Von Liesa Hellmann

100 Meter, drei herzliche Begrüßungen – das ist, wenn man so will, der  Elisabeth-Jente-Quotient. Er zeigt, wie verbunden die jetzige Ruheständlerin der Stadt Lübbenau nach wie vor ist. Selbst an einem eisigen Montagnachmittag braucht es nur die kurze Strecke zwischen Poststraße und Sagenbrunnen, um zu erleben, wie sie von drei verschiedenen Menschen angesprochen, umarmt, eingeladen wird. Elisabeth Jente, so scheint es, gehört für viele zu Lübbenau wie die Kähne zum Spreewald. Zumindest für sie selbst ist es so: Seit 13 Jahren lebt sie nicht mehr in Lübbenau, doch die Verbindung zu der Stadt ist ungebrochen. „Jeden Tag wünsche ich mir, dass unser Haus Räder bekommt, damit ich es nach Lübbenau schieben kann“, sagt sie lachend.

Von Gyöngyös nach Lübbenau

Dabei war Lübbenau für Elisabeth Jente nicht von Anfang an der Ort ihrer Träume. 1988 zog sie mit ihrer Familie aus dem ungarischen Gyöngyös nach Lübbenau, wollte erst einmal ein Jahr bleiben und dann entscheiden, wie es weitergehen sollte. In Ungarn arbeitete Jente als Englischlehrerin an einer Hochschule. Es fiel ihr schwer, das aufzugeben, Mutter und Freunde zurückzulassen. Die Familie blieb ein weiteres Jahr in Lübbenau, dann noch eines, und schließlich waren die drei Kinder hier so gut integriert, dass sich die Frage „Bleiben oder gehen?“ nicht mehr stellte. „Aber dass es so bleibt, das hätte ich damals nicht gedacht“, erinnert sich Elisabeth Jente. „Es gab nie die feste, endgültige Entscheidung, hierzubleiben, das hat sich einfach verselbstständigt.“

Ganz ähnlich ging es ihr mit ihrer Stelle als Gleichstellungs- und Ausländerbeauftragte der Stadt Lübbenau, die sie bis 2018 ausgeübt und die sie in der Stadt bekannt gemacht hat. 1991 bewarb sie sich – auf den Rat einer Freundin und am letzten Tag der Bewerbungsfrist – auf die ausgeschriebene Stelle, nicht wissend, „was das noch für mich bedeuten würde.“

Aufgeheizte Stimmung

Zu Recht. Denn Anfang der 1990er-Jahre ist die Stimmung in Lübbenau aufgeheizt. Im Oktober 1990  wird der Pole Andrzej Fratczak das erste Todesopfer rechter Gewalt der vereinigten Bundesrepublik, von drei Deutschen verprügelt und erstochen vor der Lübbenauer Diskothek „Turbine“. Vor allem 1992 kommt es immer wieder zu rassistischen Übergriffen auf eine Unterkunft für Geflüchtete in der Breitscheid-Straße in Lübbenau. „Es war schwer, den Hass und die Atmosphäre zu ertragen. Aber auch die Sensationsjagd der Presse und des Fernsehens zu verarbeiten, war nicht leicht. Innerlich hatte ich keine Ruhe. Es war schwer, das alles seelisch zu verkraften.“ Doch Elisabeth Jente sagt auch:  „Ich hatte einen Unterstützungskreis, es gab Menschen, auf die ich mich verlassen konnte. Das war auch später mein Glück. In den vielen Feldern, in denen ich zu tun hatte, bin ich immer wieder auf Verbündete gestoßen, mit denen ich gemeinsam Ideen entwickeln konnten.“

Viele Projekte angeschoben

Diese Worte sind charakteristisch für Elisabeth Jente. Sie sieht sich selbst weniger als eine Macherin, sondern viel mehr als Frau, die das Glück gehabt hat, mit vielen engagierten Menschen zusammengetroffen zu sein. Jente hat in ihrer 27-jährigen Tätigkeit für die Stadt viele Projekte auf den Weg gebracht, von einer Ausstellung Lübbenauer Schüler bei der Unesco 1995, Projekten zur Wiedereingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt bis zu einer Lesung des damals noch weitgehend unbekannten Serdar Somuncu von „Mein Kampf“ Ende der 1990er Jahre.

Egal, über welches Projekt sie spricht, immer wieder betont sie, wie viel Unterstützung sie von anderen Menschen erhalten hat, von Ehrenamtlern, Stiftungen, Institutionen: „Das ist nicht allein mein Verdienst. Alles was wir erreicht haben, ist im Verbund entstanden. Und wenn die Partner nicht gewesen wären, dann wäre es nicht so geworden.“

Natürlich habe es auch Momente gegeben, wo nicht alles sofort so lief, wie sie es sich vorgestellt hatte. Doch Elisabeth Jente konzentriert sich, wenn sie über ihre Arbeit spricht, nicht auf Misserfolge, Rückschläge oder bittere Erfahrungen. Immer findet sie zu einem positiven Aspekt zurück. Wenn sie etwa über die frühen 1990er Jahre in Lübbenau spricht, erzählt sie weniger von den damaligen Ereignissen, als von den Unterstützern und Helferinnen. „Ich bin bis heute dankbar, dass  Familien Kinder von Geflüchteten zeitweise bei sich aufgenommen haben, damit sie die Gewalt nicht miterleben mussten. Das war ein tolles Gefühl.“

Ihre Begeisterung ist spürbar

Es ist wohl diese positive Grundeinstellung, die Elisabeth Jente nie ernsthaft an ihrer Arbeit zweifeln ließ. Ans vorzeitige Aufhören habe sie jedenfalls nie gedacht.

Doch was trieb sie fast drei Jahrzehnte lang an? „Interesse und Begeisterung“, sagt Elisabeth Jente. Und die spürt man. Wenn Elisabeth Jente über Engagement spricht, dann spricht sie aus Überzeugung. „Ich will etwas bewegen! In den Köpfen, in den Herzen. Wenn es Situationen gibt, die uns nicht gefallen, dann muss man Ideen dagegen entwickeln! Es gibt eine Lösung. Man muss sehr erfinderisch sein. Es braucht keine schematischen Lösungen, sondern etwas mit Pepp und Kick, was die Leute begeistert“, sagt sie und schnippt bei den Worten „Pepp“ und „Kick“ mit den Fingern.

Mit ihrer Begeisterung anstecken wollte Elisabeth Jente nicht nur Unterstützerinnen aus Politik und Gesellschaft. Erreichen wollte sie vor allem Kinder und Jugendliche mit Projekten zur Stärkung der Demokratie. Jente hat etwa die Holocaustgedenkstunde ins Leben gerufen, die heute von Lübbenauer Schulen gestaltet wird.

Engagement muss sein

Es ist bezeichnend für Elisabeth Jente, dass sie, wenn es um die emotionalsten Momente in ihrer Zeit als Ausländer- und Gleichstellungsbeauftragte geht, nicht von sich selbst, sondern von anderen Menschen spricht. Mit Kolleginnen der Stadt hatte sie Christoph Eigenwillig für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen und war bei der Verleihung mit dabei. „Nicht der Rang der Auszeichnung ist wichtig, sondern dass die gewürdigt werden, die man vorgeschlagen hat. Auf diese Erfahrung möchte ich nicht verzichten“, erzählt sie.

Im vergangenen Jahr wurde Elisabeth Jente in den Ruhestand verabschiedet. Erst einmal möchte sie noch etwas Abstand zu ihrer Arbeit gewinnen. Doch aufhören, sich zu engagieren, möchte sie nicht. Denn Engagement ist für sie „Lebenserfüllung und  Notwendigkeit.“

 

In einer neuen Serie stellt die RUNDSCHAU jede Woche Herzensmenschen vor. Es geht um Männer und Frauen, die mit Leidenschaft und großem Engagement ihre Sache verfolgen – oder in ihrem Leben eine Herzensentscheidung treffen mussten, die nicht ohne Risiko war und vieles verändert hat.

Wenn Sie Vorschläge haben, wer im Rahmen dieser Serie vorgestellt werden sollte, wenden Sie sich gern an die LR, am besten per E-Mail an red.spreewald@lr-online.de.