Von Dr. Rainer Ernst
Geschichtsschreibung ist auf aussagekräftige Quellen angewiesen. Das gilt auch und insbesondere für die Historiografie in kleinen Gemeinden. Dabei sind die Bundes- und Landesarchive oftmals nicht die geeigneten Wissensspeicher, weil regionale, lokale oder gar familiäre Ereignisse im großen Weltgetriebe kaum wahrgenommen wurden. Mitunter können nicht einmal die Kreis- oder Amtsarchive wenn es die überhaupt gibt helfen.
Ein Glücksfall ist es dann, wenn wenigstens der Lehrer in der Gemeinde die Schulchronik ordentlich geführt hatte und folgende Generationen dieses Dokument verantwortungsvoll bewahrten. Per Dienstordnung waren Lehrer zur Führung einer Schulchronik verpflichtet. Gab es in den kleinen Dorfschulen eine Revision durch die kirchlichen oder staatlichen Aufsichtsbehörden, galt dieser Frage immer Aufmerksamkeit.
Die Massener Lehrer brauchten die Inspektion in diesem Punkt nicht zu fürchten. Wie die im Kreismuseum Finsterwalde aufbewahrten Teile der Schulchronik beweisen, gaben sich die Schulmeister große Mühe beim Verfassen der Chronik. Sie dokumentiert natürlich vor allem schulische Ereignisse, die aber auch Rückschlüsse auf die Lebensweise unserer Vorgängergenerationen ermöglichen. So erfahren wir, dass 1873 der Schüler C. Ruprecht, obgleich nicht einmal zwölf Jahre alt, mit Genehmigung der Lokalschulinspektion nach Lieskau als Hirtenknabe vermiethet wurde. 1881 versah der Lehrer die Mitteilung, wonach am 17. Dezember die elfjährige Tochter des Bahnwärters Seeland verstorben war, mit der Bemerkung: Ärztliche Hilfe ward in der Regel nur dann gesucht, wenn der Tod nicht mehr weit war, bis dahin corirte man mit der hier in ungeheuern Ausdehnung betriebenen sogenannten Homöoptathie.
Darüber hinaus bietet die Massener Schulchronik vielfältige Informationen über die Gemeinde. So enthält sie einen vom Lehrer 1892 gezeichneten Übersichtplan aller Häuser des Ortes, der auch die Eisenbahnlinie und den Brückenübergang des Grabens über die Dorfstraße zeigt. Eine sorgsam beigelegte Legende überliefert Namen und den Stand der Hausbewohner. Eine Fundgrube für die Ortsgeschichte!
Aus dem gleichen Jahr ist ein Bericht über Wegebauarbeiten nach Tanneberg überliefert. Ein subtiler Kommentar offenbart, dass der Schulmeister die schildbürgerartige Arbeitsweise der Baukommission, die von den dörflichen Großbauern gebildet worden war, mit einiger Schadenfreude betrachtete: Der Weg nach Tanneberg sollte ein Normalweg werden. Auf Anordnung der gewählten Wegebaukommission wurde er zuerst rund gemacht. Hierauf wurden viele Ruthen Sand aufgefahren... Dadurch war der an sich schmale Weg zu rund, so daß sich zwei hochbeladene Wagen nicht ausbiegen konnten, einer mußte umfallen. Da es ein Sandweg geworden war konnte ein schwerbeladener Wagen auf demselben nur fortbewegt werden, wenn vier kräftige Pferde vorgespannt wurden. Die Baukommission mußte daher auf andere Besserungsmittel sinnen. Sie nahm den Scherenpflug, pflügte den hochaufgeschütteten Sand unter und kam auf den glücklichen Gedanken verschiedene Ruthen Lehm auffahren zu lassen, wodurch etwas Festigkeit des Weges bewirkt wurde. Sämtlich kostete dieses Weg ca. 600 M. Doch werden andere Communen denselben jedenfalls nicht zum Muster nehmen. Alles will gelernt sein und wenn sich die Leute noch so klug dünken.
Auch später diente die Schulchronik nicht allein der Faktendokumentation, sondern sie gewährte dem Lehrer die Möglichkeit, seine sicherlich nicht von jedem Dorfbewohner geteilte Sicht auf den Zeitenlauf zu bekunden. Im Februar des Inflationsjahres 1923 schrieb er: Bei einem 2 3 Mill. Gehalt kann nur von einem kläglichen Einkommen die Rede sein, und man wünschte allgemein die frühere Zeit mit seinem Einkommen zurück. Die Bauern, vor allen Dingen die größeren, konnten von einer guten Zeit reden. Sie bauten darum Scheunen, Ställe u. größere Wohnhäuser. Auch die Glashütte errichtete einen zweiten Ofen und Lagerräume.
Glücklicherweise führen an einigen Schulen engagierte Lehrer noch heute eine Schulchronik.
(Alle Zitate aus der genannten Chronik)