Von Marcel Laggai

Es war ein regelrechter Paukenschlag, der vor gut einer Woche für ein mediales Donnerwetter sorgte. Der Energiekonzern Leag hatte unvermittelt verkündet, dass das sächsische Dorf Mühlrose – nach jahrelangem Warten – nun doch umgesiedelt wird und damit dem Tagebau Nochten Platz macht.

Keine 24 Kilometer Luftlinie von Mühlrose entfernt liegt Proschim. Die Leag-Entscheidung wird man dort mit gemischten Gefühlen aufgenommen haben. Steht der Ort doch ebenfalls bereits seit Jahren vor einer möglichen Umsiedelung. Proschim ist ein Ort mit zahlreichen historischen Backsteinbauten, dem man als Durchreisender nur auf den zweiten Blick ansieht, welche inneren Konflikte dort seit Jahren schwelen und die Dorfgemeinschaft spalten. Unweit der Dorfkirche steht jedoch ein Anhaltspunkt für die tief verwurzelte Sorge. Die Rede ist von einem Schild, welches der Wunsch „Stoppt die sinnlose Vernichtungen von Ansiedelungen!“ ziert und der somit indirekt vor der möglichen Zukunft des Ortes warnt.

Konkret geht es um die drohende Abbaggerung Proschims durch den Tagebau Welzow-Süd. Sollte das Teilfeld 2 von der Leag nun doch für die Kohleförderung freigegeben werden, müsste das Dorf weichen. Für die Proschimer ist es in erster Linie aber wichtiger, nun endlich Gewissheit zu haben, ob der Zukunft des Ortes. Das wünscht sich auch Fred Krüger, der sehr gern im Ort wohnt, wie er beteuert. Als angestellter Maschinist bei der Leag steht Krüger sprichwörtlich zwischen den Stühlen – ein Umstand, den viele in der Region nachvollziehen können.

Einerseits geht es um einen festen Job und andererseits um die Heimat. Das relativiert der 35-Jährige jedoch ohne Umschweife. „Meine Heimat ist da, wo meine Familie ist, wo Freunde sind, und das Drumherum ist zumindest für mich nicht an einen Ort gebunden“, gesteht der Proschimer, dessen Freundin die Sache allerdings ein wenig anders sieht. Kein Wunder, betreibt Sabine Mittelbach doch seit 2004 den Reiterhof im Herzen Proschims. Seitdem habe sie den Hof peu à peu ausgebaut beziehungsweise ausbauen lassen, erklärt Krüger. Keine Rede von dem vielfach zitierten Investitionsstau. „Das kann sich so ein Hof auch gar nicht leisten, weil man den Gästen ja schließlich auch eine optisch ansprechende Umgebung bieten möchte“, so Krüger.

Während der Proschimer von den Hof-Plänen erzählt, ist ihm geradezu anzusehen, welches Herzblut er und seine Freundin bereits in das Grundstück investiert haben. Gleichwohl macht sich Krüger aber auch keine Illusionen: „Wenn die Leag sagt, dass das zweite Teilfeld kommen wird, dann müssen wir hier raus, und daran wird auch das für 2038 vorgeschlagene Kohle-Aus nichts ändern.“ Allerdings nehme er seinen Arbeitgeber dann aber in die volle Pflicht, für einen adäquaten Ersatz zu sorgen, beteuert der 35-Jährige. Unerwähnt lässt Krüger ebenfalls nicht den Punkt, dass seine Rente noch über 25 Jahre hin ist. „Natürlich möchte ich weiterhin Geld mit nach Hause bringen, sodass ich meinen Rentenabend später auch in vollen Zügen genießen kann.“ Ein klares Nein zur Abbaggerung würde diese Zukunft allerdings infrage stellen, ist sich Krüger sicher.

Ein anderer Bewohner Proschims, dessen Vorruhestand unmittelbar vor der Tür steht, ist Ortsvorsteher Gebhard Schulz. Schulz, der ebenfalls bei Leag tätig ist, zieht jedoch eine klare Grenze zwischen seinem Job und dem Posten des Ortsvorstehers. „Als Vorsteher stehe ich ganz klar auf der Seite von Proschim, und da habe ich mit Sicherheit keine Hemmungen, unsere Forderungen an die Leag mitzuteilen.“ Allerdings wünsche auch er sich endlich einen klaren Plan und konkrete Aussagen vom Energieriesen, wie es mit Proschim nun weitergeht, offenbart Schulz ohne Umschweife. Schulz weiß jedoch um die offiziellen Aussagen des Konzerns.

„Über die Fortführung des Tagebaus Welzow-Süd durch den räumlichen Teilabschnitt 2 werden wir, wie bei der Vorstellung unseres Revierkonzeptes 2017 angekündigt, im kommenden Jahr eine Entscheidung treffen“, erklärt Leag-Pressesprecher Thoralf Schirmer auf Anfrage der RUNDSCHAU. Weiterhin verweist der Unternehmenssprecher auf die noch fehlenden Aussagen der Bundesregierung, wie man mit den Empfehlungen der Kohle-Kommission umgehe, fügt er hinzu.

Derweil hat sich der brandenburgische CDU-Landesvorsitzende Ingo Senftleben zu Wort gemeldet und klar gegen eine Abbaggerung Proschims ausgesprochen. „Wir wollen, dass keine weiteren Dörfer in der Lausitz für die Braunkohle abgebaggert werden“, heißt es vom CDU-Mann in mehreren Medienberichten. Die Forderung Senftlebens rührt sicherlich auch daher, weil die Umsiedlung von Mühlrose just vor ein paar Tagen verkündet wurde.

Allerdings ist die Gemengelage im sächsischen Ort eine andere, wie Proschims Ortsvorsteher zu berichten weiß. „Während wir an unserem angestammten Platz wohnen bleiben wollen, hat ein Großteil der Bürger von Mühlrose nur auf die Umsiedlung gewartet“, so Schulz. Keine Verbitterung, sondern vielmehr Aufatmen, dass man mit Mühlrose nun endlich umziehen kann. Das beweist auch ein im Dorf stehendes Banner mit der Aufschrift: „50 Jahre war Kohle unser Leben, wir haben Freunde, Wälder und Straßen hergegeben. Haltet endlich euer Wort, lasst uns zum neuen Heimatort!“

Dass eine neue Heimat auch ein Neuanfang für die Dorfgemeinschaft bedeuten kann, beweist indes Haidemühl. Einst in direkter Nachbarschaft zu Proschim stehend, entwickelt sich das Dorf, am neuen Standort bei Sellessen, derweil blühend, wie Krüger weiß.

Es wäre daher auch eine Möglichkeit, um den Riss, der durch die Dorfgemeinschaft geht, wieder zu kitten, beteuert der Proschimer. Denn neben den gemäßigten Umzugsgegnern wohnen in Proschim auch strikte Kohle-Gegner, die beispielsweise die Schmutzbelastung durch den benachbarten Tagebau seit Jahren anprangern und eine Abkehr von der Kohle fordern. Zu ihnen zählt etwa Günter Jurischka. Der Stadtverordnete ist Mitglied der Fraktion CDU/Grüne Zukunft Welzow, in der sich auch Hannelore Wodtke engagiert. Die Welzowerin stimmte als Einzige gegen den Abschlussbericht der Kohle-Kommission. Grund sei der fehlende Vermerk im über 300 Seiten starken Bericht, dass das Dorf Proschim am Tagebaurand von Welzow-Süd verschont bleibe. Jurischka glaubt indes nicht, dass Proschim umziehen muss. „Die von Ministerpräsident Dietmar Woidke veranschlagten Milliarden für den Kohleausstieg werden niemals organisiert werden können, und daher sehe ich keine Gefahr.“ Weiterhin sei der Klimawandel ein weiteres Zeichen, dass es für die Kohleverstromung keine Zukunft gebe, prophezeit der Stadtverordnete.

Unabhängig davon halte es Jurischka für völlig utopisch, dass Welzow genügend Ausweichflächen für eine Umsiedlung bereitstellen könne. „Zu Proschim gehören insgesamt knapp 1330 Hektar Fläche und ich weiß nicht, wo die Welzower Bürgermeisterin diese hernehmen möchte“, wundert sich der Stadtverordnete. Bergbaukoordinator der Stadtverwaltung Welzow, Michael Pohl, hakt an dieser Stelle allerdings ein. „Darin sind aber auch alle Wald- und Ackerflächen enthalten, die bei einer Umsiedlung der Einwohner keine direkte Relevanz haben.“

Die eigentliche Siedlungsfläche von Proschim betrage derzeit ungefähr 60 und die zu Proschim zählende Ortslage Karlsfeld circa elf Hektar, ergänzt Pohl. „Wenn es zu einer Umsiedlung käme, hätte jeder Eigentümer Anspruch auf ein Grundstück mit vergleichbarer Größe zu seinem bestehenden Eigentum. Die Leag wird daher Ersatzgrundstücke, soweit verfügbar, anbieten und nach dem tatsächlichen Wunsch/Bedarf parzellieren.“