Von Steven Wiesner

Wer an Cottbus und die Bayern denkt, der denkt an Vilmos Sebök und sein Goldenes Tor im Oktober 2000. An Branko Jelic und seinen Doppelpack im März 2008. An Tomislav Piplica und seinen gehaltenen Elfmeter gegen Oliver Kahn im Februar 2002. Und vielleicht auch noch an Ervin Skela und sein direktes Freistoßtor von der Seitenauslinie im November 2008, beim bis heute letzten Cottbuser Auftritt gegen die Bayern in der Allianz-Arena. Kaum einer aber denkt beim ­Duell mit dem deutschen Fußball-­Rekordmeister an Alexander Knappe. Dabei verbindet auch den Cottbuser Sänger eine ganz ­pikante Geschichte mit dem FC Bayern – sie stinkt sogar ein bisschen.

Es ist Samstag, der 1. März 2003, als sich der damals 18-Jährige in den frühen Morgenstunden auf den Weg macht zum Stadion der Freundschaft.  In etwa zehn Stunden soll hier das Bundesliga-Spiel zwischen Energie Cottbus und dem FC Bayern München angepfiffen werden. Energie ist gut drauf und erlebt in diesen Tagen vielleicht sogar die beste Phase der Saison. Im Kalenderjahr ist der abstiegsbedrohte FCE noch unbesiegt, hat dabei unter anderem in Leverkusen und Bremen gewinnen können und in den letzten fünf Spielen mehr gepunktet als alle anderen Bundesligisten – auch als die weit enteilten Bayern, die vor diesem 23. Spieltag bereits zehn Punkte vor Titelverteidiger Dortmund liegen.

Die Lausitz lüstet also nach der nächsten Sensation gegen die Millionäre aus München. Auch Alexander Knappe tut das. Doch ein Ticket für das Spiel hat der leidenschaftliche Energie-Fan nicht. Also schmiedet er zusammen mit einem Kumpel einen Plan. „Wir hatten noch nicht viel Kohle“, erzählt er heute. „Erst später hat mir mein Opa eine Dauerkarte gekauft.“ Doch für das bevorstehende Highlight gegen die Bayern muss er sich noch etwas einfallen lassen. „Wir dachten uns, lass‘ uns doch mal früh um 5, 6 Uhr ins Stadion schleichen, auf der Toilette einschließen und erst zum Anpfiff rauskommen“, sagt Knappe. Es ist die Zeit, in der der Teenager des Öfteren Ausflüge ins wohl nicht ganz so gut bewachte Stadion der Freundschaft macht. „Wir haben gemerkt, dass man doch relativ einfach reinkommt, und sind nachts auch mal aufs Tribünendach geklettert.“

An diesem Samstagmorgen aber muss Alexander Knappe alleine mit dem Nervenkitzel fertig werden. „Mein Kumpel hatte wohl etwas Angst, deswegen bin ich alleine ins Stadion“, erzählt er. Mehrere Stunden verharrt er auf dem Männerklo, denn Anstoß ist erst um 15.30 Uhr. „Ich habe ein paar Zeitschriften gelesen. Die Zeit geht schneller rum als man denkt.“ Vor allem wenn der Puls steigt. „Als es dann immer näher Richtung Spiel ging, die ersten Leute auf die Toilette mussten und an meine Kabine klopften, hatte ich schon ein bisschen Bammel.“ Doch letztlich geht der Plan auf. Alexander Knappe kann sich an den Ordnern vorbeimogeln, in den Block C gelangen und sich wie so oft auf einen der Bäume setzen, die damals noch im Stadioninneren Wurzeln schlagen.

Knappes Erfolgserlebnis auf dem Männerklo bleibt aber der einzige Cottbuser Sieg an diesem Tag. Die Bayern mit dem Sturmdou Giovane Elber und Claudio Pizarro, dem heutigen Bayern-Trainer Niko Kovac als Abräumer im Mittelfeld und nicht zuletzt dem zweifachen Torschützen Michael Ballack (33., 58. Minute) lassen nichts anbrennen in der Lausitz. Mehr als einen Pfostenschuss von Timo Rost bringt Cottbus nicht zustande. „Da war schon ein Qualitätsunterschied erkennbar“, lässt sich Energie-Trainer Eduard Geyer später zitieren. Und Torwart André Lenz sagt: „Wir haben heute gegen den Deutschen Meister verloren.“

Eine Prophezeiung, die sich bewahrheiten wird. Genauso wie die Erkenntnis, dass Energie Cottbus nach drei Jahren im Oberhaus erstmal wieder zurück in die 2. Bundesliga muss. Nach dem Bayern-Spiel gehen auch die nächsten fünf Partien verloren. Bis zum Saisonende gelingt der Mannschaft nur noch ein einziger Sieg. Und so steigt Energie als Tabellenletzter ab.

Im August 2019 treffen sich Cottbus und die Bayern nun wieder. Auch Knappe, der inzwischen 34 Jahre alt ist und die Hymne „Wir kommen auch morgen noch wieder“ für den Verein eingesungen hat, ist dann wieder dabei. Sportlich sind die Rollen noch klarer verteilt als im März 2003. „Am Ende geht es darum, dass der Verein, die Fans und die Lausitz der Welt zeigen, dass es uns noch gibt, auch nach all den schweren letzten Jahren“, so Knappe. „Wir wollen ein positives Bild abgeben, den legendären Hexenkessel zum Leben erwecken. Und vielleicht gibt es ja einen Fußballgott am Montag. Alles kann, nichts muss.“

Aber ob er dann erneut den Weg über die Stadiontoilette wählt? „Nein. Es hat ja auch nix gebracht. Vielleicht ist es besser, das Stadion diesmal auf legalem Wege zu betreten“, lacht er und scherzt: „Energie Cottbus sollte vorher trotzdem nochmal alle Toiletten durchgehen.“

Der August hält aber noch einen weiteren Höhepunkt für Alexander Knappe bereit. Denn am 24. August lädt der Sänger in den Spreeauenpark zu einem Open-Air-Konzert. Und der Erlös soll seinem klammen Herzensverein zugutekommen. Alexander Knappe sagt mit einem Augenzwinkern: „Vielleicht sind die Einnahmen ja eine kleine Wiedergutmachung für damals.“

Vor dem DFB-Pokalduell zwischen ­Energie Cottbus und Bayern München blickt die RUNDSCHAU ­auf ­denkwürdige Spiele ­zwischen beiden Clubs zurück.
Lesen Sie morgen: Wie Heiko Weber sein einziges Spiel als Erstliga-Coach ausgerechnet gegen den FC Bayern erlebte.