Die Antwort aus dem Kreml kam prompt. Kaum hatten die USA ihren Ausstieg aus dem Abkommen über nukleare Mittelstreckensysteme (Intermediate Range Nuclear Forces INF) verkündet, erklärte der russische Präsident Wladimir Putin den Vertrag ebenfalls für nichtig. Es ergebe keinen Sinn, argumentierte er, einseitig an einer Übereinkunft festzuhalten. Das war großes Kino. Mit der Realität hatte die Kreml-Show allerdings wenig zu tun.
Dabei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, ob Moskau, wie von der Nato behauptet, den Vertrag durch die Entwicklung neuer Marschflugkörper bereits gebrochen hat. Offensichtlich ist vielmehr, dass Putin die INF-Festlegungen seit Langem für eine Fessel der eigenen Außen- und Sicherheitspolitik gehalten hat.
Tatsächlich hat die russische Sicht der Dinge eine starke innere Logik, die man zwar unmoralisch finden mag. Die politische Klugheit gebietet es aber, diese Erwägungen nicht zu ignorieren.
Im Zentrum steht dabei die Frage nach Macht und Weltgeltung. Der verbliebene russische Einfluss basiert im globalen Maßstab fast nur noch auf militärischer Stärke, genauer: auf dem Nuklearpotenzial des Landes. Nur als Atommacht ist Russland weiterhin Supermacht.
Sich in diesem Bereich Beschränkungen aufzuerlegen, verringert folglich die eigenen Handlungsoptionen.
Noch etwas kommt hinzu: Die Debatte um ein neues Wettrüsten hat das Potenzial, den Westen weiter zu spalten. Vor allem die EU droht in eine noch tiefere Krise zu stürzen, denn russische Mittelstreckenraketen stellen nicht zuletzt für Europa eine Bedrohung dar.
Die EU aber verliert gerade mit den Brexit-Briten die einzige Atommacht außer Frankreich, und als Gemeinschaft der 27 ist sie nicht einmal im Ansatz auf eine Verschärfung militärischer Konflikte vorbereitet.
Der polnische Außenminister verlangt bereits neue US-Raketen in seinem Land. Berlin will lieber so schnell wie möglich mit den Russen verhandeln.
Nur: Worüber? Die bittere Wahrheit lautet, dass angesichts der Kreml-Logik alle Versuche zum Scheitern verurteilt sein werden, mit Putin neue Vertragslösungen anzustreben.