Von Frank Claus

Es ist die Frage, die sie in den letzten Wochen zuhauf gestellt bekommen haben und die sie bestimmt schon nicht mehr hören können: „Freust du dich auf die Schule?“ Die Antwort ist ein Mix aus „bloß anständig brav sein“ und „genervt“ – ein langgezogenes „Jaaaa“.

Das ist bei Simon Richter und Bastian Lehmann aus Prestewitz am Donnerstag nicht anders. Und zack – sind sie wieder weg. Toben über den Hof, springen in den Pool und kreischen. Dabei merken sie, dass es jetzt langsam ernst wird. Das große Zelt wird aufgebaut. Familienmitglieder und Freunde sind gekommen, stellen Stützen auf, ziehen Planen straff, hängen die Beleuchtung ins Zelt. Dabei ist es eher ein Zufall, dass die RUNDSCHAU gleich zwei Abc-Schützen auf einen Schlag begleiten darf.

Steve Lindner (36) und Stefanie Lehmann (29) sind Cousin und Cousine. Sonja Richter (33) ist Steves bessere Hälfte, Stephan Noack (33) gehört zu Stefanie. Irgendwann im vergangenen Jahr stand die Frage im Raum: „Wollen wir nicht gemeinsam den Schulanfang unserer beiden Jungs feiern?“ Die Sache ist schnell beschlossen und so herrscht nun Trubel auf dem Richter-Grundstück. Jeder hilft mit. Oma Silvia hat die ersten zwei Böden für den Kuchen fertig. Am Freitag kommt der Belag drauf.

Unterdessen steht draußen das Zelt. Das muss natürlich gewürdigt werden. „Plopp“, das Feierabendbier ist verdient.

Die beiden Muttis wissen längst, was ihre kleinen Männer anziehen werden. Simon eine kurze blaue Hose, eine schicke Weste mit Einstecktuch und ein helles Hemd. Bastian eine schnittige Jeans, dazu ein weißes Hemd mit Krawatte. Die Zuckertüten sind fast fertig gepackt, befüllt mit Süßigkeiten und vielen nützlichen Dingen für den Schulalltag. Alles natürlich noch streng geheim! Simon wollte unbedingt eine Tüte mit einem Polizeiauto drauf, Bastian steht auf Dinos. Klar: Die Eltern erfüllen die Wünsche.

Am Freitag wird das Grundstück geschmückt, mit Wimpeln und Luftballons. Und dann ist er da, der Tag der Schuleinführung. Stress gibt es nicht, die Abc-Schützen müssen erst 12.30 Uhr in der Schule sein. Dafür aber eine andere Herausforderung: Fast eine Stunde darauf achten, dass die schicke Robe jetzt nicht mehr schmuddelig wird. Denn auf dem heimischen Hof ist es viel spannender als auf dem Stuhl zu sitzen und zu warten.

„Bist du aufgeregt?“, fragt die Omi. Simon macht einen auf cool und drückt sich dann doch zuerst an Opa Ulrich und später an seinen Vater und sein kleines Brüderchen Tom. Der Vater zwinkert und sagt: „Na, ganz einerlei ist ihm das jetzt nicht mehr.“

Die Schule in Wahrenbrück ist erreicht. Im Foyer heißt es warten. Simon beäugt das Umfeld. Aus dem Hansdampf ist ein „scheues Reh“ geworden. Gut, dass Mama und Papa noch in der Nähe sind. Doch nicht mehr lange. Klassenleiterin Grit Schäfer übernimmt das Zepter. Die Kinder, die sie alle schon von der Vorschule kennen, folgen ihr ins Klassenzimmer. Die Steppkes können ihren Namen, der auf den Schulbänken steht, alle schon lesen. Simon und Bastian setzen sich, sind mucksmäuschenstill während sich ganz schnell herauskristallisiert, wer aufgeweckter und wer schüchterner ist. Einige plappern wild drauf los. Ein Junge kann die Tränen nicht unterdrücken. Es ist doch alles so neu.

Grit Schäfer merkt man an, dass sie Erfahrung hat im Lehrerberuf. „Ich glaube, es ist meine zehnte erste Klasse“, sagt sie. Mit ruhigem, kindgerechtem, aber bestimmenden Ton erklärt sie erste Regeln. Ellenbogen und Hände sind auf dem Tisch, „wir lümmeln nicht“ und „wir melden uns, wenn wir etwas sagen möchten“.

„Genau wie bei mir damals“, durchzuckt es den Schreiber dieser Zeilen. Und irgendwie entdecke ich mich in dem einen oder anderen Steppke, der mit Sicherheit noch gern im Kindergarten geblieben wäre, wieder. Grit Schäfer erklärt den Ablauf, macht die Kinder mit „Fridolin“, dem Fuchs vertraut.  „Wir sind schließlich die Fuchsklasse“, sagt sie und rechnet mit Sicherheit nicht mit dieser Antwort: „Könnt ihr euch denken, warum wir den Namen des Fuchses tragen?“, fragt sie und einer meint leise: „Weil wir böse sind?“ Die Lehrerin bekommt die Kuh natürlich schnell vom Eis. „Neeeiiin, weil wir so schlau und neugierig wie der Fuchs sein wollen.“

Dann geht es in Zweierreihe in die Sporthalle. „Willkommen, herzlich willkommen“, schallt es in dem Lied aus dem Lautsprecher. Schulleiter Reno Wolschke begrüßt alle. Dann bekommen die Kinder große Augen. Weil sie den Zuckertütenbaum entdeckt haben und weil die Falkenberger Tanzmäuse ein so liebevoll, inszeniertes Stück aufführen. Die Augen wandern mit, die Münder bleiben offen stehen. Simon schraubt sich in der zweiten Reihe immer wieder hoch, will keine Szene verpassen. Bastian sitzt vorn, verfolgt gespannt das Geschehen.

Wird es gelingen, am Baum Zuckertüten wachsen zu lassen? Die Tanzmäuse spielen und tanzen zauberhaft, sogar die Eltern sprechen nach, als sie aufgefordert werden, den Zauberspruch zu sagen, um es regnen zu lassen. Schließlich muss der Baum ja wachsen, um Zuckertüten-Früchte zu tragen. Kann es sein, dass sich in diesen Momenten weder Simon noch Bastian nach ihren Eltern umgeschaut haben? Sind sie angekommen in der Welt der Schule?

Auf lange Reden wird verzichtet. Das Stück hat alles gesagt. Der Schulleiter bittet jedes Kind zur Übergabe seiner Zuckertüte nach vorn. Bastian strahlt, „der Dino ist ja riesig“. Und Simon hat mächtig zu tun mit seiner Tüte, hält sie aber tapfer fest wie ein Mann. Jetzt suchen die Kinderaugen Mama, Papa, Oma und Opa.

Zuhause angekommen wird gemeinsam Kaffee getrunken. Und dann? Die feine Robe aus und ab in den Pool. An Abend berichtet Simon: „14 Zuckertüten habe ich bekommen.“ Nicht ungewöhnlich, wo jeder der Gäste sein Geschenk natürlich in Zuckertütenform überreicht. Und worauf freuen sich Beide jetzt am meisten? „Aufs Busfahren“, sagt Bastian und Simon nickt. Die Eltern schauen stolz. Und denken sie nicht gerade das, was alle Muttis und Vatis in diesem Moment durchfährt: „Unsere süßen Kleinen werden groß – und wir älter.“

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