Von Daniel Schauff
Das in Worte fassen? Na, viel Glück.
Es ist einer dieser Abende, an denen man glücklich das Theater verlässt. Nicht beseelt. Nicht verzückt. Nicht verzaubert. Aber glücklich. Und vielleicht ist es die Freiheit, die der Zuschauer da gespürt hat, die den Abend zu einem guten gemacht hat. Vielleicht ist es sogar die Musik, so vorgetragen, wie es eine Freizeitband eben tut. Unambitioniert, aber lustvoll schreibt das Staatstheater selbst über die Musik der Band, die aus Schauspielern des Ensembles besteht und Nirvana prägt. Das trifft es. Die Lust ist das, was glücklich macht. Vor allem, dass diese Band die Lust teilt.
Come as you are Komm so, wie du bist. Der Auftakt beschreibt das, was da in den kommenden eineinhalb Stunden passieren wird, ziemlich genau. Der Zuschauer kommt so, wie er ist. Der Schauspieler kommt so, wie er ist. So viel Symbolik im Nirvana-Klassiker, der sich plötzlich genau so anhört wie damals in den 90er-Jahren, als ein paar Nirvana-Fans bei einer Party die Musikinstrumente auspacken und losschrammeln. Einer kann sogar das Anfangsriff. Fast wie damals in den 90ern. Schön.
Was folgt, ist eine Utopie, die sich in einem Band-Proberaum entfaltet, und manchmal zur Dystopie wird, wenn der Buddha der Lausitz Trump, Kim Jong Un und Putin aufs richtige Knöpfchen drücken lassen will. Die Menschheit ausrotten, die Tiere dürfen weiterleben, sinniert er, als die überambitionierte Polit-Talk-Moderatorin ihn nach minutenlangem Monolog endlich zu Wort kommen lässt. Michael von Bennigsen und Lisa Schützenberger sind in diesem Moment am besten. Es geht um nicht weniger als das Ausrotten der Menschheit. Gerade eben hat eine Zuschauerin dem Lausitz-Buddha zugestimmt. Ja, der Mensch macht ohnehin nur alles kaputt. Ein dunkles Szenario, das die meisten Lacher bringt. Erst später denkt der Zuschauer vielleicht noch einmal darüber nach, was der Buddha der Lausitz da vorgeschlagen hat.
Und darüber, was da auf der Bühne geschehen ist. Danke, dass Sie da waren und den Abend zu einem anderen gemacht haben, heißt es in einem pinkfarbenen Begleitblättchen, auf dem das Nirvana-Alphabet abgedruckt ist. Das Nirvana-Alphabet ist ein anderes als das, was in der Schule gelehrt wird. Nirvana ist etwas anderes als das, was Theatergänger gelernt haben. Theater? Ja, vielleicht. Eine große Portion Freiheit auf der Bühne? Eher. Und Musik eben.
Das in Worte fassen? Gar nicht so einfach.
Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an Shockheaded Peter, die Struwwelpeter-Version mit der Musik der englischen Band The Tiger Lillies war mal am Staatstheater im Programm. Die eine oder andere Parallele gibt es. Vielleicht kennt der eine oder andere auch The Black Rider von Robert Wilson, William S. Burroughs und Tom Waits. Ja, auch da gibt es Parallelen. Aber eben lange nicht genug, um die Theaterproduktionen miteinander zu vergleichen. Nicht für Nirvana ist eine Band entstanden. Für eine Band ist Nirvana entstanden. In der Probenzeit hat das gesamte Team um Jo Fabian inklusive Videokünstler, Ton- und Soundtüftler das Experiment gewagt, sich einen utopischen Arbeits- und Lebensraum zu schaffen, heißt es in der Presseinformation zu Nirvana vom Staatstheater.
Das in Worte fassen? Alles andere als einfach.
Konfetti. Anarchie. Varieté. RocknRoll. Vier Begriffe, die irgendwie etwas mit dieser Produktion zu tun haben, aber lange noch nicht alles beschreiben, was auf der Bühne geschieht, die aus Monitoren, Instrumenten, Sitzmöbeln, einem Catering-Tisch und Dutzenden Details besteht und durch Klanginstallationen zu einem Erlebnisraum wird, der unbeschreibbar bleibt und wohl auch bleiben will.
Eineinhalb Stunden sind es, in denen sich die sechs Schauspieler und der eine Souffleur mit Zwängen und der daraus resultierenden Suche nach Freiheit beschäftigen, mal mit der Hilfe von Nirvana-Songs, mal aber auch mit psychedelischen Titeln wie Riders on the Storm von den Doors, mal mit Worten, mal mit Klängen. Dann öffnen sich die Türen und bleiben offen. Eine knappe Minute Schlussapplaus wird gewährt, dann wird weitergespielt. Noch anarchischer als zuvor. Noch lustvoller als zuvor. Noch spontaner als zuvor. Die Befreiung ist geglückt. Dafür aber musste erst die Zeit ablaufen. Auch, wenn die Zeit auf der Bühne nur eine Zahl auf einem Monitor war.