Senkrecht an den kahlen Wänden installierte Neonröhren leuchten matt die Szene aus. Den Boden der Kammerbühne bespannt ein schwarz glänzender Belag, in dem sich alle Aktionen spiegeln werden. Das ist der nüchterne Raum für „Freddie“, die bewegte und bewegende Hommage an einen der größten Sänger der Rockgeschichte.
Geboren wurde Farrokh Bulsara als Sohn indischer Eltern zoroastrischen Glaubens 1946 auf Sansibar, verstorben als Freddie Mercury 1991 in London an den Folgen von AIDS. Dazwischen liegt eine beispiellose Karriere: früh schulische Musikerfahrung, Flucht mit der Familie nach London, Abitur, Studium Grafikdesign, Roadie bei diversen Gruppen, 1970 Gründung von Queen. Ein Siegeszug mit Songs für die Ewigkeit. Nach Mercurys Tod ein oscarprämiertes Biopic, zuvor schon mehrere Ballette.
Nun ein weiteres am Staatstheater Cottbus. James Sutherland, in Pforzheim und Kaiserslautern gefeiert, konnte Ballettchef Dirk Neumann für die Produktion gewinnen. Er hat aus dem Stoff das Psychogramm eines Künstlers gemacht, der sich zwischen exaltierter Bühnenpräsenz und Liebessuche aufreibt. Sutherlands Kreation versackt nicht in biografischen Details, bietet kein tänzerisches Potpourri großer Hits und delektiert sich nicht larmoyant am tragischen Sterben eines rastlosen Egomanen: Dessen Tod bleibt gänzlich ausgespart.
Glitzernde Gestalten tauchen aus dem Dunkel auf
Der Choreograf blickt mit acht Tänzerinnen und Tänzern der Cottbuser Compagnie hinter die Fassade einer schillernden Persönlichkeit. Als glitzernde Gestalten scheinen sie im Dunkel der Szene auf, derweil vom Band Freddie bekennt, er sei ein musical prostitute. Bei Licht sieht man, wie gut Ausstatter Claus Stump Sutherlands Konzept unterstützt: Die Akteure tragen nur funkelnde Accessoires, ansonsten sind sie Mensch in hellen Trikots.
Aus dem Pulk werden sie zu streunenden Einzelwesen, erobern dynamisch den Raum. Um Wahrheit und Kampf drehen sich eingesprochene Texte, im Körper rumort etwas, will ausgepresst werden. Fotoprojektionen füllen die Wände, die englische Hymne klingt an, im Defilee ziehen Fredies schrille Outfits mit Boa und Engelsflügeln vorüber.
Der Privatmann zeigt sich im zerquälten Solo, in einer heterosexuellen Liebesbeziehung, die sich für ihn nicht echt anfühlt. „You Take My Breathe Away“, hast mein Herz gestohlen, singt er. Meine Songs haben eine Botschaft, sagt er im Interview. Und taucht auf der Szene im berühmten Video-Zitat miniberockt als prallbusige Putze mit Staubsauger auf.
„I Want To Break Free“ untermalt die erste homoerotische Erfahrung, dem der Mitschnitt eines Live-Konzerts folgt, dessen unverwechselbar gespannte Atmosphäre überwältigt. Bewegung flackert auf, die wie nach einem Rausch stoppt. Danach artikuliert sich in einem verzweifelten Solo wieder Freddies Dilemma, nach der gigantischen Show allein zu sein, getrieben, gefangen, verängstigt.
Das kulminiert im aufrührendsten Teil des hochemotionalen Abends, dem Duett von Alyosa Forlini als elektrisierendem Freddie und dem virtuosen Stefan Kulhawec, realer Liebespartner oder personifizierte Sehnsucht. Sutherland bringt hier all seine choreografische Meisterschaft ein, im dichten Wechsel umarmen sich die Tänzer, fangen einander auf, tragen die Liebeslast, finden gehetzt zu Hingabe, enden in Schuldgefühlen über das verfluchte Geschlecht.
Empfohlener Inhalt der Redaktion
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Youtube, der den Artikel ergänzt. Sie können sich diesen mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt
Sie erklären sich damit einverstanden, dass Ihnen externe Inhalte von Youtube angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden.
Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
„Who Wants to Live Forever“, Mercurys wohl schönste, intimste Ballade, begleitet in sanfter Klavierversion die Kernszene. Dies und die empfindsamen Übergänge zwischen teils weniger bekannten Queen-Songs verdanken sich Davidson Jaconello, der, Tänzer von Zürich bis Australien, auch als Komponist namentlich für Tanz erfolgreich ist. Ein Chorus von Arvo Pärt befriedet die Seele, doch Freddie ist nicht zu stoppen. So optimistisch schließt sich nach einer knappen Stunde der Kreis. Sutherlands dichte, akrobatisch gewürzte, geschmeidig fordernde Bewegungssprache bedient ideal Mercurys zerrissene Persönlichkeit und beschert dem Cottbuser Ballett einen Volltreffer im ohnhin exzellenten Repertoire.
Vorstellungen: 12./27.5., jeweils 19.30 Uhr; 11.6., 19.30 Uhr. Die Vorstellungen in dieser Spielzeit sind ausgebucht. Der Ballettabend ist ab 20. Oktober 2023 wieder in der Kammerbühne zu erleben. Am 1. Juni 2023 beginnt der Kartenvorverkauf für die Spielzeit 23.24. im Besucherservice und online unter www.staatstheater-cottbus.de.