Die ukrainischen Wähler haben es tatsächlich getan. Sie haben mit einem Rekordergebnis einen Komiker, einen Schauspieler, einen Präsidentendarsteller zu ihrem Präsidenten gewählt. In vergleichbaren Fällen würde man von einem politischen Erdrutsch sprechen. Doch so groß die Sehnsucht der Ukrainer nach einem grundlegenden Wandel auch ist, die Beharrungskräfte sind es wohl nicht weniger, und der Wahlsieger gibt allen Anlass zur Skepsis. Ausgang ungewiss.

Wolodymyr Selenskyj kommt ins höchste Staatsamt als ein Mann ohne politische Erfahrung, mit einer allenfalls virtuellen Partei im Hintergrund und ohne klares Programm. Was er über die Beziehungen zu EU und Nato, die er weiter entwickeln will, die Beendigung des Krieges im Osten, die Verbesserung des Lebensstandards und den Kampf gegen Korruption und Oligarchen äußerte, ging über Allgemeinplätze kaum hinaus.

Die Wahl war vor allem eine Abwahl des bisherigen Amtsinhabers Petro Poroschenko. Dieser hat in den vergangenen fünf Jahren nicht alles falsch gemacht. Aber er hat vor allem der grassierenden Korruption und dem allgegenwärtigen Missbrauch politischer Macht zu wenig entgegengesetzt. Ja, der Oligarch und Schoko-Milliardär Poroschenko ist zu sehr Teil des Oligarchensystems geblieben, das er zu bekämpfen vorgegeben hatte. Die Menschen haben ihm nichts mehr abgenommen. Die Kluft zwischen der etablierten politischen Klasse einerseits und den meisten Ukrainern andererseits war so groß geworden, dass diese bereit waren, auf eine politische Wundertüte zu setzen, die vor allem die eine Hoffnung verkörpert: dass es so nicht weitergeht.

Aber kann Selenskyj die von ihm erhofften Wunder vollbringen? Kann er eine Wende in der ukrainischen Politik herbeiführen? Als Einzelkämpfer wird ihm das schwerlich gelingen. Wie will er Mehrheiten in einem Parlament organisieren, von dem es immer wieder heißt, dass vor wichtigen Abstimmungen Geldkoffer kursieren? Und sollte Selenskyj nur die Puppe eines anderen, mit Poroschenko verfeindeten, Oligarchen sein – was er zurückweist –, dann wäre auch er nur Teil eines Systems, das die Ukrainer satt haben. Was wird, wenn auch er die Hoffnungen enttäuscht?

Entscheidend für Selenskyj wird ferner sein, wie viel Spielraum ihm der starke Mann im Kreml – Wladimir Putin – lässt.

Die Ukrainer konnten sich frei entscheiden. Ob sie klug entschieden haben oder nur einem geschickt agierenden Populisten auf den Leim gegangen sind, ist längst nicht ausgemacht.

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