Zwei Jahre ist es her, dass Nicole Queißert ihren Sohn zuletzt in den Arm nehmen konnte, dass sie sein Lachen hören konnte, sein Grinsen sehen konnte. 2015 wurde Jan-Leon bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Es folgten zwei Monate im Krankenhaus, Reha und drei Jahre, in denen sich die Mutter fast und rund um die Uhr um ihren schwer erkrankten Sohn kümmerte.
Und dann kam der Tag, im Oktober 2018, als Jan-Leon plötzlich Krämpfe bekam. Stunden später ist er im CTK in Cottbus verstorben, mit gerade einmal vier Jahren. Seine Mutter war die ganze Zeit bei ihm.
Cottbuser schaffen Gedenktag für Angehörige verstorbener Kinder
„Ich denke jeden Tag an ihn“, sagt Nicole Queißert. Sie redet über ihren Sohn, hält ihn so in Erinnerung. „Nicht jeder kann das“, sagt Benjamin Kaschula. Der Cottbuser ist Notfallseelsorger und hat mit Mitstreitern vor zwei Jahren die Gedenkveranstaltungen für verstorbene Kinder ins Leben gerufen. An diesem Sonntag findet sie zum dritten Mal statt. Maximal 100 Menschen können diesmal in der Marienkirche teilnehmen: Eltern, die ein Kind verloren haben, ehrenamtliche und professionelle Helfer, die Sterbende und ihre Angehörigen in der Region begleiten.
Nicole Queißert ist froh, dass sie solche Helfer hatte, als ihr Jan-Leon im Krankenhaus seinen letzten Atemzug getan hat. Sie halfen, den Vierjährigen noch einmal zu waschen und Abschied von ihm zu nehmen. „Wir haben ihm Omas Jacke angezogen“, erinnert sich Nicole Queißert. Die sollte er eigentlich erst zu Weihnachten bekommen.
Einen weißen Sarg haben sie Jan-Leon besorgt. Ihn mit Bildern und Worten des Abschieds geschmückt. „Das war schön“, sagt Nicole Queißert. Bei der Beerdigung seien rund 40 Menschen gekommen. Freunde, Nachbarn, aber eben auch Begleiter wie die Leiterin des Familienhauses am CTK in Cottbus oder der Hospizdienst der Johanniter.
„Es gibt einen Bedarf, über Trauer zu reden“
Die Gedenkveranstaltung in Cottbus ist eine Gelegenheit, auch sie einmal wieder zu sehen. „Ich weiß, als ich anfing, gab es Kritiker, die gesagt haben: Sei froh, wenn da drei oder vier kommen“, erinnert sich Kaschula. Die Resonanz war dann sehr viel größer.
„Es gibt einen Bedarf, über Trauer zu reden und sie zu gestalten, viel mehr als früher“, hat der Notfallseelsorger festgestellt. Der Termin kurz vor Weihnachten ist ganz bewusst gewählt. Das Fest der Familie ist für viele Angehörige, die einen lieben Menschen verloren haben, ein besonders schwerer Moment.
„Wir gehen auf den Friedhof, zünden Kerzen an“, erzählt Nicole Queißert. Ihr Freund begleitet sie. Gemeinsam stehen sie an Jan-Leons Grab, schweigen, erinnern sich. Ein festes Ritual, das beiden Kraft gibt.
Rituale helfen, mit der Trauer umzugehen
„Rituale sind wichtig“, sagt Kaschula. Auch die Gedenkveranstaltung hat solche wiederkehrenden Elemente. Wie die Pappwürfel, die die Teilnehmer 2018 beschriften konnten. „Die Trauer entfalten, war das Motto“, erklärt Benjamin Kaschula. „Da kann dann der Name drinstehen oder auch ganz persönliche Gedanken und Gefühle: ‚Ich vermisse Dich.’ Oder auch ‚Ich bin wütend, weil Du nicht mehr da bist.’“ Jeder könne den Würfel mitnehmen, ihn entfalten, um zu trauern, ihn aber auch wieder zusammenklappen, um weiterzuleben, wenn er die Trauer gerade nicht mehr aushält.
Im vergangenen Jahr waren es Tränen, die nicht umsonst geweint sind und in Krügen der Erinnerung aufgefangen wurden. In diesem Jahr soll das Motto „Verbundensein und -bleiben“ sein.
Für Nicole Queißert ist es auch wichtig, mit Menschen zusammenkommen, die ähnliches erlebt haben. „Man verarbeitet das ganz anders. Hier kann man eine Träne vergießen. Hier kann ich über meine Trauer reden.“
Kerzen und Ballons erinnern an die verstorbenen Kinder
Kerzen sind auch so ein Ritual. Nicole Queißert entzündet sie zu Hause, wenn sie an ihren Jan-Leon denkt. „Dann flackert die Flamme“, sagt sie leise. Auch am Sonntag in Cottbus wird sie eine Kerze anzünden. Sie wird zusammen mit den anderen im Zentrum stehen. „Wir wollen den Teilnehmern zeigen: Ihr seid nicht allein“, erklärt Kaschula.
Nach dem Treffen werden Ballons in den Himmel steigen, mit Grüßen an die verstorbenen Kinder. Auch das ist so ein Ritual, das Eindruck macht, das aber auch hilft, zu verarbeiten. „Wir wollen den Teilnehmern etwas mitgeben, etwas das Kraft gibt“, sagt Benjamin Kaschula. Ganz bewusst arbeitet die Gedenkveranstaltung mit Licht und Musik. Bei „Tears in Heaven“ rollen dann die Tränen. „Das darf sein, das tut gut“, sagt Kaschula.
Die Forsterin erinnert sich an das Lächeln ihres verstorbenen Sohnes
„Verdrängen kann ich Jan-Leons Tod nicht“, sagt Nicole Queißert. Zu lebendig sind die Erinnerungen an den Vierjährigen, der trotz aller Schläuche lachen und scherzen konnte. Über das Gesicht seiner Mutter geht ein Lächeln, wenn sie davon erzählt, wie verschmitzt er sein konnte. „Sein Mut, weiterzuleben, wie er gekämpft hat. Seine komischen Grimassen.“
Ihr ist es wichtig, darüber zu reden. Ein Bedürfnis, das sie mit anderen Betroffenen teilt. „Der Tod ist immer noch ein durchaus verdrängtes Thema. Aber es weicht hier und da auf“, sagt Kaschula. „Menschen machen sich vermehrt über das ‚Wie’ Gedanken. Wie wollen wir sterben und wie nicht. Wie gehe ich, wie gehst Du mit dem Verlust, mit der Trauer um?“ Auch deshalb sei die Gedenkveranstaltung wichtig, weil sie das Thema in die Öffentlichkeit trägt.
Termin
Die Gedenkveranstaltung für verstorbene Kinder findet am 13. Dezember 2020 um 15.30 Uhr in der Marienkirche in der Adolph-Kolping-Straße in Cottbus statt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, allerdings ein Mund-Nasen-Schutz. Eine Registrierung der Teilnehmer erfolgt vor Ort, Plätze mit Abstand sind markiert.
Einladende sind die Notfallseelsorge Cottbus und Spree-Neiße, die Malteser (ambulanter Hospizdienst), die Johanniter (ambulanter Kinder- und Jugendhospizdienst), das Carl-Thiem-Klinikum (Sternenkindergruppe und Seelsorge), die evangelische und katholische Kirche, das Ronald-McDonald-Haus und alle, die sich dem Thema der Trauer und des Gedenkens um ein verstorbenes Kind (ungeboren, geboren, klein, groß, Kind, Erwachsen, …) annehmen.
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