„Ich habe vorher nicht gewusst, dass vor uns so viele Hürden stehen werden.“ Sabrina Thäle aus Potsdam-Mittelmark sitzt in ihrem Wohnzimmer. An den Wänden hängen Hochzeitsbilder. Auf einem Foto schmiegt sie sich, im weißen Kleid, an ihre Frau Melanie, die einen gut geschnittenen Anzug trägt.Im Hintergrund steht ein Oldtimer, hinter dem Steuer ragt der Kopf von Sohn Florian hervor. Der 10-Jährige stammt aus einer früheren Verbindung von Sabrina Thäle. Die drei sind eine kleine Familie, die wachsen möchte. „Wir pflegen schon seit ein paar Jahren den Gedanken, Nachwuchs zu bekommen. Ganz konkret probieren wir es seit einem Jahr.“
Als sie sich in einer Kinderwunsch-Klinik in Berlin vorstellten, merkten die beiden Eltern jedoch schnell, dass die Kinderwunschbehandlung als homosexuelles Paar nicht nur beschwerlicher, sondern deutlich teurer sein wird.

Künstliche Befruchtung – ein Verfahren, das ins Geld geht

In der Klinik erfuhren Sabrina Thäle und ihre Frau, dass sie zunächst eine psychologische und juristische Beratung benötigten. Von heterosexuellen Paaren würde dies nicht verlangt werden. „Wir müssen uns legitimieren, damit wir überhaupt die Insemination durchführen lassen dürfen.“ Insemination ist das Fachwort für die künstliche Besamung bei einer Kinderwunsch-Behandlung. Mit medizinischer Hilfe wird die Eizelle im Körper befruchtet. Ein Verfahren, das ins Geld geht.
Neben dem Eingriff fallen Kosten für Ultraschalluntersuchungen, Labortests, Hormonmedikamente, die Samenspende und mehr an. „Wir haben schnell gemerkt, dass jedes einzelne Gespräch, jede Untersuchung Geld kostet und die Krankenkasse das nicht übernehmen wird.“ Und wieder: Wären sie ein verheiratetes, heterosexuelles Paar, wäre es wahrscheinlich leichter.

Podcast: Adoption und die Situation von trans Eltern

Sabrina Thäle erzählt im neuen MOZ-Podcast „Dit is Brandenburg“ noch einmal ausführlich von ihren bisherigen Erfahrungen. Hohe Hürden bei der Kinderwunschbehandlung sind jedoch nicht die einzigen Nachteile, die queere Familien in Brandenburg erfahren. Kris Fritz-Stehr vom Projekt „Regenbogenfamilien in Brandenburg stärken“ ist ebenfalls Gast im Podcast und berichtet, warum es auch noch beim Adoptionsverfahren Diskriminierung gibt und insbesondere trans und nichtbinäre Eltern um Sichtbarkeit kämpfen.
Wie immer auf allen gängigen Streamingplattformen zu hören, unter anderem bei Spotify, Apple Podcast, Amazon Music, Deezer, Google Podcast und Player.fm.

(K)eine Förderung für Kinderwunschbehandlung

Für Mann und Frau, die in einer Ehe sind, übernehmen die Krankenkassen 50 Prozent der Kosten für eine Kinderwunschbehandlung, wenn etwa ein medizinischer Anlass wie eingeschränkte Zeugungsfähigkeit vorliegt. Allerdings müssen dabei die Ei- und Samenzelle der Partner verwendet werden. Die Rede ist dann von einer homologen Insemination.
Zusätzlich erhalten sie eine Förderung des Bundes, der seit 2019 zudem nicht verheiratete, heterosexuelle Paare mit unerfülltem Kinderwunsch unterstützt. Jedoch muss das Heimatbundesland einen Teil übernehmen. Brandenburg hatte Ende 2018 ein Förderprogramm aufgesetzt.
Paare wie Sabrina und Melanie Thäle, die eine fremde Samenspende benötigen, also die heterologe Insemination, gehen komplett leer aus. Zumindest in Brandenburg. Würden die beiden hinter der Berliner Landesgrenze wohnen, die nur wenige Kilometer entfernt ist, wäre ihre Situation eine andere.
Die Hauptstadt hat im vergangenen Jahr ein Förderprogramm für lesbische und verschiedengeschlechtliche Paare, die auf eine Fremdsamenspende angewiesen sind, aufgesetzt. Rheinland-Pfalz bietet dies ebenfalls an. Noch vor dreißig Jahren war Brandenburg der Vorreiter. 1992 hat die Mark als erstes Bundesland das Diskriminierungsverbot aufgrund sexueller Identität in seiner Landesverfassung verankert.

Brandenburg hofft bei der Kinderwunschförderung auf den Bund

Verärgert über dieses Gefälle, schickte die 33-jährige Sabrina Thäle im Herbst 2021 eine Mail an Brandenburgs Sozialministerium. Darin zählte sie die zusätzlich anfallenden Kosten auf und stellte zum Schluss die Frage, ob es gewollt sei, dass homosexuelle Paare in andere Bundesländer ziehen, um sich nicht verschulden. Eine Bearbeiterin antwortete ihr. Sie verwies auf die Beratungen für den Haushalt 2022, welcher vom Plenum im Dezember verabschiedet werde. Die Auswirkungen auf die Kinderwunsch-Förderung sei noch offen.
Mittlerweile gibt es Gewissheit: Niemand bekommt mehr Geld für den bislang unerfüllten Kinderwunsch. Das Förderprogramm wurde komplett eingestellt – wegen Einsparvorgaben, heißt es auf der Webseite des Ministeriums. Die Mittel seien mittelfristig ohnehin entbehrlich, da auf Bundesebene geplant sei, „künstliche Befruchtungen diskriminierungsfrei auch bei heterologer Insemination, unabhängig von der medizinischen Indikation, dem Familienstand, der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität zu fördern.“
Doch bis das die Realität wird, müssen Sabrina Thäle, die als Lehrkraft an einer Schule für Gesundheitsberufe arbeitet und ihre Frau Melanie, eine Mediengestalterin, die Kosten komplett allein tragen.

Samenspende vom Schwarzmarkt?

Zu ihrer Hochzeit im September 2021 teilten sie ihren Gästen mit, dass sie sich Geld wünschten, um sich den Traum von weiterem Nachwuchs zu erfüllen. Man sagte ihnen, dass bei einer Insemination im Schnitt sechs Versuche nötig seien, bis es einmal klappt. Doch nach drei erfolglosen Behandlungen erreichten sie ihre finanzielle Schmerzgrenze. Die 33-Jährige schätzt die bisherigen Ausgaben auf 8.000 bis 9.000 Euro. Im Januar beschlossen sie, zu pausieren und sich nach Alternativen umzuschauen.
Da gebe es den Schwarzmarkt. Auf diesem tummeln sich viele private und deutlich günstigere Samenspender. „Gerade im Speckgürtel von Berlin gibt es viele“, weiß Sabrina Thäle. Jedoch möchten die Spender meist unbekannt bleiben, was gesundheitliche Risiken birgt: „Man kann zwar einen HIV-Test verlangen, aber der Name bleibt anonym. Das heißt, der Spender kann einem irgendein Attest vorzeigen.“ Ein zweites Problem: Es gibt keine Kontrolle, wie häufig der Spender in der Nachbarschaft Kinder zeugt. Das könne in ein paar Jahrzehnten zu unbeabsichtigtem Inzest führen. Mittlerweile ist anonyme Spende in Deutschland verboten. Das ermöglicht den gezeugten Kindern später, wenn sie es wünschen, den Erzeuger namentlich kennenzulernen.

Onkel-Option als Alternative

Der Schwarzmarkt ist für das Paar aus Potsdam Mittelmark keine Option. Sie erkunden aktuell eine dritte Möglichkeit: die Onkel-Funktion. Der Mann gibt seinen Namen preis und ist, falls sich das Kind für seine biologische Abstammung interessiert, ansprechbar. Sorgeberechtigt müsse er nicht sein, Melanie Thäle würde das Kind nach der Geburt sofort adoptieren.
Doch dieser Prozess fußt auf tiefem Vertrauen – auch auf Spenderseite. „Viele Männer, die nicht anonym spenden, haben Angst, dass man sie später auf Unterhalt verklagt.“ Wenn es soweit ist, würde die Insemination zuhause stattfinden. Bis dahin heißt es, kennenlernen, Gesundheitschecks durchführen und Vertrauen aufbauen. Druck empfindet das Paar dabei nicht. „Wir haben ja ein gesundes Kind.“

Machen Sie jetzt mit beim Familienkompass 2022!

Worum geht es? Der Familienkompass ist eine landesweite Umfrage zur Kinder- und Familienfreundlichkeit in Brandenburg. Er ist ein gemeinsames Projekt von Lausitzer Rundschau, Märkischer Oderzeitung und Märkischer Allgemeine in Kooperation mit der Evangelischen Hochschule Dresden.
Warum mitmachen? Mit jedem beantworteten Fragebogen helfen Sie mit, die Familien- und Kinderfreundlichkeit in Ihrem Wohnort zu verbessern. Wir konfrontieren Politik und Verwaltung mit den Ergebnissen und berichten detailliert zur Situation in den Kommunen.
Was gibt es zu gewinnen? Der Hauptpreis ist ein Ostsee-Familienurlaub für bis zu sechs Personen mit sieben Übernachtungen (inkl. Wäsche, Handtücher, Reinigung, Kurtaxe. Die Anreise und Verpflegung sind nicht dabei.) Darüber hinaus können Sie ein Familien-Fotoshooting gewinnen oder Eintrittskarten für die Show „Arise“ im Friedrichstadtpalast und vieles mehr.
Wie kann ich mitmachen? Die Umfrage findet ausschließlich im Internet statt. Jeder kann sich beteiligen. Die Befragung endet am 10. Juli 2022. Die Ergebnisse werden im Sommer präsentiert. Den Fragebogen finden Sie auf der Themenseite Familienkompass.