An der Friedrichstraße, Ecke Jägerstraße in Berlin wird es am Wochenende eine Barrikade geben. Die Barriere aus alten Holzfässern, Wagenrädern, und Marktstände ist nicht etwa ein neuer Versuch, den Autoverkehr aus Berlin-Mitte zu verbannen, sondern eine Geschichts-Installation, die Besucher an die Märzrevolution vor 175 Jahren erinnern soll.
1848 und ’49 erlebte Europa erstmals eine Welle von Protesten und radikalen Umbrüchen. Nach Paris und Wien wehte auch in Berlin ein revolutionärer Wind. Knapper Wohnraum, schlechte Arbeitsverhältnisse, der Ausschluss großer Bevölkerungsteile von politischer Teilhabe sowie das extreme Gefälle zwischen Arm und Reich trieben die Berliner auf die Barrikaden.
Pop-Art-Künstler erinnert an Freiheitskämpfer
„Die europaweite Revolution von 1848/49 hat nicht nur den Grundstein für die Demokratie gelegt, sondern ist durch ihren Anlass und ihre Forderungen auffällig aktuell“, heißt es dazu in einer Ankündigung der landeseigenen Kulturprojekte Berlin GmbH, die gemeinsam mit 20 Veranstaltern am Jubiläumswochenende 18./19. März 2023 kostenlose Ausstellungen, Performances und interaktive Führungen im öffentlichen Stadtraum organisiert.
Die Barrikade in der Nähe des Gendarmenmarktes ist dabei nur der Startpunkt für Führungen zu weiteren temporären Stadtmarkierungen. Pop-Art-Künstler Jim Avignon hat zwischen Friedrichstraße und Humboldt Forum Bilder mit zehn Berliner Revolutionärinnen und Revolutionären geschaffen, die von teils tödlichen Kämpfen und ihren Zielen berichten.
Wer sich die kostenlose Artivive-App herunterlädt, kann mithilfe von Augmented Reality zum Beispiel die Geschichte eines unerschrockenen Schlosserlehrlings hören. Ein junger Student erzählt seine Visionen für eine gerechtere Welt. Auch die Feministin Louise Aston (1814 bis 1871) kommt zu Wort, die sich schreibend ihre Stimme erkämpfte, sowie die berühmte Mediziner-Legende Rudolf Virchow (1821 bis 1902).
Schneidergeselle berichtet von Märzrevolution
Zu den interaktiven Figuren gehören aber auch eine Frau, die zufällig zum Revolutionsopfer wurde, sowie ein Mann, den das Schicksal auf die andere Seite der Barrikade stellte.
Fiktiv ist dagegen die Figur des Schneidergesellen Konrad, der 1848 in der Breiten Straße wohnte und über eine Instagram-Geschichte der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (@zlb_berlin) vom 5. bis 22. März 2023 einen Einblick in die Lebensverhältnisse und Ereignisse des Revolutionsmonats März in Berlin gibt. Konrad ist live dabei: Er hört die aktuellen Schlagzeilen aus der Zeitung, liest Flugblätter und ist auf einmal mittendrin im Barrikadenkampf.
Neue Ausstellung auf dem Friedhof der Märzgefallenen
Dass ein Drittel der Menschen, die am 18. März 1848 für ein besseres Leben auf die Straße gingen, vor allem junge Menschen waren, davon erzählen die Grabstätten von 255 Freiheitskämpfern auf dem Friedhof der Märzgefallenen an der Landsberger Allee in Friedrichshain.
Dort wurden nach den tödlichen Aufständen Lehrlinge, Handwerker und Arbeiter und auch Frauen begraben, die ihr Leben im Kampf für soziale Verbesserungen und Freiheitsrechte ließen.
Eine neue Open-Air-Ausstellung informiert ab 18. März zusätzlich über die wechselvolle Geschichte des Friedhofs in den verschiedenen politischen Systemen. Auch dort finden Besucher noch zusätzliche Hintergrundinfos in einer digitalen Ausstellungsebene. Im Rahmen von Familienführungen können am Sonnabend zwischen 10 und 14 Uhr auch jüngere Besucher ab sieben Jahren den Ort erkunden. Im beheizten Container laden Waffeln und Kakao zum Verweilen ein.
Ein weiterer Hotspot des Berliner „Wochenendes der Demokratie“ ist das Humboldtforum. Schon im Foyer hängen seit Mittwoch die Ergebnisse eines deutschlandweiten Plakatwettbewerbs zum Thema Märzrevolution. Jugendliche aus ganz Deutschland sind einem Aufruf gefolgt und haben mit Kreativität, Empathie und politischem Scharfsinn Demonstrations-Schilder oder Veranstaltungshinweise kreiert. Die offizielle Preisverleihung findet am 18. März um 12.30 Uhr mit Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) statt.
Eine mobile Druckwerkstatt lädt im wiederaufgebauten Schloss zum Selbermachen ein. Es gibt Bilderbuchlesungen für Kinder zum Thema „kleine Helden“, aber auch ein Puppenspiel für Erwachsene sowie Talks und „Revolutionäre Gespräche“.
Szenische Lesung im Gorki-Theater
Nur wenige Schritte weiter im Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, wird es am Sonnabend um 12 Uhr eine szenische Lesung unter dem Titel: „…dass diejenigen auch vergessen werden, welche an sich selbst zu denken vergaßen.“ Politische Autorinnen von heute gedenken dabei lesend der revolutionären Frauen, die am 18. März 1848 maßgeblich an den Protesten und handgreiflichen Auseinandersetzungen beteiligt waren.
Das Theater ist dabei ein historischer Ort. Denn als Konsequenz der Kämpfe versammelte sich die Preußische Nationalversammlung zur Ausarbeitung einer Verfassung in der Singakademie am Festungsgraben, dem heutigen Gorki Theater.
Am Abend um 20.30 Uhr gibt es dort zudem die Sonderaufführung von „Dantons Tod/Iphigenie“ zu sehen.
Entdeckertour für Familien
Auf Jugendliche zugeschnitten ist dagegen zum Beispiel eine Architektur-Familienführung um 15 Uhr gleich schräg gegenüber im Deutschen Historischen Museum. Das bietet unter dem Namen „Roads not Taken. Oder: Es hätte auch anders kommen können“ noch bis November des kommenden Jahres eine eigene Ausstellung zur Märzrevolution an. Unter dem Titel „Helme, Kronen und Waffen“ gibt es dort eine Entdeckungstour mit dem Fernglas für Kinder rund um das Zeughaus.
Das Demokratie-Wochenende wird am Sonnabend von der Noch-Regierenden Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), um 11 Uhr gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an der Barrikade (Jägerstraße 17) eröffnet. Dort wird sich am 18. und 19. März auch der zentrale Infopunkt befinden, an dem Besucher sich über das Programm informieren und sich unter anderem auch für die kostenlosen Führungen anmelden können.