Eine Analyse von Bodo Baumert
und Dietrich Schröder

260 Millionen Euro – so viel Geld will die Nato in den kommenden Jahren in den Aufbau neuer US-Materiallager in Europa investieren. Eines davon soll im polnischen Powidz liegen, das hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg dem „Wall Street Journal“ mitgeteilt. In Powidz sollen laut Nato ab 2021 gepanzerte Fahrzeuge sowie Waffen und Munition aus den USA vorgehalten werden.
Die Ankündigung reiht sich ein in die jüngsten Schritte der USA und der Nato in Osteuropa. Seit 2014 halten die Amerikaner im Rahmen der Operation  „Atlantic Resolve “ stetig wechselnde Truppenkontingente in der Region vom Baltikum über Polen bis ans Schwarze Meer. Darunter findet sich eine Kampfbrigade der Army mit ihren Panzern, die alle neun Monate durch eine neue Einheit abgelöst wird und permanent an gemeinsamen Manövern mit den alliierten Nato-Streitkräften teilnimmt.

Weniger Panzer in der Lausitz?

Was hat all das mit der Lausitz zu tun? Viel. Denn die Truppenablösung erfolgt meist per Schiene und Autobahn durch die Lausitz. Regelmäßige Sichtungen von Zügen voller gepanzerter Fahrzeuge zeugen davon. Die US-Truppen kommen in der Regel per Schiff aus den USA, landen in Deutschland oder den Niederlanden an und gehen dann auf den Transportweg gen Osten.

Von Holland durch die Lausitz nach Polen

Mittlerweile hat die US Army zusätzlich Depots in Europa angelegt, eines davon im holländischen Eygelshoven. So konnte vor wenigen Wochen eine gepanzerte Einheit der US Army direkt per Flugzeug in Berlin landen und von dort weiter nach Polen reisen. Ihre Fahrzeuge waren zuvor per Zug von Eygelshoven via Lausitz nach Polen verschickt worden. „Diese dynamische Truppenverlegung macht unsere Aktivitäten für mögliche Aggressoren schwer vorhersagbar und sendet ein klares Signal an unsere Nato-Partner“, teilte das US-Kommando in Europa mit.
Ähnlich könnte es zukünftig mit dem Lager in Powidz geschehen. Nur müsste das Material dann nicht mehr durch die Lausitz transportiert werden. Der Stützpunkt 60 Kilometer östlich von Posen könnte in einigen Jahren zu einer Art Drehkreuz der amerikanischen Streitkräfte in Polen werden. Bisher befindet sich dort eine Transportflugzeug-Basis der polnischen Armee.

In Powidz wird schon gebaut

In der wald- und seenreichen Umgebung wurden schon seit vergangenem Herbst Hunderte Bäume gefällt, um sie zu erweitern. Umweltschützer kritisieren, dass davon auch etwa 100 Hektar betroffen sind, die bisher zu einem Landschaftsschutzgebiet gehörten. „Die Fällarbeiten werden schon von den US-Streitkräften beaufsichtigt“, bestätigte Małgorzata Krokowska-Paluszak von der Regionalen Forstwirtschaftsdirektion in Posen der Zeitung „Glos Wielkopolski“. „Auch das Wasser- und Abwassersystem müsste dringend erweitert werden, denn es ist nicht für so viele Menschen und Technik ausgelegt“, warnt der Gemeindevorsteher von Powidz, Jakub Gwit. Für die Modernisierung der Wasserversorgung seien mindestens 14 Millionen Zloty (rund drei Millionen Euro) erforderlich, schätzt er ein.

Nato will Panzer schneller verlegen

Allerdings wird es wohl auch weiterhin Transporte durch Deutschland geben. Denn die Nato und auch die US-Armee haben sich das Ziel gesetzt, die Truppenverlegung innerhalb Europas deutlich zu beschleunigen. Dies wird in permanenten Manövern geübt, auch auf deutschen Truppenübungsplätzen wie Grafenwöhr in Bayern, wo am heutigen Samstag das Manöver „Allied Spirit X“ mit 5600 Teilnehmern aus 14 Nato-Staaten beginnt. Der Weg dahin führt aus Polen über Brandenburg und Sachsen.

Weitere Lager in Planung

Neben Powidz sind übrigens weitere Lager der US-Armee geplant, zwei davon Medienberichten zufolge in Deutschland. Wo genau, dazu gibt es bisher keine Angaben. Das Ganze ist Teil der neuen strategischen Ausrichtung der USA in Europa. Längst geht der Blick dabei über Westeuropa hinaus. Spätestens mit dem Nato-Gipfel von Warschau 2016 ist der Fokus auf Osteuropa gewandert – und auf eine gefährliche Konfrontation mit Russland.

Osteuropäer fürchten sich vor Putin

Seit der Annexion der Krim geht bei den osteuropäischen Nato-Partner die Angst vor weiteren Gebietsansprüchen Russlands um. Während die Westeuropäer eine eher symbolische militärische Absicherung im Baltikum stationiert haben – auch die Bundeswehr ist mit 1000 Mann dabei - nehmen die USA die Sorgen ihrer Partner sehr viel ernster.
Eine Antwort ist „Atlantic Resolve“ mit ihren stetig rotierenden Panzern und Hubschraubern. Eine weitere Antwort ist jetzt Powidz. Denn so weit im Osten – und so nah an Russland hat die USA bisher noch keinen Stützpunkt etabliert.

Polen wünscht sich „Fort Trump“

Polens Regierung hätte es gerne noch näher gehabt, näher an Kaliningrad, der russischen Exklave im Nato-Gebiet, in der die gefürchteten russische Raketen stationiert sind.
Und damit sind wir mittendrin im strategischen Gedankengut, dass in den USA derzeit viel diskutiert wird. Die sogenannte „Suwalki-Lücke“ beherrscht dort seit einigen Jahren das Denken. Gemeint ist der schmale Landkorridor zwischen Kaliningrad und Weißrussland. Hier stoßen die Nato-Gebiete von Polen und Litauen zusammen. Hier besteht die einzige Landverbindung zwischen dem Baltikum und dem restlichen Nato-Gebiet. Was, wenn russische Truppen diese Korridor besetzen würden und gleichzeitig mit ihren Raketen jeglichen Luft- und Schiffsnachschub über die Ostsee bedrohen?

US-Strategen schauen auf Polen

So geht die Debatte in den Sicherheitskreisen Washingtons. Die jüngste Antwort auf das Dilemma lautet: Polen. So steht es in einem jüngst veröffentlichten Strategiepapier des Center for Strategic and Budgetary Assessments, eines in Washington ansässigen Think Tanks. Eine deutlich aufgerüstete polnische Armee, unterstützt von US-Truppen könnte in der Lage sein, russische Offensiven aufzufangen und damit anderen Nato-Truppen den Weg ins Baltikum zu ermöglichen. Polen würde damit zu einem zentralen Partner der USA in Europa werden, heißt es darin.
In Polen stoßen solche Vorstellungen auf großes Interesse. Die Einschätzungen, welche Bedeutung Powidz für Polen hat, fallen im politisch tief gespaltenen  Nachbarland allerdings erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Verteidigungsminister Marisusz Blaszczak interpretiert  sie als „deutliche Bestätigung unserer strategischen Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten“. Schon bei den Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag des polnischen Nato-Beitritts hatte er Anfang März betont, dass „die Erhöhung der Zahl amerikanischer Soldaten in Polen das Hauptziel meiner Arbeit ist“ und dass dies ein „bedeutender Abschreckungsfaktor gegenüber einem eventuellen Aggressoren“ wäre. Alle Teilnehmer der Parade wussten, dass damit Russland gemeint war.
Die oppositionelle Zeitung „Gazeta Wyborcza“ kommt dagegen zu dem Schluss, dass „der Traum vom Fort Trump an der Weichsel für lange Zeit geplatzt ist“. Denn eigentlich  wünscht sich die national-konservative Regierung eine noch viel größere und ständige amerikanische Basis, die freilich zum einen sehr viel teurer wäre und zum anderen auch gegen die Nato-Russland-Grundakte von 1997 verstoßen würde, in der die Stationierung von Truppen in den östlichen Nato-Mitgliedsstaaten begrenzt wurde.

Suwalki-Lücke auch aus russischer Sicht

Was die US-Strategen und auch die Europäer in ihrem Denken vergessen, ist allerdings, dass ihre „Suwalki-Lücke“ aus russischer Sicht ähnlich dramatisch gesehen werden kann. Denn aus der Perspektive Moskaus gibt es zwischen Kaliningrad und dem Bündnispartner Weißrussland einen schmalen Streifen Nato-Land. Und genau in diesem konzentrieren sich immer mehr Truppen des einstiegen Feindes Nato. Auch die Bundeswehr steht mit ihrem Kontingent in Litauen gar nicht so weit weg von jenem Suwalki.
Aus russischer Sicht liest sich das Szenario so: Erst nimmt die Nato immer mehr Länder Osteuropas – auf deren Wunsch – auf. Und nun verlegt sie immer mehr Truppen in die Region, von Raketensystemen, wie sie etwa in Rumänien stehen, ganz zu schweigen.

Polen rüstet weiter auf

Auch Polen rüstet mit amerikanischer Hilfe weiter auf. Nachdem Warschau im Januar mit dem US-Rüstungskonzern Lockheed Martin der Kaufvertrag über ein mobiles Raketenabschuss-System unterzeichnet wurde, habe er jetzt noch mit den Amerikanern aushandeln können, dass einige Teile dieses Auftrags in polnischen Rüstungsbetrieben gefertigt werden sollen, berichtet Verteidigungsminister Blaszczak. Das System mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern kostet umgerechnet rund 365 Millionen Euro.
Russland hat längst reagiert und im vergangenen Jahr die Stationierung von Iskander-Raketen in Kaliningrad bestätigt. Reichweite: 500 Kilometer. Das entspricht fast der Strecke bis Frankfurt (Oder).
Von Abrüstung – verbaler wie tatsächlicher – sind Nato wie Russland derzeit weit entfernt.
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