels- und Tourismusboykott gegen die Türkei verhängen oder dem Land sogar den Gashahn zudrehen. Russland ist wichtigster Energielieferant der Türkei.