Wo sie langradeln, drehen sich Menschen erstaunt um. „Klavierklänge auf dem Radweg?“, sagen die fragenden Blicke. Andreas Güstel aus Leipzig und Julian Eilenberger aus Schwerin sind das Duo Be-Flügelt. Die beiden hatten schon manche schräge Idee. Derzeit radeln sie musizierend durchs Land. Den Elberadweg entlang, von der Quelle in Tschechien bis zur Mündung bei Cuxhaven an der Nordsee - der längste CO2-neutrale Klaviertransport der Welt. Fürs Klavier wurde mit Unterstützung von Freunden ein spezieller Fahrradanhänger gebaut. So kann einer von beiden spielen, während der andere ordentlich in die Pedale treten muss.

Wie geht es Künstlern in der Pandemie?

Was nach einer Schnapsidee klingt, hat einen ernsten Hintergrund. So wie das Wasser sich seinen Weg bahne, tue das auch die Kultur, erklärt Andreas Güstel. „Wir wollen auf die Situation von Künstlern während der Pandemie aufmerksam machen“, ergänzt Julian Eilenberger. „Wir wissen, dass viele freiberufliche Künstler aufgegeben haben. Andere spielen mit dem Gedanken. Wir wollen Mut machen, das nicht zu tun. Sonst geht so viel von dem verloren, was dieses Land ausmacht.“
Andreas Güstel belegt das Problem mit persönlichen Erfahrungen. „Als Be-Flügelt haben wir im Dezember 2019 450 Karten verkauft. Ein Jahr später waren es ganze 7.“ Auch wenn inzwischen wieder Veranstaltungen erlaubt sind, so sei doch die Besucherzahl begrenzt. Nach der großen Durststrecke rette das kaum jemanden.
Dabei sind die beiden noch gut durch die Pandemie gekommen. Die Komponisten haben als Klavierduo inzwischen eine gute Fanbasis, die ihre romantischen Konzerte zu schätzen weiß. Zu Beginn des Lockdowns fragte ein Bekannter, wie es ihnen gehe und überwies eine größere Summe Geld. Andere Fans folgten dem Beispiel. „Wir haben den Vorteil, dass wir inzwischen recht bekannt sind“, gibt Julian Eilenberger zu bedenken. „Viele andere Künstler haben nicht dieses Glück, auch wenn sie genauso gut sind. Wer gerade von der Hochschule gekommen ist, der hatte gar keine Chance!“

Klavier-Tour an der Elbe erregt Aufsehen

Über all diese Dinge kommen sie unterwegs mit Menschen ins Gespräch. Immer wieder legen sie Stopps ein, spielen ihre selbst komponierten romantischen Stücke. Passanten scharen sich um sie, werfen Geld in den Zylinder. Gastwirte spendieren Essen und Getränke, Unbekannte bieten Obdach an. An manchen Tagen übernachten die Musiker in der freien Natur im Zelt.
Aufsehen erregt die Tour überall dort, wo die beiden vorbeikommen. Anstrengend ist das Abenteuer auf jeden Fall, gerade an den heißen Tagen, wenn die Reise am schattenlosen Elberadweg entlangführt. „Ich habe mich vor ein paar Tagen auf das Fahrrad eines Freundes gesetzt“, berichtet Julian lachend. „Ich dachte, das hat einen E-Antrieb, weil es sich so leicht fuhr. Dabei fehlten bloß die 250 Kilo Klavier plus Pianist und Gepäck im Schlepptau.“
Auf ihrer Reise begegnen der 37-jährige Julian Eilenberger und der 40-jährige Andreas Güstel, vielen Menschen, die ihre Idee gut finden. „Da war ein alter Mann, der uns im Fernsehen gesehen hatte und während der Fahrt Geld in den Zylinder geworfen hat“, erzählt Andreas. „Der Geldschein ist weggeflogen, und wir sind alle drei hinterhergelaufen.“ Julian berichtet von einem Mann auf einem Boot, der eine Geige hervorholte und in das Stück einstimmte, das Andreas gerade spielte. „Das war so berührend, da sind mir fast die Tränen gekommen“, erinnert er sich.

Extrempianisten führen Tagebuch im Internet

Über solche Erlebnisse schreiben die beiden in ihrem Blog. Unter https://tastdem.art.blog führen sie ihr Internettagebuch. Benannt ist der Blog nach ihrem Gefährt, das sie Tastdem getauft haben. 21 Tage haben die beiden Extrempianisten für ihre Reise eingeplant, gut die Hälfte liegt hinter ihnen. Die letzten knapp 300 von rund 1200 Kilometern haben sie noch vor sich. Von der Elbquelle in Spindlermühle haben sie ein Fläschchen Quellwasser mitgenommen, das sie die ganze Zeit begleitet. „Wir wollen es in die Nordsee kippen“, erzählt Andreas und meint augenzwinkernd: „Ein bisschen Kitsch muss sein.“