Im Luftraum über Deutschland wird es voll in den kommenden Tagen. Zusätzlich zum üblichen Luftverkehr werden über 200 militärische Fluggeräte im Einsatz sein. Sie gehören zum Manöver Air Defender 23, der laut Bundeswehr „größten Verlege-Übung von Luftstreitkräften seit Bestehen der Nato“.
Seit Monaten wird das Groß-Manöver, das vom 12. bis 24. Juni dauern soll, geplant, nun geht es an die Umsetzung. Auch der Luftraum über Ostdeutschland ist betroffen, in Teilen auch Brandenburg.
Aber zunächst zur Frage, was dort eigentlich genau passieren soll.

Was passiert bei Air Defender 23?

„Air Defender soll die Luftstreitkräfte der Nato und deren Verbündeten in einer Übung vereinen und zusammenführen. Dabei entspringt dieses Vorhaben einer reinen verteidigenden Trainingsabsicht. Die Reaktionsfähigkeit und die gemeinsame Stärke in der Luft sollen trainiert und demonstriert werden“, teilt die Luftwaffe in ihren Veröffentlichungen zu Air Defender 23 mit.
Analog zu den seit Jahren stattfindenden Defender-Übungen am Boden soll nun auch die Luftwaffe der beteiligten 25 Nato-Staaten die Zusammenarbeit im großen Stil üben.
Dazu werden seit Wochen Flugzeuge und Soldaten der beteiligten Armeen nach Deutschland gebracht. 10.000 Teilnehmer sind es laut Angaben der Bundeswehr. Rund 250 Flugzeuge kommen hinzu. Rund 100 davon kommen direkt aus den USA und wurden in den vergangenen Tagen nach Deutschland verlegt – eine Dimension, die es so seit Bestehen der Nato noch nicht gegeben hat.

Warum findet Air Defender 23 ausgerechnet in Deutschland statt?

„Aufgrund der zentralen geografischen Lage kommt Deutschland für die Luftverteidigung eine herausragende Bedeutung zu“, erläutert ein Sprecher der Bundeswehr auf Nachfrage. Zudem sei Deutschland Heimatstandort des Hauptquartiers der Nato-Luftstreitkräfte in Ramstein, Rheinland-Pfalz, und einer der beiden Hauptgefechtsstände zur Nato- Luftverteidigung in Uedem, Nordrhein-Westfalen.
Deutschland ist zugleich Organisator und Planer des Groß-Manövers. „Damit zeigen wir, dass Deutschland seine Rolle als logistische Drehscheibe und Gastnation für multinationale Operationen des Bündnisses verlässlich leisten kann“, so ein Sprecher der Bundeswehr?

Was kommt bei Air Defender auf Brandenburg zu?

Die Luftwaffe hat drei Übungsräume für das Manöver eingerichtet: Nord, Süd und Ost. Brandenburg liegt im Bereich des Übungsraumes Ost, der sich von der Ostsee bis nach Sachsen erstreckt. Die eigentlichen Luftkämpfe sollen über der Ostsee und Mecklenburg-Vorpommern stattfinden. Teile Brandenburgs werden wohl lediglich als Überfluggebiet für die beteiligten Flugzeuge dienen.
Zumindest geht dies aus den Aussagen der Bundeswehr zur Manöver-Planung hervor. Laut Kartenmaterial wird sich die Flugbewegungen in Brandenburg auf den Osten und Südosten des Landes beschränken. Auch Teile Berlins liegen im Korridor, der für den zivilen Flugverkehr gesperrt wird.
Auf einer Karte zeigt die Bundeswehr, welche Lufträume im Juni von der Übung Air Defender 2023 betroffen sein werden.
Auf einer Karte zeigt die Bundeswehr, welche Lufträume im Juni von der Übung Air Defender 2023 betroffen sein werden.
© Foto: Bundeswehr
„Um die entstehenden potenziellen Belastungen für die Bevölkerung so gering wie möglich zu halten, wird der Flugbetrieb möglichst gleichmäßig auf diese Übungslufträume in Nord-, Nordost- und Südwestdeutschland aufgeteilt. Die Übungslufträume werden pro Tag für zwei Stunden genutzt und nacheinander rotierend aktiviert“, so ein Sprecher der Bundeswehr.

Wann wird man bei Air Defender 23 Flugzeuge über Brandenburg sehen können?

Die Bundeswehr hat bestimmte Zeiträume für die einzelnen Übungszonen eingerichtet. „Der Übungsraum Ost wird zwischen 10 und 14 Uhr, der Übungsraum Süd zwischen 13 und 17 Uhr und der nördliche Übungsraum zwischen 16 und 20 Uhr für die militärische Nutzung zeitweise reserviert sein. Nachts und am Wochenende finden keine Übungsflüge statt“, heißt es auf der Informationsseite der Bundeswehr.
Unklar ist, ob man davon dann auch wirklich etwas sehen wird. „Die Flughöhen während Air Defender in den drei Übungsräumen betragen zwischen 2500 und 15.000 Metern und höher. Darunter werden in der Regel keine Missionen geflogen“, teilt die Bundeswehr mit.
Verkehrsflieger sind in der Regel deutlich höher unterwegs. Tiefflieger oder Militärhubschrauber, die vor einiger Zeit über Teilen Brandenburgs für Aufsehen gesorgt hatten, bewegen sich meist tiefer.

Werde ich wegen Air Defender 23 meinen Urlaubsflieger verpassen?

Ein Teil des Luftraums über Deutschland ist während des Manövers für den zivilen Flugverkehr gesperrt. Darüber, welche Auswirkungen das haben wird, gibt es unterschiedliche Angaben.
„Das wird sich maximal im Minutenbereich bewegen“, versicherte der Inspekteur der Deutschen Luftwaffe, Ingo Gerhartz, am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Berlin.
Auch der Direktor der US-Nationalgarde, Michael Loh, rechnet nicht mit größeren Störungen des zivilen Flugverkehrs: „Wir erwarten minimale Unterbrechungen.“
Die Fluglotsengewerkschaft GdF hatte zuvor eine andere Prognose aufgestellt. „Die Militärübung Air Defender wird natürlich massive Auswirkungen auf den Ablauf der zivilen Luftfahrt haben“, sagte ihr Vorsitzender Matthias Maas der Deutschen Presse-Agentur. Er verwies auf ein von der europäischen Flugsicherungsorganisation Eurocontrol errechnetes Szenario, das bis zu 50.000 Verspätungsminuten je Manövertag ausweist.
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Henning Otte, Verteidigungspolitischer Sprecher der CDU, sieht das als unproblematisch an: „Das ist ein Stück weit der Preis, den wir bereit sein müssen, für den Frieden zu zahlen. Man kann auch sagen: Das ist der Sound of Freedom.“

Hat Air Defender 23 Auswirkungen auf den Flughafen BER?

Sehr wahrscheinlich ja. So wird unter anderem das Nachtflugverbot gelockert, wie die Gemeinsame Luftfahrtbehörde Berlin-Brandenburg informier. Bei verspäteten Flügen werde jeweils geprüft, „ob eine Ausnahmegenehmigung für Starts- und Landungen außerhalb der Betriebszeiten erteilt werden kann“.
Normalerweise gilt am BER ein Flugverbot zwischen 0 und 5 Uhr. Von 23.30 bis 0 Uhr sowie von 5 bis 5.30 Uhr dürfen keine planmäßigen Flüge starten oder landen. Da Maschinen am nächsten Morgen aber nur starten können, wenn sie am Abend zuvor an ihrem Zielflughafen angekommen sind, soll mit dem aufgeweichten Nachtflugverbot verhindert werden, dass es zu größeren Problemen im Luftverkehr rund um den BER kommt.

Richtet sich Air Defender 23 gegen Russland?

Offiziell nicht. Die Bundeswehr erklärt, dass die Planungen bereits seit 2018 – weit vor Beginn des Angriffs auf die Ukraine – laufen. „Sie ist keine Reaktion auf den im vergangenen Jahr gestarteten völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Gleichwohl ist das Übungsvorhaben nunmehr auch als eine Maßnahme der Abschreckung gegenüber Russland zu sehen und zu verstehen“, erklärt ein Sprecher der Bundeswehr.
US-Botschafterin Amy Gutmann sieht in Air Defender 23 hingegen ein klares ein Signal an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Es würde mich sehr wundern, wenn irgendein Staatsoberhaupt der Welt nicht zur Kenntnis nehmen würde, was dies in Bezug auf den Geist dieses Bündnisses, das heißt die Stärke dieses Bündnisses, zeigt. Und das schließt Herrn Putin ein“, sagte Gutmann am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Berlin.

Gibt es Kritik an Air Defender 23?

Ja. „Wir wollen ein Zeichen setzen gegen Air Defender 23, größtes Luftwaffenmanöver seit Bestehen der Nato“, schreibt die Brandenburger Linke via Twitter. „Kommt zur Friedenswanderung am Sonntag, 11. Juni in der Kyritz-Ruppiner Heide.“ Am ehemaligen Bombodrom im Brandenburger Norden solle ein Zeichen gesetzt werden für einen „friedlichen Himmel“.
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HINTERGRUND
Auch in Berlin gibt es Protest. Derart Kocak (Linke), Mitglied des Abgeordnetenhauses, schreibt via Twitter: „Fluglärm und über CO2-Ausstoß für den militärischen Mist.“ Laut einer Anfrage Kocaks beim Berliner Senat sei bei Air Defender 23 mit einem CO2-Ausstoß von 35.000 Tonne zu rechnen. „Umgerechnet ist das etwa der Ausstoß von 90.000 Autopendlern - im Jahr“, so Kocak. (mit dpa)