Herr Seehofer, wer hat jetzt nach der Europawahl die unangenehmere Position, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer oder die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles?
Seehofer An Wahltagen muss man Rechenschaft ablegen, unabhängig davon, ob man selbst Spitzenkandidat war oder nicht. Ich finde, dass man auch da klug und besonnen handeln sollte ohne hektische Reaktionen und nicht über Personalien reden, denn damit macht man die Lage nicht besser.
Wie lange kann Kramp-Karrenbauer die Position als Kanzlerin im Wartestand durchhalten?
Sie sind also der alte Öko, auf den nie einer hören wollte?
Seehofer Ich habe immer auf das Soziale und das Ökologische geschaut. In Bayern wollte ich noch einen dritten Nationalpark entlang der Donau ausweisen. Umweltschutz gehört in der modernen Zeit zum Kernbestand einer Volkspartei.
Was können Sie als Heimatminister tun, damit sich Menschen in ihrer Region nicht abgehängt fühlen, unzufrieden sind und sich dann vielleicht von den etablierten Parteien abwenden?
Seehofer Ich kann als Heimatminister dafür sorgen, dass neue Behörden nicht in Ballungsräumen angesiedelt werden. Deshalb kommt jetzt zum Beispiel eine Außenstelle des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik nach Sachsen, in die Nähe von Freital. Und bei der Verkehrsplanung darf es nicht nur um Wirtschaftlichkeit gehen, auch die Menschen in ländlichen Gebieten haben ein Anrecht auf Zugang zu allen Infrastrukturmaßnahmen. In Görlitz und Umgebung müssen wir uns um Sicherheitsfragen kümmern, wenn zum Beispiel in der Grenzregion massenhaft Diebstahl begangen wird. Dann muss ich als Bundesminister dem Freistaat Sachsen für die Grenzkontrolle mehr Polizeibeamte geben, und das werde ich auch tun.
Wir dachten, Sie wollen keine Grenzkontrollen außer an der Grenze zu Österreich?
Seehofer Ja, ich will woanders keine Schlagbäume. Aber wir wollen den grenznahen Raum besser kontrollieren. Dafür werden in Sachsen deutlich mehr Bundespolizisten eingesetzt. Das sind die Antworten auf extreme politische Parolen.
Heißt das, es geht allein um regionale Probleme und nicht um ein anderes Demokratieverständnis im Osten?
Seehofer Nein, es geht nicht um anderes Demokratieverständnis. Natürlich gibt es auch kulturelle Prägungen und historische Gründe. Aber man muss vor allem den Volksverführern die Munition aus der Hand nehmen. Denn die reden den Menschen ein, sie würden benachteiligt und nicht ernst genommen.
Wurde in der Migrationsfrage inzwischen etwas gelöst?
Seehofer National haben wir das Migrationsgeschehen inzwischen geordnet; ich kann sagen, wir haben es im Griff und steuern es besser. Europäisch sind wir meilenweit von einer Lösung entfernt. Zur Entspannung trägt weiter die EU-Türkei-Erklärung bei. Wenn ein Schiff der Seenotrettung vor Italien liegt, dann ruft man mich an, ob wir bereit sind, sieben oder zwölf Personen aufzunehmen. Die meisten anderen Mitgliedstaaten schweigen leider.
Wie soll man sich an Sie erinnern als Politiker?
Seehofer Was mich bewegt, das ist nicht diese Machtpolitik. Immer diese Fragen: Wie war das im letzten Sommer? Wie ist das mit Söder? Mit den bescheidenen Möglichkeiten, die wir als Regierungsmitglieder haben, sollten wir die Lage für die Menschen ein Stückchen verbessern.
Wann haben Sie das entschieden?
Seehofer Das war mir eigentlich klar, wie ich als Innenminister hierher nach Berlin kam.
Mit Horst Seehofer
sprachen Anne-Beatrice Clasmann
und Martina Herzog