Ein Corona-Problem – gibt es das noch? Schließlich läuft der Lockerungswettlauf der Bundesländer. Und die Zahlen scheinen das Vorgehen ja zu bestätigen. Weniger als 17 000 Menschen bundesweit sind derzeit noch an Covid-19 erkrankt. Die Zahl der täglich Genesenen liegt doppelt so hoch wie die der Neuinfektionen. Zehn Infizierte stecken rein statistisch noch sieben Gesunde an. Mehrere Bundesländer haben bereits mehrmals Tage ohne jede Neuinfektion vermelden können. Das Gesundheitssystem hat den Stresstest bestanden.

Präsident der Bundesärztekammer: Deutschland wir zweite Corona-Welle erleben

So sieht der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, Deutschland zunächst „über den Berg“. Doch nicht für lange. Es sei „sehr wahrscheinlich“, dass Deutschland eine zweite Welle der Corona-Pandemie erleben werde. Die erwarten auch diverse Virologen. Und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warnt, es dürfe „in keinem Fall der Eindruck entstehen, die Pandemie wäre schon vorbei“.
In Vergessenheit gerät nämlich leicht, dass es gegen Corona noch immer keine Medikamente und keinen Impfstoff gibt. Auch wenn weltweit hektisch an beidem gearbeitet wird. Laut dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) sind global 138 Impfstoffprojekte angelaufen. Wann daraus aber ein Erfolg wird, ist völlig unklar.
Immer mal wieder werden damit Schlagzeilen produziert, dass bereits im Herbst oder zumindest zum Jahresende ein Impfstoff zur Verfügung stehen könnte. Was nicht nur diverse Experten bezweifeln. Die US-Biotech-Firma Moderna gilt als einer der großen Hoffnungsträger bei der Entwicklung eines Impfstoffs, denn sie hat als erste mit klinischen Tests begonnen. Aber auch Moderna erklärt, dass bei einem positiven Testverlauf das Mittel in zwölf bis 18 Monaten auf den Weltmarkt gebracht werden könne.

Fehlende Glasfläschchen und Abfüllanlagen für Corona-Impfstoff

Zudem betont der vfa, dass massenweise Impfungen nicht nur vom Tempo von Entwicklung, Erprobung und Zulassung abhängen, sondern auch von den Produktionskapazitäten. Deshalb sei es nicht entscheidend, welcher Impfstoff zuerst die Zulassung erreiche, sondern dass möglichst viele Impfstoffe die Zulassung erhielten und unter Nutzung vieler Anlagen hergestellt werden könnten. Und der Verband verweist auf ein weiteres Problem: „Ein nicht zu unterschätzender Flaschenhals für die Produktion der Impfstoffdosen“ sei die Verfügbarkeit von Abfüllanlagen und Glasfläschchen. Weshalb die Bundesregierung den Ausbau von Abfüllanlagen für Impfstoffe in Deutschland fördern will.
Auch die passende Therapie lässt weiter auf sich warten. Wer schwer erkrankt, für den stehen etwa nur fiebersenkende Mittel oder Sauerstoffgabe zur Verfügung. Das Beste wäre eigentlich, ein passgenaues Mittel allein für dieses Coronavirus zu schaffen. Das aber braucht Zeit. Zu viel Zeit, um es in dieser Pandemie noch zum Einsatz bringen zu können. Denn mit dem Entwickeln allein, was heutzutage schneller geht als früher, ist es nicht getan. Es müssen Wirksamkeit, Verträglichkeit und technische Qualität eines Medikaments nachgewiesen werden. Ist eine Arznei bereits für eine andere Anwendung zugelassen, sind Verträglichkeit und technische Qualität bereits dokumentiert. Dann fehlt „nur“ der Nachweis, dass das Mittel gegen das Coronavirus wirkt. Der vfa betont, denn auch bereits vorhandene Medikamente müssten „nur umfunktioniert werden, was schneller gehen würde als eine grundständige Neuentwicklung“. Zudem hätten die Zulassungsbehörden signalisiert, dass sie die Genehmigungsverfahren mit Priorität bearbeiten werden.

Remdesivir reicht nicht im Kampf gegen Corona

Als echter Hoffnungsträger unter den zwei Dutzend Projekten galt bisher Remdesivir. Das Medikament sollte eigentlich gegen Ebola helfen – was aber letztlich nicht funktionierte. Dann stellte sich jedoch in Laborversuchen heraus, dass das Mittel gegen Sars von 2002/2003 und Mers von 2012 wirkt – beides Coronavirus-Erkrankungen. Weshalb es auch gegen das heute grassierende Sars-CoV-2 getestet wird. Eine neue US-Studie, die sich auf Daten aus zehn Ländern, darunter Deutschland, bezieht, hat gerade gezeigt, dass mit Remdesivir behandelte Patienten im Schnitt vier Tage früher genesen als Erkrankte ohne das Mittel. Auch sei die Todesrate etwas geringer. Allerdings: Am besten wirke es bei Patienten, die noch nicht an Beatmungsgeräte angeschlossen werden mussten. Das unterstreiche die Notwendigkeit, Covid-19-Fälle frühzeitig „zu identifizieren und mit der antiviralen Behandlung zu beginnen, bevor die Lungenerkrankung so weit fortschreitet, dass eine künstliche Beatmung erforderlich wird“, schreiben die Forscher des National Institutes of Health. Remdesivir allein reiche nicht aus, um das Überleben von Corona-Patienten zu sichern. Möglicherweise sei eine Mischung aus mehreren antiviralen Mitteln hilfreich.

Malaria-Mittel erhöht Sterberisiko

Die Tests mit einem anderen Hoffnungsträger wurden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in dieser Woche sogar eingestellt. Auch Hydroxychloroquin und der verwandte Wirkstoff Chloroquin, seit Langem als Mittel gegen Malaria bekannt, zeigen antivirale Eigenschaften. Das war Grund genug für US-Präsident Donald Trump, Werbung für das Medikament zu machen und zu bekennen, es zur Vorbeugung selbst einzunehmen. Nur: Forscher der Harvard Medical School in Boston und des Universitätsspitals Zürich kamen jetzt nach Auswertung der Daten von 96 000 Patienten weltweit zu dem Ergebnis, dass Hydroxychloroquin und Chloroquin nicht nur keinen Nutzen bei Covid-19-Pa­tienten zeigen, sondern sogar das Sterberisiko erhöhen, vor allem durch schwere Herzrhythmusstörungen.
Angesichts dieser Lage gibt es offensichtlich keinen Grund für Sorglosigkeit und Übermut. Alle Länder, auch die mit sinkenden Fallzahlen, müssten „in höchster Alarmbereitschaft bleiben“, sagt die Covid-19-Beauftragte der WHO, Maria Van Kerkhove. „Denn das Virus wird die Gelegenheit, sich wieder auszubreiten, nutzen, wenn es kann.“