Herr Richter, wann haben Sie sich entschlossen, Hebamme zu werden?
Tobias Richter: Ich habe mich schon früh für soziale Berufe interessiert und mit 14 Jahren mein erstes berufsorientierendes Praktikum in der Klinikpflege gemacht. Da habe ich aber gemerkt, dass das nicht ganz das war, was ich wollte. Mit 15 habe ich dann im Klinikum Buch ein Praktikum im Kreißsaal absolviert und war sofort fasziniert.
Ihre Mutter hat selbst 40 Jahre lang als Hebamme gearbeitet. Was sagte sie zu Ihrem Berufswunsch?
Sie meinte: „Uiii, das hältst Du doch keinen Tag durch.“ Ich fand das aber cool, und der Spruch hat mich noch zusätzlich angespornt. Heute ist meine Mutter sehr stolz auf mich und meine größte Stütze, weil ich mich mit ihr auch über die Arbeit austauschen kann und sie mich versteht.
Wie reagierte Ihr sonstiges Umfeld?
Ich bin in Südbrandenburg aufgewachsen. Dass ich nicht wie viele andere Jungs Kfz-Mechaniker oder Landmaschinenmechatroniker, sondern Hebamme werden wollte, war für manche schon spannend. Die meisten meiner Freunde haben eher neugierig als ablehnend reagiert. Aber es gab auch Leute, die Witze darüber gemacht haben.
War es schwer, als Mann einen entsprechenden Ausbildungsplatz zu bekommen?
Ich kann das schwer einschätzen. Ich habe rund 40 Bewerbungen geschrieben und hatte fünf positive Rückmeldungen. Als ich dann nach dem ersten Vorstellungsgespräch in Thüringen eine Direktzusage bekam, habe ich sofort zugeschlagen.
Gab es in der Berufsschule Vorbehalte?
Ich war der einzige männliche Auszubildende auf der Hebammen-Schule, das hat sich natürlich schnell herumgesprochen. Aber auch dort habe ich keine schlechten Erfahrungen gemacht, sondern musste eher neugierige Fragen beantworten. Die praktische Ausbildung in der Klinik war nicht leicht, aber wir haben es geschafft. Auch im Klinikum Buch sind die Kollegen diesbezüglich positiv gestimmt, es herrscht ein kollegiales Arbeitsklima. Auch deswegen bin ich nach der Ausbildung dorthin zurückgekehrt.
Von den rund 26.000 Hebammen in Deutschland sind nur rund 22 Männer. Aber im Helios Klinikum Berlin-Buch haben Sie auch schon mit anderen männlichen Kollegen zusammengearbeitet.
Ja, als ich dort anfing, gab es zwei männliche Hebammen aus Italien und Albanien. Der Kollege aus Italien meinte irgendwann zu mir: „Du Tobias, ich wusste gar nicht, dass das in Deutschland mit dem Geschlecht so eine Sache ist.“ In Italien sind männliche Geburtshelfer viel verbreiteter. Leider herrschen in Deutschland in manchen Bereichen immer noch die typischen Geschlechter-Klischees von weiblichen und männlichen Berufen vor, scheinbar mehr als in manchen anderen Ländern.
Können Sie von werdenden Eltern als Hebamme abgelehnt werden?
Ja, natürlich, genauso wie Gebärende auch weibliche Hebammen ablehnen können, wenn die Chemie nicht stimmt, man sich einfach nicht sympathisch ist. Wir stellen uns im Kreißsaal vor, und wenn die Gebärende mich nicht als Hebamme akzeptiert, können wir zum Glück schnell innerhalb des Teams tauschen. Aber das kommt sehr selten vor. Für eine Ablehnung könnten ja zum Beispiel auch Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen durch Männer ausschlaggebend sein, was man nachvollziehen kann.
Die Geburt ist ja ein komplett weiblicher Vorgang. Ist es da nicht von Vorteil, wenn auch die Hebamme weiblich ist?
Als Herzchirurg bringt es mich ja auch nicht weiter, wenn ich selbst schon mal eine Herz-OP hatte, nur um mich besser in die Patienten hineinzufühlen. In der Geburtshilfe sind unter anderem eine gute Intuition sowie Einfühlungsvermögen wichtige Kompetenzen, und nicht, dass ich einen Uterus habe.
Sie sind mit 24 Jahren auch schon selbst Praxisanleiter für Hebammen. Sind Sie damit nicht nur die männliche Ausnahme, sondern auch sonst ein Überflieger?
Das ist in unserem Bereich nicht so ungewöhnlich, weil ich direkt nach der 10. Klasse die Ausbildung absolviert und somit schon früh Berufserfahrungen gesammelt habe. Ich absolviere gerade aber noch ein berufsbegleitendes medizinpädagogisches Studium, um mich in Sachen Wissensvermittlung weiterzuentwickeln. Momentan schreibe ich gerade meine Bachelor-Arbeit.
Der 5. Mai ist der Internationale Tag der Hebammen, an dem häufig Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen laut werden. Was wären Ihre persönlichen Verbesserungsvorschläge?
Ganz klar mehr Personal, das hat aber weniger etwas mit dem Bereich und den Kliniken, sondern mit der Politik zu tun. Man sollte das medizinische Personal von den aufwändigen Dokumentationsaufgaben entlasten, die extrem zugenommen haben, damit sie sich mehr um Patienten kümmern können. Dazu sollte man mehr finanzielle Anreize schaffen, damit die Hebammen ihren schönen Beruf mit Spaß ausüben können und sich nebenbei nicht den Kopf darüber zerbrechen müssen, ob sie mit dem Lohn auch eine eigene Familie ernähren können.
Bis zu der Reform der Hebammenausbildung lautete Ihre Berufsbezeichnung „Entbindungspfleger“. Seit 2020 gilt die Bezeichnung „Hebamme“ für alle Geschlechter. Ist Ihnen das wichtig?
Ja, ich habe mich damals bei den Verhandlungen als Bundesdelegierter selbst dafür eingesetzt. Denn erstens: Ich pflege ja in dem Sinne nicht, denn nur, weil eine Frau ein Kind bekommt, ist sie nicht krank. Und ich bleibe für viele Eltern teilweise bis zum ersten Geburtstag ihres Kindes weiter Ansprechpartner und Unterstützer. Das wird in dem Wort „Entbindungspfleger“ aber gar nicht abgebildet. Und zweitens: Unser Beruf ist sehr divers – genauso wie die Frauen und Paare, die wir begleiten.
Was war Ihr bisher schönstes Erlebnis als Hebamme?
Ich kann das so gar nicht sagen. Manchmal bekomme ich noch Jahre nach einer Geburt von den Eltern Blumensträuße oder Karten, das gibt mir dann das schöne bestätigende Gefühl: „Ok, für diese Eltern habe ich alles richtig gemacht.“ Aber es gibt auch andere, schwere Situationen, zum Beispiel bei einer Totgeburt. Auch das sind sehr Lebens-prägende Momente, bei denen wir Hebammen da sind. Alles in allem ist es ein Beruf, bei dem man sehr viel Wertschätzung und Dankbarkeit erfährt. Ich möchte deshalb jede und jeden dazu ermutigen, sich zu trauen, ein Praktikum zu machen und sich unseren tollen Aufgabenbereich genauer anzuschauen – egal ob weiblich, männlich oder divers.
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