Zwei junge Frauen sitzen lesend unter weißem Sonnenschirm in den Dünen. Das helle Licht lässt den Sand gelb leuchten, im Hintergrund flirren Himmel und Meer in lichtem Blau. Das Gemälde ziert das Plakat der neuen Ausstellung im Potsdamer Museum Barberini und erinnert an bekannte Motive französischer Impressionisten. Doch der Künstler ist hierzulande ein Unbekannter: 1891 hatte der holländische Maler Ferdinand Hart Nibbrig seine Verlobte mit einer Freundin gemalt.
Er gehört zu den Amsterdamer Impressionisten, einer Gruppe von Künstlern, die sich ab 1880 herausbildete. Das Bild ist eines der Höhepunkte der Ausstellung zum holländischen Impressionismus unter dem Titel „Wolken und Licht“, mit der das Museum Barberini erstmals dazu einlädt, ein in Deutschland kaum bekanntes Kapitel der europäischen Kunstgeschichte zu entdecken
Das Ziel: die Farbe umarmen
„Die Landschaftsmalerei hat in Holland eine lange Tradition“, betont Ortrud Westheider, die Direktorin des Barberini. Die Künstler des 19. Jahrhunderts bezogen sich auf Vorbilder der Alten Meister und interpretierten sie neu. „In Holland war es das Wagnis, die Farbe zu umarmen“, erklärt Westheider. Wie dies am Ende gelang, zeigt die Ausstellung mit 110 Gemälden aus der Zeit von 1850 bis 1910, die den holländischen Weg in die Moderne markieren.
Sie setzt ein bei den Anfängen der sogenannten Haager Schule, die sich um 1850 herausbildete. Inspiriert von Werken der Maler von Barbizon, setzten Künstler wie Johannes Warnadus Bilders den Wald mit seinen Licht- und Schatteneffekten in Szene. Auch der junge Vincent van Gogh entdeckt den Wald als Motiv. Die beiden Frühwerke sind eine Entdeckung, auch wegen ihres dunklen Kolorits, doch ist hier bereits zu erkennen, wie der Maler mit der Farbe experimentiert.
Kollegen wie Willem Roelofs, Anton Mauve und die Brüder Wilhelm und Jacob Maris wählen als Motiv die Mühlen, aber auch das Vieh auf den Wiesen der Polderlandschaft. Der tiefe Horizont unter einem hohen Wolkenhimmel in Tönen von lichtem Blau bis silbrigen Grau wird prägend für die Haager Schule. Willem Maris formulierte: „Ich male keine Kühe, ich male Licht“.
120 Meter langes Rundbild vom Strand
Doch auch die Stimmungen am Meer und das Leben in dem kleinen Fischerdorf Scheveningen unweit von Den Haag faszinierte die Künstler. Zu den erfolgreichsten Malern der Haager Schule, gehört Hendrik Willem Mesdag. 1881, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, erhielt er den Auftrag, ein Panorama eben jener Strandlandschaft zu schaffen. Für das gigantische 14 Meter hohe und 120 Meter lange Gemälde wurde eigens ein Rundbau errichtet.
Dort stehen die Besucher auf einem Podest, das den Standort des Malers auf der höchsten Düne Scheveningens simuliert, und können den Blick schweifen lassen, von den roten Dächern Den Haags über den Scheveninger Leuchtturm, die Fischerboote am Strand bis zu den ersten Sommerhäusern und Hotels, die den Wandel des unberührten Fischerdorfes zum Touristenort ankündigen. Hauptakteur ist die Natur, die Wolken am Himmel und das Meer, nur wenige Personengruppen agieren darin. Bis heute fasziniert das Panorama mit dem Wechsel von Licht und Wolken und lohnt den Besuch.
Das monumentale Rundbild konnte natürlich nicht nach Potsdam reisen, dafür aber zahlreiche andere Hauptwerke von Mesdag sowie Bilder aus seiner Sammlung, die das Museum in seiner einstigen Villa mit Galerie in Den Haag aufbewahrt. Überhaupt profitierte die Potsdamer Ausstellung von der Begeisterung der niederländischen Kollegen, dass sich endlich ein Museum in Deutschland der holländischen Variante des Impressionismus zuwendet. Alle großen Museen hätten ihre „Kronjuwelen“ dieser Epoche nach Potsdam geschickt, wie Kurator Michael Philipp dankbar betont.
Licht und Farbe gewinnen ab den 1890er Jahren in den Bildern der Amsterdamer Impressionisten zunehmend an Bedeutung. Stadtszenen, der Wandel zur Moderne mit künstlichem Licht, werden zum Hauptmotiv. Isaac Israels malt die hell erleuchteten Auslagen eines Hutgeschäfts, in Jacobus van Looys Oranjefest glühen rote Lampions aus dem rotbraun schimmernden Dunkel. In den Bildern von Strand und Meer rücken die Freizeitaktivitäten des Bürgertums in den Mittelpunkt. Anton Mauves „Strandreiter“ von 1876 erinnern an ähnliche Szenen des deutschen Impressionisten Max Liebermann.
Auch der Garten wird zum beliebten Motiv, ob als Wirtschaftsgarten oder bürgerlicher Garten, wie ihn Künstler der unweit von Amsterdam gelegenen Kolonie Laren malten. Als Erster hatte sich hier Anton Mauve ab 1885 auf der Suche nach dem Idyll des einfachen Lebens niedergelassen, dass er in Darstellungen des bäuerlichen Alltags festhielt. Auch der amerikanische Maler und Industrielle William Singer, ein früher Sammler der holländischen Impressionisten, wählte sich Laren zum Exilort und baute sich 1901 eine Villa inmitten eines bezaubernden Gartens, der den Künstlern wie Monets Giverny vielfach als Motiv diente. Hier befindet sich heute das Singer Museum Laren mit der Sammlung Singer als Kernbestand, einer der Hauptleihgeber der Potsdamer Ausstellung. Der malerische Künstlerort lohnt den Ausflug, ein Rundgang erschließt die Spuren der einstigen Kolonie.
Auch Vincent van Gogh ist inspiriert
Ab 1900 setzt sich in den Werken des holländischen Impressionismus die Intensität der Farbe verstärkt durch, obwohl von der Kritik wie vom Publikum zunächst vehement abgelehnt. Jan Toorop griff in seinen Bildern den Pointillismus Seurats auf, den er in Brüssel kennengelernt hatte, arbeitet jedoch mit Tönen der niederländischen Landschaft. Auch von Vincent van Gogh sind zwei am Pointillismus orientierte Bilder zu sehen. Das intensive Blau seines „Hyazinthenfeldes mit Gärtner“ wirkt wie eine Befreiung.
Als Luminismus wird die letzte holländische Variante des Impressionismus bezeichnet, die sich vom Pointillismus ablöst. Bekannte Motive wie Leuchtturm, Bauernhof oder Mühle werden zunehmend abstrakt. Jacoba von Heemskercks „Wald“ etwa feiert Farbe und Ornament. Piet Mondrian, der ebenfalls zunächst zu den Luministen gehörte, lässt seine Pappelreihe am Wasser in zunehmend grellem Rot, Gelb, Blau und Grün leuchten.
Das letzte Kapitel schließlich weist den Weg der holländischen Impressionisten in die Moderne. Leo Gestel malt 1913 einen kubistischen Obstgarten in Lila, Blau und Grün, Jacoba van Heemskercks expressives Bild Nr. 86 (1918) lässt die Landschaft nur noch erahnen. Die schwarze Mühle, die Piet Mondrian 1917 als Silhouette vor einem Wolkenhimmel im Mondlicht malt, entstand parallel zu seiner Theorie zur Abstraktion. Die Schau endet mit seiner Rasterkomposition 1919, „Rekonstruktion eines Sternenhimmels“, die radikal mit der Kunst davor bricht. Die Ausstellung im Barberini ist eine Entdeckungsreise und Horizonterweiterung – unter dem hohen Himmel der holländischen Landschaft.
„Wolken und Licht. Impressionismus in Holland“, bis 22. Oktober 2023. Infos unter www.barberini.de