Von Christine Keilholz

Abwanderung, Alterung und der Wegzug junger Frauen gefährden auf Dauer eine offene Gesellschaft. Eine neue Studie, die das belegt, hat hohe Wellen geschlagen (die RUNDSCHAU berichtete). In Ostdeutschland macht sich demnach Fremdenfeindlichkeit vor allem da breit, wo viele Frauen weggezogen sind. Das hat die Sozialwissenschaftlerin Katja Salomo vom Wissenschaftszentrum Berlin herausgefunden.

Weil Frauen mehr als Männer soziale Beziehungen in den Nachbarschaften pflegen, haben die betroffenen Regionen ein Problem, das weit über den Bevölkerungsverlust hinausgeht. Was lässt sich tun?

Einfache und schnelle Lösungen sind dafür nicht in Sicht. Um die Folgen von Abwanderung aufzufangen, sind viele Maßnahmen nötig. Die zeigen aber nicht sofort Wirkung. Sachsens Städte und Gemeinden setzen auf Rückkehrer – wie praktisch ganz Ostdeutschland. Die Länder haben entsprechende Agenturen gegründet, die um gut ausgebildete Landeskinder werben, die es in die Welt hinaus verschlagen hat.

Aber der Effekt solcher Aktionen lässt sich schwer messen. „Wir haben keine Daten darüber, wie viele Menschen tatsächlich zurück in die Region kommen, aus der sie stammen“, sagt Michaela Fuchs vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Halle. Die Wirtschaftswissenschaftlerin hat das Wanderungsverhalten von Ostdeutschen untersucht und festgestellt: Es kommen unterm Strich nicht viele zurück in die Heimat. „Das Rückkehrer-Phänomen schlägt sich bislang nicht auf dem Arbeitsmarkt nieder.“ Man habe nur höchstens „anekdotische Evidenz“ von Einzelfällen, die in den Regionen bekannt sind und mit denen die Kommunen gern werben.

In der Realität sind die Rückkehrer, die sich einstellen, nicht immer die, auf die die Heimat gewartet hat. Gewünscht sind Frauen und junge Familien, die Häuser bauen oder mit den Großeltern zusammenziehen sollen. Die gibt es – aber es sind zu wenige. „Tatsächlich kommen viele Ältere aus Westdeutschland zurück“, sagt Fuchs. Menschen also, die über 50 Jahre alt sind und in ihrer neuen Heimat nicht immer gute Erfahrungen gemacht haben. Man werde weiter intensiv werben müssen, um die potenziellen Zuzügler zu erreichen, die der Osten jetzt dringend braucht, meint Fuchs. Das sind vor allem Frauen, denn die sind seit den 90er-Jahren in Scharen weggezogen. Gegangen sind vor allem junge Frauen zwischen 18 und 29 Jahren.

Mittlerweile ist die Abwanderung gestoppt. Cottbus zieht wieder mehr Leute an als es wegzieht. Sachsen verzeichnet seit 2011 mehr Zuzug als Wegzug. Aber unter den Neu-Sachsen sind die Männer in der Überzahl – so kamen 2017 mehr als 56 000 Männer, aber nur 41 000 Frauen.

Trotzdem sind die Folgen früherer Abwanderung jetzt deutlich zu spüren. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich umgedreht, sagt Michaela Fuchs. Vor 2005 schickte der Osten die Menschen, für die es keine Jobs gab, nach Bayern oder Baden-Württemberg. Seit 2005 braucht der Osten Arbeitskräfte, die er nicht mehr ohne Weiteres bekommt.

Seitdem ist nicht mehr Arbeitslosigkeit das alles bestimmende Thema, sondern Fachkräftemangel. Doch das hat sich in der kollektiven Wahrnehmung noch nicht durchgesetzt. „Das Image, dass man hier keine Chancen hat, ist so festgesetzt in den Köpfen, dass es die Leute noch immer ihren Kindern sagen: Du musst hier weg, hier gibt es keine Arbeit.“

Die Lausitz gehört deutschlandweit zu den Regionen mit den höchsten Abwanderungsraten. Der Anteil der Jugendlichen unter 18 Jahren liegt unter 15 Prozent, dagegen sind mehr als 27 Prozent der Lausitzer über 65 Jahre alt.

Insbesondere in den entlegenen, wirtschafts- und strukturschwachen Regionen fehlen junge Frauen. Für diese Regionen rechnete bereits 2011 das Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung einen Männerüberschuss von 25 Prozent und mehr aus. „Diese Frauendefizite sind europaweit ohne Beispiel“, heißt es in der Studie mit dem Titel „Not am Mann“. Das Institut empfahl, Jungen besser zu fördern. Denn während Mädchen schon in der Schule auf die Karriere in der großen Stadt hinarbeiteten, blieben zu viele Jungen in den Leistungen zurück. Sie ließen sich dann anstecken von Mutlosigkeit und gerieten auf den Weg zu einer „neuen Unterschicht der zurückbleibenden Männer“.

Aber das trifft nicht auf alle zu, meint Tim Leibert vom Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig. Männer, sagt er, sind anders gesellschaftlich aktiv. Sie engagieren sich im Sportverein oder bei der Feuerwehr. „Auch das ist ein wichtiges Engagement für das Zusammenleben auf dem Land.“