An Gleis 1/2 am Bahnhof Friedrichstraße herrscht gähnende Leere, als wäre schon wieder Bahnstreik. „Kein Zugverkehr – Bauarbeiten“, steht an den Anzeigetafeln, an denen sonst die Züge Richtung Potsdam, Cottbus und Frankfurt (Oder) angekündigt werden.
Bis zum 25. Mai ist die Stadtbahn wegen Bauarbeiten zwischen Ostbahnhof und Friedrichstraße unterbrochen. Nach einer kurzen Verschnaufpause wird die Strecke vom 9. Juni bis 1. Juli für den Regionalverkehr dann noch einmal für drei Wochen gesperrt.

Kürze Takte, längere Züge erhöhen den Verschleiß

„Wir hätten gerne sogar sieben Wochen Sperrzeit gehabt, um alles auszutauschen, aber das wurde uns nicht genehmigt“, sagt Markus Schattschneider, Projektleiter der Deutschen Bahn. Denn die Stadtbahn, über die alle fünf Minuten ein Zug im Fern- oder Regionalverkehr rollt, gehört zu den meistbefahrenen Strecken in Deutschland und ist somit stark belastet. Der Verkehr habe in den letzten Jahren immer mehr zugenommen, die Takte wurden verkürzt, die Züge werden länger, erklärt Schattschneider.
Mit Schnellbeton fixiert Siegfried Hackebusch die Hülsen für die Spannklemmen an der Schienen. Wegen Erneuerung von Gleis- und Bahnanlagen in Berlin müssen Streckenabschnitte zwischen Hauptbahnhof und Ostbahnhof gesperrt werden.
Mit Schnellbeton fixiert Siegfried Hackebusch die Hülsen für die Spannklemmen an der Schienen. Wegen Erneuerung von Gleis- und Bahnanlagen in Berlin müssen Streckenabschnitte zwischen Hauptbahnhof und Ostbahnhof gesperrt werden.
© Foto: Annette Riedl/dpa
So bräuchte man eigentlich mehr Gleise, doch die Stadtbahntrasse, die erhöht auf einem Viadukt durch das Regierungsviertel führt, kann nicht erweitert werden. Also muss man alles immer mal wieder ausbessern. Besonders durch die engen Kurven erhöhe sich der Druck der Züge auf Gleise und Bahnanlagen, erklärt Schattschneider.

Nochmal drei Wochen Vollsperrung

Weil sich in den vergangenen Jahren Gleise, Weichen und Anlagen extrem abgenutzt haben, hat die Deutsche Bahn seit dem 11. Mai auf einem Streckenabschnitt von 800 Metern rund 3,2 Kilometer Schienen ausgewechselt.
Vom 9. Juni bis 1. Juli sollen dann zwischen Ostbahnhof und Friedrichstraße noch einmal 6,8 Kilometer Schienen ausgebessert werden. Viele der zerschlissenen Teile stammen aus dem Jahre 2009, manche noch vom Ende der 1990er-Jahre. Dazu kommt die Sanierung von über 1000 Befestigungspunkten, unter anderem auch an Brücken.
Rund 20 Bauarbeiter sind derzeit auf der Berliner Stadtbahn zwischen Hauptbahnhof und Friedrichstraße im Einsatz.
Rund 20 Bauarbeiter sind derzeit auf der Berliner Stadtbahn zwischen Hauptbahnhof und Friedrichstraße im Einsatz.
© Foto: Maria Neuendorff
20 Mann sind dafür täglich von 6 bis 22 Uhr zu Gange. Danach ist Schluss wegen des Lärmschutzes, erklärt Schienenbaumeister Erik Herrmann. Die bis zu 120 Meter langen Schienenteile können dagegen nur nachts verschweißt werden, da für diese Arbeiten die Temperaturen nicht zu hoch sein dürfen, erklärt der Fachmann.
Derzeit sieht man seine Mitarbeiter zwischen Friedrichstraße und Hauptbahnhof mit großen Schraubschlüsseln und Schnellbeton-Spritzen durchs Gleisbett wandern, um alles wieder festzumachen. Wie viele Dübel schon so beschädigt sind, dass sie ebenfalls ersetzt werden müssen, ist für die Arbeiter dagegen jedes Mal eine Wundertüte. „Hier waren es rund 40 Prozent. Da hatten wir noch Glück“, berichtet einer der Gleisbauer. „Zwischen Charlottenburg und Spandau mussten wir schon mal 90 Prozent austauschen.“

Auch Bahnhöfe werden saniert

Zwischen den neuen Schienen sieht man dicke gewellte Steine, die teilweise auch stark bröckeln und schon in Stücke zerfallen sind. Das seien Schallabsorber, die auf der Stadtbahn zwischen alten Mietshäusern und neuen Bürobauten Pflicht sind, weil sie bis zu 12 Dezibel schlucken können, erläutert Herrmann. Auch sie müssten ausgetauscht werden.
Die Schallabsorber auf der Stadtbahn in Berlin haben Risse und müssen erneuert werden. Dafür und für den Ausstausch von Schienen muss die wichtige Ost-West-Verbindung mehrere Wochen gesperrt werden.
Die Schallabsorber auf der Stadtbahn in Berlin haben Risse und müssen erneuert werden. Dafür und für den Ausstausch von Schienen muss die wichtige Ost-West-Verbindung mehrere Wochen gesperrt werden.
© Foto: Annette Riedl/dpa
Die Sperrzeit wird aber auch genutzt, um an den Bahnhöfen Friedrichstraße und Alexanderplatz Bahnsteige instand zu setzen und zu reinigen. Am Hackeschen Markt werden die Nord- und Südfassade sowie das Dach denkmalgerecht saniert. Und an der Jannowitzbrücke müssten Scheiben ausgetauscht werden, was nur von der Fernbahnseite aus möglich sei, heißt es von der Deutschen Bahn.
Für viele Pendler, die auf den Regional- und Fernverkehr angewiesen sind, bedeutet das Umsteigen auf die S-Bahn, deren Gleise von den Maßnahmen nicht betroffen sind.
Auswirkungen haben die Bauarbeiten auf die Linien RE1, RE2, RE7, RE8 und RB23. Bis zum 25. Mai, sowie vom 9. Juni bis 1. Juli 2023 fährt zum Beispiel der RE2 zu vielen Zeiten nur zwischen Berlin-Ostbahnhof und Cottbus. Normalerweise beginnt die Linie in Nauen.

RE1 endet aus Richtung Cottbus am Ostbahnhof

Der RE1 (Magdeburg–Berlin–Frankfurt (Oder)–Cottbus) fährt von Magdeburg aus nur bis Berlin- Charlottenburg sowie zwischen Berlin-Ostbahnhof und Frankfurt (Oder). Zwischen Wannsee/Charlottenburg und Ostbahnhof sollen Fahrgäste die S-Bahn nutzen.
Auch der Regionalexpress der Linie RE8 Nord der Ostdeutschen Eisenbahngesellschaft (Odeg) fällt im Abschnitt zwischen Nauen und Berlin Ostbahnhof aus.
Wer aus den Pendlerstädten im westlichen Umland nach Berlin fährt, hat allerdings die Möglichkeit, auf Regionalzüge der Linien RB10 und RB14 auszuweichen. Die Regionalzüge der Linie RE7 fahren während der Sperrung nur zwischen Dessau und Wannsee sowie zwischen Königs Wusterhausen und Senftenberg. Auch hier wird als Alternative die S-Bahn-Linie S7 empfohlen sowie zwischen Ostbahnhof und Königs Wusterhausen die Linie RE2.
Beim Fernverkehr entfallen unter anderem auf der Linie ICE10 Berlin –Hannover–Köln die Halte in Ostbahnhof und Zoologischer Garten. Am Hauptbahnhof kann es zu veränderten Abfahr- und Ankunftszeiten kommen, betont die Deutsche Bahn. Auf der Linie EC95 Berlin–Frankfurt (Oder)–Polen entfallen die Halte Hauptbahnhof, Ostbahnhof und Ostkreuz. Dafür halten die Züge zusätzlich in Gesundbrunnen und Lichtenberg.
Generell können Fahrgäste, die sonst über die Stadtbahn die Berliner City durchqueren müssen, auch auf die U-Bahn oder die Ringbahn ausweichen, was natürlich längere Fahrzeiten zur Folge hat. Allerdings hat der Pendlerstress zumindest auf der Stadtbahn mit dem 1. Juli erstmal ein Ende. In diesem Jahr soll es keine weiteren planmäßigen Baumaßnahmen in dem hauptbelasteten Abschnitt geben, versichert Projektleiter Schattschneider. „Dann ist erstmal Schluss und hier alles wieder in Schuss.“