Von Ingrid Hoberg

 Wer einen gebrochenen Arm hat, lässt seine Freunde auf dem Gips Autogramme geben. Wer eine psychische Krankheit hat, hält sie versteckt hinter einer Mauer aus Distanz und Schweigen und hat meist auch nicht viele Freunde. Da ist Anna Kunze (23) anders.

„Ich habe großes Glück, meinen Freund, wundervolle Eltern und Geschwister, viele Freunde und eine beste Freundin“, sagt sie am Dienstagabend im Gespräch mit Peter Löwe und den Besuchern ihrer Ausstellung „Meine Metamorphosen“ in der Kleinen Galerie Goyatz.

Anna hörte als Teenager Stimmen und bekam mit 18 Jahren nach vielen Klinikaufenthalten die Diagnose: Paranoide Schizophrenie. Das erfährt der Besucher der Kleinen Galerie Goyatz gleich am Eingang in der kurzen Vita und das ist Thema in der Gesprächsrunde. „Wir haben es so abgesprochen, es dürfen Fragen zu ihrer Krankheit gestellt werden“, sagt Peter Löwe. Und Anna Kunze ergänzt: „Ich gehe auch in Schulen, achte bis zehnte Klassen, mit dem Projekt ,Irre menschlich‘ , um über psychische Gesundheit und Krankheit zu sprechen.“ Es gebe für sie keine Tabu-Themen. Ihr sei noch nie eine Frage gestellt worden, die sie nicht beantworten wollte. An ihrem Beispiel erkläre sie Schülern unter anderem die Tragweite von Mobbing. Gemeinsam mit Fachleuten werden diese Projekte durchgeführt.

Die Besucher der Ausstellungseröffnung interessieren sich für ihre Lebensgeschichte, in der künstlerisches Gestalten und Krankheit zusammengehören. Peter Löwe geht mit seinen Fragen auf beide Aspekte ein. „Wie entstehen die Arbeiten?“, fragt er und stellt fest, dass die Zeichnungen so aussehen, als wüsste sie genau, was sie darstellen will. „Ich habe Phasen, in denen arbeite ich viel, mache Skizzen, arbeite die Bilder genau aus. Dann gibt es wieder Zeiten, in denen ich gar nicht zeichne“, erklärt Anna Kunze. Wenn es ihr schlecht gehe, sei sie oft schöpferischer. Zeichnen werde zur Verarbeitungsphase. Manchmal finde sie später Skizzen, an deren Entstehung sie sich nicht erinnern kann.

Angeeignet hat sich die junge Frau ihr zeichnerisches Können schon in der Schulzeit. Für das Abitur belegte sie einen Leistungskurs Kunst. „Und ich hatte nach dem Abitur eine Lehrerin, mit der ich viel experimentiert habe“, sagt sie. Später zeichnete sie auch in der Therapie. Zwei Jahre lang arbeitete die damals noch angehende Kunsttherapeutin Julia Bachmann mit ihr. „Es ist toll, dass Anna diese Ausstellung hier hat und wie selbstbewusst sie ist“, sagt sie am Dienstagabend. Wie die Eltern aus Zwickau, ist sie aus Dresden zur Eröffnung angereist.

Ihre Eltern unterstützen Anna auf dem Weg, den sie selbst finden soll. Nach ihrem Einser-Abitur hatte sie Soziale Arbeit studiert, musste das Studium wegen ihrer Krankheitsschübe und Rückfälle aufgeben. Doch sie schöpft aus ihrem Erfahrungsschatz und gibt nicht auf. Sie engagiert sich im Selbsthilfenetzwerk für seelische Gesundheit und beim Verein EX-IN LV Sachsen gerade wegen ihrer Psychiatrie-Erfahrungen. „Ich hätte mir während meines langen Klinikaufenthalts eine Genesungsbegleiterin gewünscht“, sagt sie. Ängste und Zweifel hätten für sie wie auch ihre Familie minimiert werden können. Solch eine Begleitung gab es damals nicht, dafür setzt sie sich jetzt ein. Sie will mit ihren Erfahrungen anderen Betroffenen zur Seite stehen.

„Alle Achtung, Sie haben viel Mut. Andere verstecken sich mit ihrer Krankheit“, sagt Hans-Ulrich Gittel aus Cottbus. „Jedes Bild drückt Ihre Stimmung aus“, stellt er anerkennend fest. Das findet die Zustimmung der zahlreichen Besucher, die mit emotionaler Betroffenheit an diesem Abend nach Hause gehen. Die „Provokation“, das Porträt mit herausgestreckter Zunge und den beobachtenden Augen begeistert eine Besucherin so sehr, dass sie das Bild sofort kauft. Das überrascht auch Anna.

Die Arztpraxis Ulrich ist übrigens nicht zufällig Ort der Ausstellung „Meine Metamorphosen“ geworden. „Wir produzieren für den Sendeplatz ,Selbstbestimmt‘ des MDR-Fernsehens einen 30-minütigen Film über Anna Kunze. Sie lässt uns seit März offen an ihrem Leben teilhaben“, sagt Antje Schneider, Autorin des Films. Nach einer ersten kleinen Präsentation in Dresden habe sich Anna eine eigene Ausstellung gewünscht – das sollte im Rahmen des Filmprojekts wahr werden. Ein Artikel in der Lausitzer Rundschau über Kurator Peter Löwe habe sie auf die Kleine Galerie Goyatz aufmerksam gemacht, erzählt Antje Schneider. Und obwohl alle Termine schon ausgebucht waren, hat Peter Löwe es geschafft, dass nun im Warteraum der Praxis Ulrich bis 2. August Zeichnungen von Anna Kunze zu sehen sind und zum Nachdenken anregen.

Danach stellt ab 6. August die Lübbenerin Ingrid Groschke aus.