Diese weißen Rosen hat fast jeder schon einmal auf den Kopf gestellt gesehen. Schön sind sie in ihrer Reinheit und irdisch in ihrer Vergänglichkeit. Die weltbekannte Schwarz-weiß-Fotografie aus dem Jahre 1924 stammt von Tina Modotti (1896-1942). Das Brandenburgische Landesmuseum für moderne Kunst widmet ihr im Dieselkraftwerk Cottbus seit dem 4. März eine Ausstellung.
Nach dem frühen Experimentieren mit Stillleben tauchen bald Menschen in ihren Fotografien auf, werden schließlich zu ihrem Mittelpunkt. Um die Rosen aber ranken sich Legenden wie um die schillernde Persönlichkeit selbst. Pop-Queen Madonna soll mit der Modefirma „Esprit“ bei Sotheby's um die Wette darum gesteigert haben, erzählt Kuratorin Carmen Schliebe. Esprit habe dafür 164.000 Dollar hingeblättert und sie kopfstehend als Label genutzt. Modottis Rosen gelten als teuerstes Foto der Welt. Madonna aber sehnt sich danach, das Leben der geheimnisumwitterten Fotografin zu spielen.
Das Dieselkraftwerk Cottbus zeigt "Dorfleben" aus fünf Jahrzehnten
Fotografie in Brandenburg
Das Dieselkraftwerk Cottbus zeigt „Dorfleben“ aus fünf Jahrzehnten
Cottbus
Verständlich, denn rätselhafter, aufregender und umstrittener kann ein so kurzes Leben kaum sein. Für die einen ist sie die unermüdliche Kämpferin für die Armen und Verfolgten und eine friedliche, gerechtere Welt. Andere sehen in ihr eine stalinistische Agentin, eine Femme fatale, eine Ikone weiblicher Fotografie und der internationalen kommunistischen Bewegung. Der Versuch, ihrem Leben gerecht zu werden, zerrinnt zwischen den Fingern.

In Mexiko bewegt sie sich in der Künstler-Bohème um Diego Rivera

Tina Modotti wird als drittes von sechs Kindern in der norditalienischen Stadt Udine geboren. Ihr Vater emigriert in die USA und lässt die Familie in Armut zurück. Mit 16 Jahren folgt ihm Tina, arbeitet in Textilfabriken, dann in Hollywood-Stummfilmen. Als Modell und Muse des bedeutenden amerikanischen Fotografen Edward Weston geht sie mit ihm 1923 nach Mexiko. Angezogen von der revolutionären Aufbruchstimmung in Politik und Kunst bewegt sie sich in der Künstler-Bohème um den Wandmaler Diego Rivera, dessen Arbeit sie mit der Kamera dokumentiert.
"Hände eines Bauarbeiters" (1926)
„Hände eines Bauarbeiters“ (1926)
© Foto: Reinhard Schultz/Galerie Bilderwelt/BLMK
Dass Weston ihr Lehrmeister ist, wird spürbar in strengen geometrischen und grafischen Gestaltungsprinzipien, mit denen sie die moderne Industrie in Szene setzt und in der klaren, präzisen Bildauffassung. Aber sie geht darüber hinaus, experimentiert mit den Möglichkeiten der Mehrfachbelichtung und der Fotomontage. Sie versucht keine Kunst zu produzieren, sondern ehrliche Fotografien, beteuert sie. Und so verbindet sie in ihren Fotografien in ganz eigenwilliger Weise formalästhetische Werte mit sozialem Engagement und gesellschaftlich relevanten Themen.

Bilder voll Elend, Leid, Wut und Protest

Sie lebt von der Porträtfotografie. Ihre Bilder aber erzählen auch von Elend, Leid, Wut und Protest der Menschen in Mexiko. Oft allein mit Händen: Abgearbeitete Hände, die sich um Schaufeln klammern, Puppenspielerhände mit hervortretenden Adern, Kinderhände, die Wassereimer schleppen, Kaktusblüten, die sich wie schmerzverkrümmte Finger öffnen. Sie dokumentiert die Särge ermordeter Landarbeiter, Bauern- und Gewerkschaftsversammlungen, den Widerstand. Und da sind auch die berühmten Fotos, als Symbol für die mexikanische Revolution arrangiert: Patronengurt, Maiskolben, Sichel und Gitarre. Ein Ozean von Sombreros umspült die Zeitung „El Machete“. Die revolutionäre Bewegung drängt nicht nur nach Kunst, die von den Massen verehrt wird, sie lehrt der Landbevölkerung auch Lesen und Schreiben.
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Leipzig

Modotti soll Frida Kahlo mit Diego Rivera bekannt gemacht haben

Mit ungewöhnlichen Blickwinkeln schafft Tina Modotti eine stille Eindringlichkeit, die keinen Pathos zulässt. Und sie feiert nicht nur die Schönheit und das Selbstbewusstsein der indigenen Frauen von Tehuantepec. Fotografien ihres Lehrmeisters Weston offenbaren: Auch sie war eine Schönheit. Nicht nur in den Aktaufnahmen, mit denen nach dem Mord an dem kubanischen Revolutionär Julio Antonio Mella, der nach der Trennung von Weston ihr Geliebter wird, in den Zeitungen Rufmord betrieben wurde. Selbstbewusste Klugheit leuchtet in ihrem Gesicht auf, während sie sich mit der Malerin Frida Kahlo an einer Mauer lehnt. Oder in Monumentalgemälden von Diego Rivera auftaucht. Die Modotti hat die beiden miteinander bekannt gemacht, kursiert die Legende.
"Gitarre, Patronengürtel und Sichel" (1927)
„Gitarre, Patronengürtel und Sichel“ (1927)
© Foto: Reinhard Schultz/Galerie Bilderwelt/BLMK

Über Berlin landet die Fotografin schließlich in Moskau

1930 wird sie mit Vittorio Vitali von der Internationalen Roten Hilfe wie viele andere ausländische Kommunisten und Revolutionäre des Landes verwiesen. Über Berlin landet sie in Moskau. Die Vorreiterin der gesellschaftskritischen Concerned Photography wirft ihre Kamera in die Moskwa. So jedenfalls soll das der Dichter Pablo Neruda beschrieben haben. Kaum vorstellbar, dass das wörtlich gemeint war. Sie widmet sich nun, auch in geheimer Mission, ganz der politischen Arbeit der Kommunistischen Arbeiterbewegung, geht für die Internationale Rote Hilfe nach Paris und unterstützt dann als Krankenpflegerin den antifaschistischen Kampf der Spanienkämpfer.
Zurück in Mexiko endet ihr unstetes Leben mit nur 45 Jahren am 5. Januar 1942. „Denn die Flamme stirbt nicht.“ An diese Gedichtzeile im Nachruf des großen chilenischen Dichters Pablo Neruda knüpft die Cottbuser Ausstellung an. Noch immer geben die Umstände des frühen Todes der Schauspielerin, Fotografin, Antifaschistin, Revolutionärin und Femme fatale Rätsel auf. Wie auch ihr Leben.
Nur ihre Bilder können erzählen, wer sie wirklich war.

„Tina Modotti. Denn die Flamme stirbt nicht: Liebe, Leidenschaft und Revolution“ – Öffnungszeiten

Die Ausstellung „Tina Modotti. Denn die Flamme stirbt nicht: Liebe, Leidenschaft und Revolution“ ist bis zum 21. Mai 2023 im Dieselkraftwerk Cottbus (Am Amtsteich 15, 03046 Cottbus) von Dienstag bis Sonntag, jeweils zwischen 11 und 19 Uhr zu sehen. Am 7. März gibt es um 16.30 Uhr eine Führung mit Kuratorin Carmen Schliebe, ebenso am 15. März um 14 Uhr für den Kunstkreis 60+.
Leihgeber Reinhard Schulz ist ein ausgewiesener Kenner von Tina Modottis Werk. Er hat sich von 1986 bis 1989 auf Spurensuche nach Mexiko, den USA, Italien und in der einstigen Sowjetunion begeben und die präsentierten Exponate zusammengetragen sowie deren Produktion übernommen.
Weitere Informationen zur Ausstellung gibt es hier.