Vor gut 170 Jahren ist Weißwasser ein kleines, verschlafenes Dorf mit gerade einmal 500 Einwohnern. Während im Umland schon der Reichtum an Kohle und Sand der Region für die Glasherstellung genutzt wurde, geht es in Weißwasser noch beschaulich zu. Als der erste Zug auf der neu gebauten Bahnstrecke Halt macht, soll sich das binnen weniger Jahre ändern – wie im 1871 gegründeten Deutschen Reich insgesamt.
Noch heute ist Glas im Alltag aller Menschen nahezu unverzichtbar. Das merkt man spätestens, wenn die Internetverbindung noch immer nicht auf Glasfaser umgestellt ist. „Görlitzer Kaufleute bauen 1872 den ersten Glasschmelzofen mit 16 Häfen und zwei Wohnhäuser und nehmen im Februar 1873 in ihrem Unternehmen „Glasfabrik Weißwasser Zwahr, Neubauer & Co.“ den Probebetrieb auf“, berichtet Glasmuseumsleiterin Christine Lehmann. Am 10. Februar 1873 entfachte der Sohn von Julius Neubauer das erste Feuer in einem Glasofen in Weißwasser.
Der Anfang der Glasindustrie in Weißwasser
Zwar geht das Unternehmen wegen fehlender Expertise drei Jahre später Pleite, aber Wilhelm Gelsdorf, einst Glasmacher im heutigen Brandenburgischen Friedrichshain, wird Besitzer der Glasfabrik, die heute unter der Gelsdorfhütte bekannt ist. Seit 40 Jahren lodert hier kein Feuer in den Öfen mehr, sondern höchstens noch durch Brandstiftung. Gelsdorf bringt damals, 1877, auch die ersten Glasarbeiterfamilien mit nach Weißwasser. Noch heute ist zu erkennen, wie rings um die Glashütten in Weißwasser – die Stadt wird Anfang des 20. Jahrhunderts zum größten Glas produzierenden Ort der Welt mit 30 Schmelzöfen und elf Glashütten – sich Wohnquartiere entwickeln. „Ohne die Glasindustrie hätte sich Weißwasser nicht so entwickelt“, resümiert die Glasmuseumsleiterin.
Übrigens sei in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die stark anwachsende Einwohnerzahl nicht nur aus Deutschland, sondern maßgeblich auch durch Zuwanderung aus dem Ausland zustande gekommen ist. Bis aus Frankreich, Schlesien oder den Niederlanden sind Arbeiter nach Weißwasser gekommen.
„Summer of Glass“ wird in Weißwasser gefeiert
Weil seit 1873 – mit einer kurzen Unterbrechung im Zweiten Weltkrieg – seit nunmehr 150 Jahren Glas in Weißwasser geschmolzen und verarbeitet wird, will Weißwasser das Jubiläum feiern. „Wir wollen die Glastradition mit Kultur und Kunst greifbar machen“, blickt Citymanager Frank Lublow voraus. Im vergangenen Jahr nämlich hat Weißwasser 100.000 Euro über den Sächsischen Mitmachfond für sein Jubiläum erhalten. So soll es ein „summer of glass“ – ganz im Sinne von Weißwassers Ehrenbürger Wilhelm Wagenfeld – geben. In Werkstätten nämlich soll sich gemeinsam dem Werkstoff Glas genähert werden – über Medien, Design, Theater oder Trachten. „Ich hoffe, dass die Veranstaltungen ein Erfolg werden und wir in 2024 hier stehen und vielleicht einen Nachfolger besprechen“, sagt Frank Lublow.
„Durch die Möglichkeit eines gewonnenen Preisgelds, haben wir in Weißwasser die Möglichkeit, unsere Geschichte als Stadt der Glasherstellung und -industrie im 150. Jubiläumsjahr würdig zu begehen“, meint auch Weißwassers Oberbürgermeister Torsten Pötzsch (Klartext). Während der jüngsten Stadtratssitzung nämlich schlägt die Verwaltung den Stadträten vor, einen Grundsatzbeschluss zur Durchführung der Festivitäten zu fassen. Der Stadtrat folgt dem einstimmig.
Anlässlich des Jubiläums in Weißwasser wird auch am Freitag, 10. Februar, um 17 Uhr eine neue Ausstellung zunächst in der Stadtbibliothek, dann im Glasmuseum eröffnet. „Wir wollen dabei nicht nur zurückschauen, sondern auch in die Gegenwart“, verrät Christine Lehmann. Dass nämlich Weißwasser bereits 2019 eine Partnerschaft mit dem tschechischen Kamenicky Senov eingegangen ist, soll nach den Corona-Jahren stärker zum Tragen kommen. Mehrfach musste zwar das internationale Glas-Symposium verschoben werden, allerdings hat es im vergangenen Jahr „endlich stattgefunden“, wie die Glasmuseumsleiterin berichtet. 20 Künstler haben dabei mehrere Gravuren angefertigt, die nun in Weißwasser zu sehen sind.
Die Ausstellung gilt als Eröffnung des diesjährigen Jubiläums. Mehrere kleine und größere Veranstaltung im Laufe des Jahres werden noch folgen, ist man sich im Glasmuseum und im Rathaus einig.
Schlagwörter
Weißwasser