Von Matthias Haus

Das ist die Geschichte der 15 Jahre alten Jelena (Name geändert). Erzählt hat sie der Angermünder Pfarrer Christian Johnsen. Er hilft seit Jahren Flüchtlingsfamilien. Hier hat er Vollmachten für Jelena und Geschwister übernommen, um die teilweise überforderte alleinerziehende Mutter zu entlasten und den Kindern ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen. Johnsen macht den Schriftkram mit Behörden, kennt so den Ablauf von Jelenas schier unendlicher Reise, die sie von der Uckermark in einen Ort nahe der serbischen Stadt Niš führen sollte.

Warum fährt eine 15-Jährige durch halb Europa zu ihrer Mutter? Warum kommt die Mutter nicht zu ihr? Und wieso nimmt das Mädchen den Bus und nicht das wohl sogar preisgünstigere Flugzeug? Das hätten Mutter und Tochter eben gemeinsam so entschieden, sagt der Pfarrer. Die Verhältnisse innerhalb der Familie seien durchaus kompliziert.

So oder so, am 31. August wusste das uckermärkische Jugendamt darüber Bescheid, dass Jelena zu ihrer Mutter reisen wird. Allerdings trödelte die Jugendliche, fuhr, ohne jemandem Bescheid zu sagen, für einige Tage nach Berlin anstatt Richtung Serbien und wurde daraufhin als vermisst gemeldet. Pfarrer Johnsen spürte sie auf, bat bei der Polizei in Angermünde um die Löschung der Vermisstenmeldung, was von dort auch an das zuständige LKA weitergegeben wurde.

Dann ist offenbar ein Fehler passiert. Von Pfarrer Johnsen vorgelegte Schriftstücke zeigen, dass die Vermisstenmeldung im Schengen-Informationssystem (SIS) nicht gelöscht wurde – mit fatalen Folgen für Jelena. Denn als das Mädchen nun auf dem Weg nach Süden zu ihrer Mutter die EU-Außengrenze passieren wollte, stoppten die ungarischen Behörden die „Vermisste“ formal rechtmäßig und brachten sie in ein Kinderheim bei Budapest.

Das war am 14. September. Seitdem sitzt Jelena in dem Heim fest. Inzwischen fast drei Wochen. Zuständig ist ein Jugendamt in Budapest. Es interessiert sich laut Christian Johnsen nicht dafür, dass die Vermisstenmeldung gelöscht ist und das Mädchen weiterreisen könnte. Das Amt hat Jelenas Pass eingezogen und besteht darauf, dass sie von einer autorisierten Person abgeholt wird. „Das ist aber bei einer Durchreisenden, die irrtümlich festgesetzt wurde, weder legal noch realisierbar“, ärgert sich der Angermünder Pfarrer.

Und dann auch noch das: Als sich Jelenas Mutter mühsam das Geld geborgt hatte um ihre Tochter im Heim abzuholen, musste sie an der Grenze nach Ungarn unverrichteter Dinge umkehren, weil man den Anlass ihrer Reise für abstrus hielt und sie vorübergehend wegen des Verdachts auf Menschenhandel festsetzte. Für einen neuen Abholversuch fehlt ihr das Geld.

Pfarrer Johnsen hat sich dafür entschieden, den Fall öffentlich zu machen, nachdem er in dieser Zeitung von möglichen Missständen in einem Brandenburger Kinderheim gelesen hatte. Auch Jelena sei ein Opfer von Behördenfehlern und von Willkür, findet er. Außerdem zeige der Fall, wie schlecht es um die Zusammenarbeit innerhalb der EU stehe.

Johnsen kann belegen, wen er alles ins Boot geholt hat, um den in seinen Augen unrechtmäßigen Freiheitsentzug zu beenden: Brandenburger Polizei, LKA, BKA, Interpol, die Landesbeauftragten für Datenschutz und Integration, Landesregierung, Auswärtiges Amt, ungarische Botschaft, serbische Botschaft. Bislang alles vergeblich. Nun hat er einen ungarischen Anwalt eingeschaltet, der Kontakt zu dem Jugendamt aufnehmen soll.

„Dass die Vermisstenanzeige nicht schnell genug gelöscht wurde, war ein bedauerlicher Fehler“, sagt Brandenburgs Staatssekretär Thomas Kralinski, Bevollmächtigter für Internationales. „Deshalb haben wir uns darum gekümmert, dass dem Mädchen geholfen wird.“ Der Fehler mit der Vermisstenanzeige sei schon lange behoben, aber man habe keinen Einfluss darauf, dass das Amt in Budapest auf eine Abholung des Kindes besteht. „Wir können da nichts tun“, muss Kralinski erkennen.