Erik Stohn ist auf dem Weg der Besserung. Der SPD-Landtagsabgeordnete befindet sich in der Reha und arbeitet daran, sein linkes Bein wieder in Gebrauch zu nehmen. Hinter dem 39-Jährigen liegen schwierige Wochen der Genesung. Und jetzt will er aufklären, warum er, nachdem er einen Autounfall überlebt hatte, beinahe verblutet wäre.
Was war passiert? Stohn war am 10. Dezember vergangenen Jahres mit seinem Auto im Fläming unterwegs, als ein Reifen platzte und er gegen einen Baum geschleudert wurde. Wie er gegenüber dieser Zeitung berichtete, haben nachfolgende Autofahrer umgehend den Notruf alarmiert. Ein Rettungswagen kam und das Unfallopfer wurde nach Ludwigsfelde ins Krankenhaus gebracht. Diagnose: Ein Trümmerbruch im linken Bein und schwere Schnittwunden im rechten Bein, verbunden mit schweren Blutungen. Wie Stohn berichtet, haben ihm die Ärzte in Ludwigsfelde erklärt, dass ein älterer Patient so schwere Blutverluste wohl nicht überlebt hätte.

Disponent mit viel Hass im Bauch leitete den Einsatz

Anderthalb Monate nach dem Ereignis ist der Unfall von Erik Stohn zu einem Politikum geworden, das nicht nur die Verwaltungen von Teltow-Fläming und Brandenburg an der Havel beschäftigt, sondern auch das brandenburgische Gesundheitsministerium auf den Plan gerufen hat.
Bestürzung nach Tod eines Kindes (3) – warum kein Rettungswagen kam
Notfall mit Kind in Brandenburg
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Brandenburg/Havel
Mitte Januar wurde bekannt, dass der Disponent in der Rettungsstelle in Brandenburg an der Havel, der den Notruf zum Unfall von Stohn bearbeitet hatte, suspendiert worden ist. Durch die Anrufer in der Leitstelle, die den Politiker erkannten, wusste er wohl, dass es sich bei dem Unfallopfer um einen Politiker handelte. Die „Märkische Allgemeine“ berichtete, dass der Disponent laut Kollegenaussagen von „Volksverrätern der SPD und CDU“ gesprochen habe und sagte, Stohn hätte ruhig noch schnell fahren können.

Rettungsstelle mehrfach in der Kritik

Erik Stohn hat sich daraufhin an den Oberbürgermeister von Brandenburg an der Havel als Dienstherren der Leitstelle gewandt und um Aufklärung gebeten. Es geht ihm um die Frage, ob der suspendierte Disponent, der offensichtlich schon länger mit Verschwörungstheorien und homophoben Äußerungen aufgefallen war, seinen Rettungseinsatz verzögert hat.
Die kreisfreie Stadt hat eine Prüfung zugesagt. Es ist nicht die einzige. Die Leitstelle ist in den vergangenen Wochen nicht aus den Schlagzeilen herausgekommen. Für Aufsehen hatten zum Jahreswechsel Berichte gesorgt, nachdem in der Domstadt kurz vor Weihnachten nachts ein Notruf wegen eines herzkranken dreijährigen Jungen eingegangen war. Allerdings wurde kein Rettungswagen losgeschickt. Bei einem zweiten Anruf am Morgen fuhr ein Notarzt los, der nur noch den Tod des Kindes feststellen konnte. Gabriel Hesse, Sprecher des Gesundheitsministeriums, verwies am Freitag (27. Januar) darauf, dass eine Prüfung kein schuldhaftes Versagen des Mitarbeiters zutage förderte.
Wenige Tage später rückte die Polizei mit einem Großaufgebot in der Rettungsstelle ein, weil ein Mitarbeiter mit einer Spielzeugpistole herumgefuchtelt hatte und ein anderer daraufhin den Notruf der Polizei alarmierte. Außerdem gab es Berichte darüber, dass Mitarbeiter der Leitstelle Zuschläge für Wechselschichten kassierten, obwohl es diese Schichtform nicht mehr gibt. Die Lokalausgabe der „Märkischen Allgemeinen“ berichtet von 145.000 Euro, die unrechtmäßig ausgezahlt wurden.

Gesundheitsministerium hat keine Auffälligkeiten gefunden

Nach einem ersten Gespräch mit der Stadtverwaltung sieht das brandenburgische Gesundheitsministerium keine Anzeichen für eine Verzögerung im Fall Stohn. Demnach ging der Notruf um 14.05 Uhr bei der Polizei ein, 14.07 Uhr übernahm die Rettungsstelle, 14.14 Uhr war der Einsatzwagen der Feuerwehr vor Ort und 14.21 Uhr ein Notarzt am Unfallort. Hesse betont, dass sich sein Haus noch die genauen Einsatzprotokolle schicken lässt.

Fast zwei Stunden bis zur Einlieferung in die Klinik

Zurück zu Erik Stohn. Der will auch aufklären, warum er in welches Krankenhaus kaum und wieso das so lange dauerte. Ihm wurde inzwischen bestätigt, dass es eine Stunde und 51 Minuten zwischen dem Anruf in der Leitstelle und der Einlieferung in der Notaufnahme in Ludwigsfelde dauerte. Zeit, in der er im Rettungswagen mitten im Fläming saß und wartete. Stohn berichtet davon, dass der Notarzt „wild telefonierend“ auf und ab gelaufen sei. Ein Helikopter habe nicht zur Verfügung gestanden. Das bestätigt auch das Gesundheitsministerium. Die Leitstelle habe sich um einen Rettungshubschrauber bemüht, der jedoch wegen schlechten Wetters nicht eingesetzt werden konnte. Ministeriumssprecher Hesse gibt zu bedenken, dass noch unklar ist, wie lange Stohn vor Ort behandelt werden musste.
Fest steht inzwischen, dass sich das nächstgelegene Krankenhaus in Luckenwalde bereits zuvor wegen zu starker Auslastung vom Notfallsystem abgemeldet hatte. Also wurde es Ludwigsfelde. Stohn geht davon aus, dass man in gut einer Stunde auch in Potsdam hätte sein können. Er will nun von der Kreisverwaltung Teltow-Fläming Akteneinsicht, wie in seinem Fall der Transport entschieden wurde und welche Maßnahmen getroffen wurden, dass die Notaufnahme in Luckenwalde so schnell wie möglich wieder ans Netz gehen konnte.
Er selbst habe Glück gehabt, schätzt der SPD-Politiker rückblickend ein. Aber jetzt möchte er wissen, wie gut das Rettungswesen in Brandenburg wirklich aufgestellt ist.

Hilfsfristen in Brandenburg

Die gesetzlich festgelegten Hilfsfristen sehen für Brandenburg vor, dass in 95 Prozent der Fälle der Notdienst innerhalb von 15 Minuten vor Ort sein muss. Die Frist gilt ab dem Zeitpunkt der Erstalarmierung. Berlin hat keine derartigen Vorgaben und Bayern hat eine Fahrzeit von 10 Minuten vorgeschrieben plus eine nicht näher definierte Bearbeitungsfrist. Thüringen hat mit 17 Minuten in ländlichen Regionen die längste Hilfsfrist festgelegt.