Auf der Flaniermeile in der historischen Altstadt von Görlitz erinnert an diesem Sonntagnachmittag äußerlich kaum etwas daran, dass die größte Stadt der Oberlausitz an diesem Tag vor einer Zäsur steht. Auf dem schicken Obermarkt parken die Reisebusse und schütten pulkweise Touristen aus.
Die Straßencafés füllen sich nach dem Regen vom Vormittag gerade mit Gästen, und auf dem Untermarkt lässt eine einsame Straßenmusikerin mit ihrer Querflöte Melodien von Mozart erklingen.
Doch abseits der schönen Sonntagsbeschaulichkeit stehen die 46.000 Wahlberechtigten der 56.000-Einwohner-Stadt an diesem Sonntag drei Wochen nach dem ersten Wahlgang zur Oberbürgermeisterwahl vor der Entscheidung.
Bekommt die Europastadt mit dem 37-jährigen Polizeikommissar Sebastian Wippel den bundesweit ersten AfD-Oberbürgermeister? Oder kann eine politische Allianz dies verhindern und der CDU-Kandidat Octavian Ursu (51) ins Rathaus einziehen?
Diese Stichwahl hat eine historische Dimension und wird deshalb bundesweit beachtet. Am Ende siegt CDU-Mann Ursu nach Angaben der Stadtverwaltung mit 55,1 Prozent. AfD-Kandidat Wippel liegt bei 44,9 Prozent. Somit kann Octavian Ursu der neue Oberbürgermeister von Görlitz werden.
Erster Wahlgang: AfD-Kandidat liegt in Görlitz vorn
Den ersten Wahlgang hatte der AfD-Kandidat mit 36,4 Prozent Ende Mai deutlich für sich entschieden, aber nicht als eindeutiger Gewinner. Auf den zweiten Platz kam der CDU-Politiker Octavian Ursu mit 30,3 Prozent, auf Platz drei Franziska Schubert von den Grünen mit 27,9 Prozent.
Deshalb muss sich die Stadt jetzt im zweiten Wahlgang für einen neuen Oberbürgermeister entscheiden.
Die politische Machtverteilung im Stadtrat: Seit der jüngsten Kommunalwahl ist die Alternative für Deutschland die stärkste Kraft (30,8 Prozent), gefolgt von den Christdemokraten (22 Prozent) und dem Verein Bürger für Görlitz.
Grün-Wähler stimmen in Görlitz für CDU-Kandidaten
Sascha Recht und seine Frau Ramona hoffen, dass der AfD-Kandidat unterliegt. Inständig. Sie haben dem konservativen Kandidaten von der CDU ihre Stimme gegeben, obwohl sie vor drei Wochen eigentlich die Grüne Franziska Schubert gewählt hatten.
Weil AfD einfach nicht geht. Wer Vielfalt, Weltoffenheit, das reiche kulturelle Leben und gute Standortbedingungen für die Wirtschaft in unserer Stadt erhalten will, kann nicht den AfD-Kandidaten wählen, sagt der 42-jährige Sascha Recht.
Er fürchtet um den weltoffenen Ruf der Stadt, die bislang viele Kreative, Studenten und mit dem Markenzeichen Görliwood internationale Filmschaffende anlockt.
Recht lebt erst seit knapp drei Jahren in der Grenzstadt , fühlt sich hier wohl und hat sich als Schwerbehinderter schon in verschiedenen Bereichen politisch engagiert. Aber: Ich war hier auch schon Angriffen und Beschimpfungen ausgesetzt, erzählt er.
Görlitzer Paar: AfD für mehr Sicherheit und Sauberkeit gewählt
Ein Paar, das seinen Namen nicht nennen will, hat seine Stimmen soeben dem AfD-Mann Wippel gegeben. Wir hoffen auf frischen Wind im Rathaus, auf mehr Sicherheit und Sauberkeit in der Stadt, benennen sie ihre Gründe. Und wir brauchen nicht noch mehr Einwanderer. Das reicht jetzt, ergänzt die 53-jährige Frau.
Im gleichen Wahlbezirk Nummer 21 haben im Wahllokal an der Schulstraße auch Margot Wüsthoff-Garbe und ihr Mann ihre Kreuze gesetzt. Die 83-jährige Seniorin unterstützt den AfD-Kandidaten.
Auf die Frage Warum? denkt sie erst einmal nach. Auch für sie steht das Thema Sicherheit an oberster Stelle. Die immer weiter gewachsene Kriminalität macht mir Angst, sagt die Rentnerin. Sie glaubt, dass der Kandidat, der Polizeikommissar ist, dies besser lösen kann.
Wählerin aus Görlitz: CDU war das kleinere Übel
Nicht als eine Herzenswahl, sondern nur die Wahl des kleineren Übels so bezeichnet eine 39-Jährige Görlitzerin ihre Wahlentscheidung vom Vormittag für den CDU-Kandidaten. Die Frau, die im Bildungsbereich beschäftigt ist, bangt um Errungenschaften, die Görlitz in den vergangenen zehn bis 15 Jahren auszeichnen.
Wir haben viele Projekte in der Soziokultur, die für das Klima in der Stadt wertvoll sind. Das ist wichtig, damit wir junge Menschen anlocken, die hier eine Zukunft haben wollen, sagt sie. Dass die demokratischen Kräfte in Görlitz zusammengehen, um die blaue Alternative zu verhindern, sieht sie als Zweckbündnis.
Sollte der CDU-Mann mit dieser Unterstützung gewinnen, darf er bei seinen Entscheidungen aber niemals vergessen, welche Wählergruppen ihn auch gewählt haben, sagt die 39-Jährige, bevor die Wahllokale schließen. Jetzt muss der künftige Oberbürgermeister mit solchen Forderungen umgehen.
Vor der Wahl hatten sich internationale Schauspieler, Oscar-Preisträger und Filmemacher mit einem offenen Brief an die Görlitzer gewandt und sie aufgefordert, sich nicht Hass und Feindseligkeit, Zwietracht und Ausgrenzung hinzugeben. Zu den Unterzeichnern gehörte auch der Schauspieler Daniel Brüh.