Ausnahmezustand im Wohngebiet um den Cottbuser Viehmarkt und am angrenzenden Bahnhofsgelände: Etwa 500 Einsatzkräfte der Polizei und Feuerwehr sind im Großeinsatz. Die Übung hat es in sich am Sonnabend – wird aber vorzeitig beendet. Denn Sondereinsatzkräfte werden nach Luckau (Landkreis Dahme-Spreewald) zum realen Fall gerufen. Im Zentrum der Kleinstadt an der Berste sind Päckchen aufgetaucht, die gefährlichen Inhalt vermuten lassen. Hier ist die Lage sehr ernst. Die Luckauer Innenstadt wird evakuiert.

Die Einsatz-Szenarien in Cottbus indes sind realistisch konstruiert, die Großübung ist über Monate akribisch vorbereitet worden. Das bestätigt Rathaus-Sprecher Jan Gloßmann. „Wir wissen, dass die Übung durch die Ereignisse von Halle eine neue Brisanz bekommen hat“, sagt er. Notfallpläne und Abläufe, in die Helfer verschiedener Institutionen und Organisationen involviert sind, müssen verlässlich ineinander greifen – obwohl die Einsatzkräfte vielfach noch nie miteinander gearbeitet haben im Ernstfall. Neben Polizisten und Feuerwehrleuten sind Rettungssanitäter, Katastrophenschützer und Behördenmitarbeiter beteiligt.

Szenario 1: Chaos im Personenzug – Einsatz auf dem Bahnhof

In den Cottbuser Bahnhof ist ein Zug eingefahren, in dem ein Mann eine Schusswaffe abgefeuert hat. Es gibt Verletzte. Am Gleis, auf das die Bahn umgeleitet worden ist und nunmehr gestoppt hat, finden sich schnell Eltern ein, die in panischer Angst um ihre Kinder zu den Wagen drängen. Einsatzkräfte der Polizei müssen den Täter ergreifen, die Fahrgäste in Sicherheit bringen.

Verschiedene Möglichkeiten des Zugriffes werden, streng abgeschirmt vor neugierigen Blicken von Zaungästen, geübt. „Polizei-Taktiken für diesen Ernstfall werden natürlich nicht öffentlich vorgeführt. Denn eine Anleitung für Straftäter wäre wenig hilfreich“, erklärt der Stadt-Sprecher. Die Komparsen, die die panischen Eltern spielen, aber wirken echt. Helfer des Roten Kreuzes und Polizisten müssen die Lage vor dem Zug in den Griff bekommen – Menschen beruhigen und den Einsatzkräften den Rücken freihalten. Koordination, Tempo, die – so sicherheitsrelevant – harte Ansage und der sensible Umgang mit betroffenen Leuten in der Extremsituation sind erforderlich.

Es gibt viele verletzte Menschen. Ein leitender Notarzt ist vor Ort auf dem Platz, zu dem sie gebracht werden. Nach Schwere der Verletzungen werden die Opfer zügig in Augenschein genommen. Denn die Ersthelfer müssen sie nach Priorität akkurat versorgen.

Szenario 2: Aus einem Tankwagen tritt eine nicht definierbare Flüssigkeit aus. Ein gefährlicher Stoff. Nur das ist sicher

Erstmals üben die Kräfte der freiwilligen Feuerwehren aus Cottbus und dem Spree-Neiße-Kreis gemeinsam den Einsatz bei einem Gefahrgut-Unfall. Sie bringen eine Drohne zum Einsatz. Doch der Versuch, die Warntafeln am Gefährt über das technische Auge aus luftiger Höhe ins Blickfeld zu bekommen, scheitert. Der havarierte Wagen steht auf einem Weg, der von hohen Bäumen umsäumt ist. Das Gefahrgutschild, auf dem bei Transporten der Art die Gefahren- und auch die Stoffnummer des Taninhaltes zwingend zu vermerken sind, ist nicht zu erkennen. Spezialkräfte der Feuerwehr müssen ran, um die Lage zu erkunden.

Das geht nur unter vollem Körper- und Atemschutz. Der Chemikalien-Anzug, der anzulegen ist, um sich selbst zu schützen, wiegt etwa 20 Kilogramm. Denn die speziell ausgebildeten Feuerwehr-Kameraden müssen vor ätzenden Stoffen sicher sein und Frischluft bekommen. Die Kleidung ist gasdicht. Auch die ausgestoßene Atemluft der Männer muss der Anzug während des Einsatzes aufnehmen. Das bestätigt Jörg Specht von der Cottbuser Berufsfeuerwehr. „Das heißt vor allem im Sommer, es wird sehr heiß. Die Leute stehen bei dieser Arbeit wirklich im Schweiߓ, erklärt er. Maximal 20 Minuten können die Kameraden in der Montur arbeiten.

Die Planer der Großübung haben sich eine besonders gemeine Substanz ausgesucht, die die Einsatzkräfe in den Griff bekommen müssen: Salzsäure. Die wässrige Lösung von Chlorwasserstoff ist farblos und klar, aber stark ätzden und giftig. Nur ein Liter Wasser, der locker in einer normalen Pfütze steht, kann zur aktuellen, noch warmen Jahreszeit bis zu 525 Liter Salzsäuregas lösen. Starke Reizungen und irreparaable Verätzungen mit Hornhauttrübungen drohen beispielsweise.

Die Kameraden arbeiten akkurat, verschließen das Leck im Tankwagen und neutralisieren die ausgetretene Flüssigkeit. Dabei stehen sie unter ständiger Beobachtung: Experten von Polizei und Feuerwehr zeichnen die Übungen unter anderem auf Video auf. Das ist wichtig, um die Einsätze konkret auswerten zu können. „Dabei geht es nicht darum, Kameraden zu maßregeln“, versichert Jan Gloßmann. „Die Übung ist ein Erfolg, wenn sie Fehler aufzeigt, die abgestellt dann werden können“, betont er. An der Analyse werden die Experten in den nächsten Tagen hart arbeiten.

Cottbuser Augenzeugen zeigen sich beeindruckt

Beeindruckt vom Einsatz der Kameraden und der Techik zeigen sich Zaungäste. Hagen Philo ist mit Sohn Lucas (5) zum Viehmarkt gekommen. „Wir haben von der großen Übung gehört und schauen uns um“, sagt er. „Wir waren schon oft bei Feuerwehrübungen. Aber solch große Einsatzfahrzeuge wie das Fahrzeug von der Einsatzleitung haben wir noch nicht gesehen.“

Konrad Haas (16), Schüler am Max-Steenbeck-Gymnasium, und Christian Rudnik (16) vom Fürst-Pückler-Gymnasium wirken als bei der Notfallübung mit. „Es ist nicht ganz leicht, sich in die Rolle der Opfer hineinzuversetzen. Wir mussten ganz schön unsere Hemmungen überwinden, um herumzuschreien und orientierungslos durch die Gegend und schließlich zu den Polizisten zu rennen. Das hat etwas Überwindung gekostet“, erzählt Konrad. „Und es war gar nicht so einfach, wieder aufzuhören und aus der Opferrolle rauszukommen. Auf keinen Fall möchten wir uns vorstellen, dass die Übung, in der wir heute mitgespielt haben, einmal Wirklichkeit wird“, ergänzt Christian.

Die Schüler sind überzeugend gewesen – wie die Einsatzkräfte und Helfer übrigens auch. Denn sie sind hauptsächlich ehrenamtlich aktiv – neben Job und Familie zum Schutz von jedermann, der in eine Notlage gerät. Daran erinnert der Cottbuser Rathaus-Sprecher abschließend.

Großübung in Cottbus

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