„Alle sind fort“, schreibt Erwin Berner vor zwei Jahren in seinem Buch „Zu einer anderen Zeit, in einem anderen Land“. Alle, mit denen der Schauspieler und Autor verbunden war, sind weggezogen oder gestorben: Seine Liebhaber, Kollegen, die Ladenbesitzer und seine Vermieterin in Berlin-Friedrichshain, wo er 1975 ein Zimmer bezog.
Jetzt ist auch er fortgegangen. „Wir trauern um Erwin Strittmatter-Berner“, heißt es in einer Todesanzeige von Familienmitgliedern und Gefährten. Der älteste Sohn des berühmten Schriftstellerpaares Eva und Erwin Strittmatter starb bereits am 5. Februar. Am 25. Februar wird er auf dem Friedhof Schulzenhof beigesetzt. Im Juni wäre der Schauspieler und Autor 70 Jahre alt geworden.
Rückkehr an den Ort, von dem er floh
Und so kehrt er zurück an einen Ort, von dem er lebenslang nicht wegkam und doch immer wieder floh. Viele Menschen um ihn herum wussten lange nicht, dass er eigentlich Erwin Strittmatter hieß. Genau wie sein übermächtiger Vater, dem er sich als Kind im strengen „System Schulzenhof“ rigoros unterordnen musste, wie er in seinen lange beschwiegenen „Erinnerungen an Schulzendorf“ 2016 beschreibt.
Im Interview bekannte er einmal: „Ich werde immer Erwin Berner bleiben. Mit einer Prägung, die ich viele, viele Berufsjahre nicht bekannt gegeben habe.“ Nur durch die Indiskretion einer Kollegin sei diese 1998 öffentlich geworden.
Ein neuer Name für die Karriere als Schauspieler
Seinen Familiennamen legt er ab, als er mit 18 Jahren die Erweiterte Oberschule abbricht und aus Schulzenhof flüchtet, um Schauspieler zu werden. Schon an der Staatlichen Schauspielschule Rostock gibt er sich den Künstlernamen Berner. Den Namen borgt er sich von seiner Urgroßmutter. Ihr Name bedeutete wohl weniger Druck als der andere. „Jedermann wollte ich sein, nur nicht der, der ich war“, begründet er, obwohl er zu dieser Zeit auch schon schreibt, seine Hinwendung zum Schauspielerberuf.
Sein Vater Erwin Strittmatter, der im Lausitzer Dörfchen Bohsdorf aufgewachsen und in Spremberg zur Schule gegangen war, kaufte 1954 vom ersten Nationalpreis das kleine Vorwerk bei Dollgow, Gransee, um seinen Traum vom Landleben zu verwirklichen. Dem ein Jahr zuvor geborenen Sohn Erwin aber war es zeitweilig ein „Albtraum in schöner Landschaft“.
Auseinandersetzung mit dem Elternhaus
„Nach außen schien es eine Idylle“, beschreibt er in seinen „Erinnerungen aus Schulzenhof“. Die Briefe, in denen er sich seine Kindheit und die Auseinandersetzungen in seinem Elternhaus von der Seele schreibt, liegen da schon fast 15 Jahre in der Schublade. Vor dem Tod der Mutter Eva Strittmatter hatte er es nicht übers Herz gebracht, sie zu veröffentlichen.
Schon als Kleinkind wird er wie auch seine Brüder, um das Werk des Vaters nicht zu gefährden, der Großmutter in Neuruppin in Obhut gegeben. Und doch sehnt er sich zurück. Er fälscht sein Zeugnis, um wieder in Schulzenhof leben zu dürfen. Der Preis ist hoch. Er muss sich dem „System Schulzenhof“ fügen: „Alle liefen auf Zehenspitzen, um den arbeitenden Vater nicht zu stören. Dennoch war niemand vor Übellaunigkeit und Zornesausbrüchen des Vaters gefeit“, heißt es in den Erinnerungen.
Hauptrolle in einem „Polizeiruf“
Lange hält das der sensible Junge, der glaubt von seiner Mutter den Hang zur Hysterie, aber auch die Sanftmut geerbt zu haben, nicht aus. Er entwickelt eine Gegenhaltung, schmeißt die Schule hin und sich in ein Abenteuer. Schon an der Schauspielschule bekommt er eine Hauptrolle in „Gesichter im Zwielicht“, einer Folge von „Polizeiruf 110“. Der nachdenkliche, kaum auftrumpfende, mitunter schwermütig wirkende Darsteller ist gefragt: In den 80er-Jahren dreht er für den Deutschen Fernsehfunk der DDR mehr als ein Dutzend Filme. Er steht auf Bühnen, hat eine Kinorolle in „Sonjas Rapport“. Im vereinten Deutschland werden die Rollenangebote weniger.
Das Schreiben rückt nun immer mehr in seinen Fokus, die Bitternis und Melancholie über etwas Verlorenes. Wobei das Gefühl, unerwünscht, anders zu sein, in der Familie, aber auch als Homosexueller, mitschwingt.
Und er kann sich schwer lösen von dem Mann, „der den Geburtstag seiner Pferde kannte, aber den Geburtstag seiner Söhne vergaß“. Viele Bücher seines Vaters liest er erst im späten Mannesalter. In seiner eigenen Literatur setzt er sich in poetischen Bildern und drastischen Worten, die beklommen machen, mit sich und seiner Herkunft auseinander. Er beurteilt nicht. Er verurteilt nicht. Er erzählt, wie es in seiner Erinnerung war. Einladungen vom Strittmatter-Verein nach Bohsdorf schlägt er rigoros aus. 2018 aber kann er mit der Herausgabe der Briefe von Eva und Erwin Strittmatter, die von ihrer schicksalhaften Liebe erzählen, über seinen Schatten springen.
2020 kommt dann sein Buch „Zu einer anderen Zeit, in einem anderen Land“ heraus, das sich auf das Eigene zu besinnen sucht, Sehnsucht und Missbefinden in sich vereint.
Das Gefühl, ein Anderer zu sein, wird er bis zu seinem Lebensende nicht abschütteln. Der andere Erwin Strittmatter aber hätte uns vielleicht noch viel zu sagen gehabt.
Erwin Berner-Strittmatter
Erwin Strittmatter, geboren 1953 in Ostberlin, war der älteste Sohn des Schriftstellerpaares Eva und Erwin Strittmatter, deren Bücher in der DDR zu den auflagestärksten und begehrtesten gehörten. Anfang der 1970er-Jahre legte er sich den Künstlernamen Berner zu und war bis in die 1990er-Jahre ein vielbeschäftigter Schauspieler. Später arbeitete er als Autor und schrieb Stück, Gedichte, Liedtexte und Prosa.