Von Jan Siegel

Am Freitag wird die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ im Berliner Wirtschaftsministerium zu einer entscheidenden Sitzung zusammenkommen. Es gilt als einigermaßen sicher, dass an diesem Tag die Eckpunkte des Abschlussberichts besprochen und weitgehend entschieden werden. Der Bericht soll der Öffentlichkeit und der Bundesregierung am 1. Februar offiziell übergeben werden.

Als sicher gilt, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der kommenden Woche, vor dem 1. Februar, noch einmal mit den vier Vorsitzenden der Kohlekommission sowie den Ministerpräsidenten der Kohleländer treffen wird, um Streitpunkte und offene Fragen vom Tisch zu räumen.

Weil aus der 28-köpfigen Kohlekommission in der Vergangenheit immer wieder Wünsche, Forderungen und Zwischenergebnisse recht schnell an die Öffentlichkeit durchgestochen worden waren, gab es in den Entwürfen bei brisanten Themen lange immer noch einige Leerstellen, die mit „XXX“ gekennzeichnet sind. Ein Ausstiegsdatum enthält ein 123 Seiten langer Entwurf daher noch nicht, der seit Donnerstag bekannt ist und über den die Kommission am Freitag beraten soll. Die „XXX“-Stellen sollen bei der Sitzung schon durch konkrete Zahlen ersetzt werden.

Viel länger als der Berichtsentwurf ist ein Anhang von 194 Seiten. Dort finden sich die Projektlisten der Kohleländer für den Strukturwandel.

In den vergangenen Tagen hatten die vier Vorsitzenden der Kohlekommission mit ihren Assistenten sowie zwei Arbeitsgruppen, bestehend aus Mitgliedern der Kommission, hinter verschlossenen Türen mit Hochdruck nach Kompromisse und Lösungen in den strittigen Punkten gesucht.

Welche Kohlekapazitäten sollen vom Netz?

Die Kommission wird Vorschläge zur Abschaltung von Kohlekraftwerken unterbreiten. Zahlen gibt es im Berichtsentwurf noch nicht. Es zeichnen sich aber Tendenzen ab. Dabei geht es sowohl um Reduzierungen bis zum Jahr 2022 und in einem zweiten Schritt bis zum Jahr 2030. Diskutiert wird über eine Abschaltgröße von sieben Gigawatt bis zum Jahr 2022. Bis zum Jahr 2030 soll die Leistung deutscher Kohlekraftwerke dann von derzeit rund 43 Gigawatt um mehr als die Hälfte auf etwa 20 Gigawatt reduziert werden. Ein schwieriger Knackpunkt scheint das weitere Vorgehen nach dem Jahr 2030 zu sein. Während die Umweltverbände bisher öffentlich den Kohleausstieg bis dahin ganz abgeschlossen haben wollen, hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine Überprüfung der Abschaltungen um das Jahr 2030 angeregt. Er argumentiert mit der ungewissen Entwicklung der Strompreise und der Netzstabilität. Absehbar ist, dass die Abschaltung großer Kapazitäten relativ günstigen Kohlestroms, die Energiepreise in die Höhe treiben wird. Gleichzeitig fehlen für Alternativen bisher noch die notwendigen Übertragungsnetze, die beispielsweise Ökostrom aus Norddeutschland in den Süden transportieren.

Zu Gewährleistung der Versorgungssicherheit wird offenbar ein Investitionsprogramm für Gaskraftwerke diskutiert.

Regelmäßige Überprüfungen

In den Jahren 2023, 2026 und 2029 sollen die Schritte der Energiewende dem Berichtsentwurf zufolge „einer umfassenden Überprüfung durch ein unabhängiges Expertengremium“ unterzogen werden, um gegebenenfalls nachzusteuern. Kontrolliert werden soll, wie der schrittweise Ausstieg aus der Stromgewinnung aus Braun- und Steinkohle sich auf das Erreichen der Klimaziele, die Strompreise, die Sicherheit der Stromversorgung, Arbeitsplätze, Strukturwandel und regionale Wertschöpfung auswirkt.

Um Verbraucher nicht zu sehr mit steigenden Strompreisen zu belasten, empfiehlt die Kommission laut Entwurf, „eine Reduzierung der Übertragungsnetzentgelte in angemessener Höhe zu prüfen“ und dafür „gegebenenfalls die erforderlichen Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen“. Netzentgelte sind ein wichtiger Bestandteil der Stromkosten. Subventionen für energieintensive Unternehmen sollen Fortbestand haben und erweitert werden.

Gibt es Entschädigungen für Kraftwerksbetreiber?

Die Energieunternehmen pochen bei vorzeitigen Abschaltungen auf Entschädigungen. Es deutet sich an, dass bei Abschaltungen bis Mitte der 2020-er Jahre auch die Umweltverbände derartige Entschädigungszusagen unterstütze, um langwierige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Die Kohlekommission strebt dem Berichtsentwurf zufolge den schrittweisen Kohleausstieg im Einvernehmen mit den Kraftwerksbetreibern an. Sollte es bis Mitte der 2020er Jahre keine Einigung auf Entschädigungen mit den Betreibern geben, empfiehlt der Bericht aber staatlichen Zwang. Ein konkretes Entschädigungsmodell wird die Kohlekommission der Bundesregierung wohl nicht vorschlagen. Als Vorbild gilt aber das Modell der schon jetzt praktizierten Sicherheitsbereitschaft von Kraftwerken. Für die Stilllegung von bereits vereinbarten 2,7 Gigawatt erhielten und erhalten die Kraftwerksbetreiber insgesamt 1,6 Milliarden Euro.

Unbeantwortet wird wahrscheinlich im Bericht der Kohlekommission die Frage bleiben, ob und welche Entschädigungen es für Kraftwerke geben soll, die erst nach 2030 vom Netz gehen.

Mehr Zeit für den Osten?

Weil vor allem in der Lausitz die Kohleindustrie eine entscheidende Bedeutung für die wirtschaftliche Stabilität der gesamten Region zwischen Berlin und Dresden hat, deutet sich an, dass die Leag mehr Zeit für den Ausstieg aus der Braunkohle bekommen könnte. Abgeschaltet werden sollen daher zuerst teilweise sehr alte Kraftwerke im Rheinischen Revier, die teilweise bereits in den 1960-er Jahren gebaut worden sind. Das Vorgehen wird vor allem in Sachsen und Brandenburg nicht unkritisch gesehen. Dort befürchten Politiker, Gewerkschafter und Wirtschaft, dass die Vorleistung im Rheinischen Revier großzügig entschädigt wird und die Lausitz dann später leer ausgeht. Gestützt wird diese Befürchtung von Forderungen aus den Umweltverbänden. Dort heißt es , wer schnell aussteige solle dafür „belohnt“ werden. „Geld jetzt, abschalten irgendwann, das funktioniert nicht“, hatte Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser, der auch Mitglied der Kohlekommission ist, in der RUNDCHAU gesagt.

Perspektiven für die Kraftwerke in der Lausitz

Das genehmigte Revierkonzept in der Lausitz gilt bisher bis Anfang der 2040-er Jahre. Die Länder fordern bisher die vollständige Umsetzung. Das scheint aber in der Kommission bisher nicht durchsetzbar zu sein. Die Umweltverbände setzen bisher noch einen Komplettausstieg bis ins Jahr 2030. Eine Kompromisszahl wird möglicherweise in der Sitzung der Kohlekommission genannt. Als wahrscheinlich gilt ein kompletter Braunkohleausstieg spätestens in der zweiten Hälfte der 2030er Jahre. Der Co-Vorsitzende der Kohle-Kommission und Merkel-Vertraute Ronald Pofalla hat als Kompromiss ein Ausstiegsdatum 2038 ins Gespräch gebracht. Die Energieunternehmen haben für diesen Fall angekündigt, dass sie die Milliarden-Rückstellungen für die Rekultivierung der Tagebauflächen nicht aufbringen könnten. Damit drohen hohe Zusatzkosten, die der Bund und damit die Steuerzahlen aufbringen müssten, um die Bergbauhinterlassenschaften in der Lausitz in den folgenden Jahrzehnten zu beseitigen.

Milliarden für die Kohleregionen

Die Ostdeutschen Länder fordern bisher 60 Milliarden Euro in den kommenden 30 Jahren als Strukturhilfen für den Ausstieg aus der Braunkohle. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hält die Summe offenbar für abwegig. Er hat bei einem Spitzentreffen der Kohleländer mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und mehreren Bundesministern im Kanzleramt mehr Geld als die bereits zugesagt 1,5 Milliarden in Aussicht gestellt. Im Gespräch sind nach Informationen der RUNDSCHAU 18 Milliarden Euro zunächst bis 2030. Knapp die Hälfte der Strukturmittel soll nach Recherchen der LR in der Lausitz landen. Auf konkrete Summen für die nächsten Jahrzehnte festlegen will sich Scholz aber bisher nicht. Dabei argumentiert der Finanzminister mit dem weiteren Verfahren. Die Mega-Summe müsste in einem Gesetzgebungsverfahren auch durch die Länderkammer, den Bundesrat, gebracht werden. Bei solch großen Summen könnten andere Bundesländer blockieren und auch selbst für ihre Strukturschwachen Regionen fordern. Scholz plädiert daher für allgemeine Formulierungen bei der Festlegung von langfristiger Unterstützung für die Kohleregionen. Dieses Unschärfe aber wird beispielsweise in der Lausitz vehement abgelehnt. Ob der Abschlussbericht der Kohlekommission trotzdem konkrete Einzelmaßnahmen zur Strukturförderung enthält, lässt sich bisher nicht sicher sagen Die Länder und Regionen hatten das zwingend gefordert.

Schnelle Hilfen für die Reviere

Die Bundesländer sollen sich mit dem Bund zeitnah einigen, welche konkreten Maßnahmen bis Ende 2021 umgesetzt werden können. Die Kommission könnte empfehlen, für den Zeitraum 2019 bis 2021 ein Sofortprogramm als ersten Investitionsanreiz für die Kohlereviere aufzulegen. Bestandteil könnte eine Investitionszulage sein, um private Investoren anzulocken. Die Investitionszulage ist eine staatliche Subvention, durch die Investitionen in bestimmte Fördergebiet gelenkt werden sollen.

Bundesgesetz zur Strukturentwicklung in den Revieren

Ein sogenanntes Maßnahmengesetz, das die Strukturhilfen für die Kohlereviere regelt, soll vom Bundestag verabschiedet werden. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang offenbar die Gründung einer Stiftung, die die Strukturwandel-Milliarden des Bundes verwaltet. Als Vorbild dafür gilt der Ausstieg aus der Kernenergie. Dort gibt es bereits eine Stiftung. Ebenfalls diskutiert wird, ob ein Fonds oder eine Bundesbehörde das Geld für den Strukturwandel verwaltet. Die Lausitzrunde, ein Zusammenschluss aus mehr als 50 Kommunen in Brandenburg und Sachsen, hat dafür die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbauverwaltungsgesellschaft (LMBV) vorgeschlagen. Sie organisiert seit Jahrzehnten die Bergbausanierung in Ostdeutschland.

Im Maßnahmengesetz festgeschrieben werden sollen außerdem die strukturpolitischen Maßnahmen des Bundes, um die Reviere zu unterstützen. Ganz Konkretes gibt es dabei nicht. Die Rede ist von „Investitionen in die regionale Infrastruktur“ sowie „die Ansiedlung von Behörden des Bundes und von Sandorten der Bundeswehr“. Selbst Panzer waren dabei in den vergangenen Tagen in der Diskussion.

Die politische Diskussion beginnt erst

Der Abschlussbericht soll die Grundlage für die Erarbeitung eines Bundesgesetzes zum Kohleausstieg sein. Rechtlich verbindlich sind die Vorschläge im Bericht nicht. Es ist daher davon auszugehen, dass der politische Streit um den Kohleausstieg keineswegs mit dem Ende der Kohlekommission abgeschlossen ist. Im Gegenteil, er beginnt auf der politischen Bühne erst. Ein Gesetzentwurf dürfte umfassend diskutiert und von Lobbyverbänden aller Seiten attackiert werden.

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