Claudia Grünberg hat ihren Gartenfund sorgsam in einer großen Tupperdose mitgebracht. Die 73-Jährige aus Britz hat sich an diesem verregneten Apriltag auf eine einstündige Reise an das andere Ende der Stadt begeben und steht nun gemeinsam mit anderen Pilzsammlern in einem kleinen Büro unter dem Dach der Botanikschule in Berlin-Zehlendorf, um auch wirklich auf Nummer sicher zu gehen. „Ja, das sind Graue Speisemorcheln. Die schmecken wunderbar“, betätigt Hansjörg Beyer, Pilzberater des Botanischen Gartens Berlin, dass sie ihren Fund auch unbedenklich genießen kann.
Denn eines wird bei der kostenlosen Pilzberatung schnell klar: Ein Fehlgriff kann zu bösen bis todbringenden Vergiftungen führen.
Überblick über die typischen Pilze im Frühjahr
Deswegen hier erstmal ein kurzer Überblick über die typischen Frühjahrspilze in der Region und ihre giftigen Doppelgänger:
- Zu den essbaren Pilzen, die sich im Frühjahr finden, zählen die beliebten Morcheln. Dazu gehören unter anderem Speise- und Spitzmorcheln (in Berlin/Brandenburg vor allem Morchella vulgaris und Morchella importuna). Erstere wachsen gerne in Laub- und Auenwäldern, Parks, Obstgärten, letztere bei Holzlagerplätzen, auf Rindenmulch und auf Brandstellen.
- Man darf die Morcheln aber nicht mit hoch giftigen Frühjahrslorcheln (Gyromitra esculenta) verwechseln, die ab Mitte März vor allem in den sandigen Kiefernwäldern Brandenburgs gedeihen. Meist sind sie braun und ihre äußeren Konturen ähneln denen eines menschlichen Gehirns.
- Der essbare Schildrötling (Entoloma clypeatum) dagegen ist ein rußgrauer Pilz mit typischem Hut und leicht rosa angehauchten Lamellen. In rohem Zustand gilt der Pilz als giftig, gut durchgebraten ist er für die meisten Menschen unbedenklich.
- Doch mit dem Riesenrötling (Entoloma sinuatum) hat er einen sehr giftigen Doppelgänger: Junge Exemplare dieser Art haben bereits gelbliche Lamellen, die später eine lachsrosa Färbung annehmen. Das helle Fleisch riecht bei älteren Pilzen unangenehm. In Berlin und Brandenburg ist der Riesenrötling allerdings sehr selten zu finden.
- Beim Judasohr (Auricularia auricula-judae) herrscht dagegen wenig Verwechslungsgefahr mit Giftpilzen. Den Holunderschwammpilz erkennt man an der Ohrenform, die bis zu 16 Zentimeter groß werden kann. Meist haben Judasohren eine braune Farbe und sind mit Adern durchzogen. Diesem Speisepilz wird eine vitalisierende Wirkung nachgesagt, er ist aber eher geschmacksneutral und kann gut in Suppen oder als „Füllpilz“ verwendet werden.
- Essbar ist auch der cremeweiße Mairitterling (Calocybe gambosa). Er hat jedoch mit dem Ziegelroten Risspilz (Inosperma erubescens) einen sehr giftigen Doppelgänger, der ebenfalls im Frühjahr vorkommt. Wenn er seine rote Farbe noch nicht ausgebildet hat, kann er leicht mit dem Mairitterling verwechselt werden.
Offizieller Pilzexperte im Botanischen Garten
„Um wirklich sicherzugehen, habe ich die Pilze ganz gerne in der Hand“, betont Beyer, der regelmäßig auch E-Mails mit Bildern zugeschickt bekommt, damit er aus der Ferne die Art bestimmt. Als Beyer sieben Jahre alt war, nahm ihn seine Familie das erste Mal mit zum Pilzesuchen in den Grunewald. „Ich war sofort fasziniert“, erinnert sich der 56-jährige Charlottenburger, der heute nicht nur der offizielle Pilzexperte des Botanischen Gartens ist, sondern auch Mitglied der Pilzkundlichen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Brandenburg e. V. sowie der Deutschen Gesellschaft für Mykologie e.V..
Die Vereine haben es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, Datenbanken mit Pilzfunden zu führen und so eine ökologische Kartierung der Pilzvorkommen auch in Berlin und Brandenburg zu ermöglichen.
Vorsicht vor dem Morchella-Syndrom
„Darf ich mir ein kleines Stück absäbeln“, fragt Beyer, bevor er mit seinem Taschenmesser eine Probe von einem der Findlinge schneidet, die eine Dame aus Kleinmachnow unter dem Apfelbaum im Garten gefunden hat. Das abgeschnittene Stück wird für genetische Untersuchungen verwendet, denn Morcheln geben der Fachwelt noch immer einige Rätsel auf.
Gleichwohl kann der Fachmann den Fund hier schnell als essbare Graue Speisemorcheln identifizieren. „Sie können wie alle Morchel-Arten frisch verzehrt, bei manchen Menschen aber trotzdem Übelkeit und Schwindel auslösen“, erklärt der Fachmann. Zu vermeiden seien in jedem Fall überalterte Exemplare und der Verzehr großer Mengen.
Um das sogenannte Morchella-Syndrom nicht herauszufordern, rät er, diese eher schwer verdaulichen Frühjahrspilze nicht in zu großen Mengen zu verzehren. Hat man beispielsweise auf dem gemulchten Beet im eigenen Garten viele Morcheln entdeckt, so empfiehlt Beyer, den Schatz im Backofen zu trocken, was zusätzlich den Geschmack verstärke.
„Die Morcheln werden dazu in Streifen geschnitten und so lange bei 50 Grad Celsius und leicht geöffneter Ofentür getrocknet, bis sie brüchig sind. Anschließend müssen die Pilze in Schraubgläsern verwahrt werden.“ Bei der Zubereitung würde er Speck weglassen, sagt Beyer, da dieser den feinen Eigengeschmack der Pilze übertönen könnte, was schade wäre. „Morcheln machen sich gut zu Gnocchi, Spargel oder Kartoffeln.“
Für viele sind die grauen Speisemorcheln, die bis Ende April, Anfang Mai in hiesigen Gärten, auf Brachland und seltener auch in Wäldern zu finden sind und die man auch gut an ihrer bienenwabenartigen Oberflächenstruktur erkennt, besondere Leckerbissen.
Gefahr von Leber- und Nervenschäden
Damit sie die Pilzliebhaber aber nicht mit der hochgiftigen Frühjahrslorchel (Gyromitra esculenta) verwechseln, die unter anderem ab Mitte März in den sandigen Kiefernwäldern Brandenburgs gedeiht, zeigt Beyer in seinem kleinen Büro in dem alten Backsteinbau am Rande des Botanischen Gartens auf seinem Computer Fotos von den giftigen Doppelgängern.
„Die Oberfläche sieht bei den meist braunen Lorcheln ein bisschen aus wie ein Gehirn oder wie zerknülltes braunes Papier.“ Obwohl die giftigen Frühjahrslorcheln in Finnland und Russland durchaus gegessen werden, rät Beyer vom Verzehr dringend ab. „Das in dem Pilz enthaltene Gift lässt sich zwar teilweise entfernen – aber das reicht nicht immer, um schwere Vergiftungen mit Leberschädigungen zu vermeiden. Neben Lebensgefahr drohen auch schwere Nervenkrankheiten mit Langzeitfolgen“, warnt der Pilzexperte. Dazu stünden die Frühjahrslorcheln unter dem Verdacht, krebserregend zu sein.
Schwefelporling ist roh giftig
Beyer schaut sich die Funde immer lieber direkt an. Denn auch die essbaren Morcheln können madig sein oder speziell nach Frost schnell schimmeln und sollten dann nicht mehr gegessen werden. Aber auch der Schwefelporling sei, wenn man nicht mehr mit dem Messer durchkommt, ungenießbar. Die gelb bis orangefarbene Pilzart, die ebenfalls zu den Frühjahrsgewächsen gehört, ist außerdem roh giftig. „Und bitte nicht von der Eibe essen, denn Eibe ist toxisch. Hier muss man nicht nur den Pilz, sondern auch das Holz bestimmen“, warnt Beyer.
Apropos Holz. Mit Kiefern- und Fichtenmulch aus dem Baumarkt kann man zum Beispiel die Rindenmulch-Spitzmorchel (Morchella importuna) – deren Kilopreis im Laden schon mal 250 Euro betragen selbst züchten. „Wenn man die Holzreste im Herbst an einem feuchten, wind- und sonnengeschützten Ort insbesondere neben Mahonien aufschüttet und ein paar getrocknete Spitzmorcheln hineindrückt, ist die Chance groß, im kommenden Frühjahr eine frische Ernte zu haben“, erklärt Beyer.
Auch Asche mögen Spitzmorcheln. Grillreste, die nicht mehr glühen, eigenen sich also hervorragend als Dünger, wenn sie nicht gerade aus schwermetallhaltigen Briketts stammen, so Beyer. Leider klappt das Züchten aber nicht so einfach mehrmals hintereinander.
Sobald es sich um „wilde Populationen“ handelt, stehen die Morcheln in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Nachbarländern unter eingeschränktem Naturschutz. „Sie dürfen also nur in kleinerer Menge zum Eigenbedarf gesammelt werden“, erklärt der Pilzberater. „Ansonsten drohen empfindliche Geldstrafen.“
Kostenlose Pilzberatung und Giftnotruf
Die kostenlose Pilzberatung im Botanischen Garten findet jeden Montagnachmittag jeweils von 14 bis 16 Uhr in der Botanikschule (Raum E05), Unter den Eichen 5 in Berlin-Zehlendorf statt. Der Eingang befindet sich rund 50 Meter in Richtung Rathaus Steglitz neben dem derzeit baubedingt geschlossenen Garteneingang „Unter den Eichen". Bitte gegebenenfalls bei der Pilzberatung klingeln.
Die Pilzberatung ist aber auch ganzjährig per E-Mail unter [email protected] oder telefonisch unter der (030) 838 64751 zu erreichen. Alle Termine und weitere Infos unter www.bo.berlin.
Bei Verdacht auf eine Pilzvergiftung sollte jedoch der Giftnotruf (rund um die Uhr erreichbar unter der Telefonnummer 030 – 19240 für die Region Berlin-Brandenburg) oder medizinische Hilfe in Anspruch genommen werden.