Von Dr. Rainer Ernst

Am 11. August 1919 unterzeichneten Reichspräsident Friedrich Ebert und die Mitglieder der Reichsregierung die am 31. Juli von der Mehrheit der Abgeordneten der Nationalversammlung angenommene Reichsverfassung. Zwei Jahre danach regte der nunmehrige Regierungschef Joseph Wirth an, den 11. August künftig als Verfassungstag festlich zu begehen.

In Finsterwalde fiel dieser Gedanke – im Gegensatz zu vielen anderen Orten – auf fruchtbaren Boden. Bis 1932 besaß der 11. August einen festen und bedeutenden Platz im Feierkalender der Stadt. Schon 1922 organisierte ein „Ausschuss zur Vorbereitung eines republikanischen Volksbundes“ – ihm gehörten unter anderem Bürgermeister Dr. Ostrowski, Stadtrat Gericke, Lehrer Dr. Martin Deutschkron und die Lehrerin Elisabeth Stephan an – eine große öffentliche Verfassungsfeier. Die Veranstaltung im Filmsaal des Kinos „Weltspiegel“, dessen Plätze restlos besetzt waren, fand eine sehr zustimmende Aufnahme bei „allen Ständen“. Die klug ausgewählten und durch einheimische Laienkünstler beeindruckend vorgetragenen Lieder und Gedichttexte bekamen reichlich Beifall. Die Festrede des Bürgermeisters über „Die sittlichen Grundlagen der republikanischen Verfassung“ erhielt selbst vom eher konservativen „Niederlausitzer Anzeiger“ Anerkennung.

Breite Resonanz erhielt der Verfassungstag durch die Entscheidung, das jährliche Kinderfest aller Finsterwalder Schulen nun nicht mehr am militant-nationalistisch geprägten Sedantag (2. September), sondern an dem neuen republikanischen Feiertag zu begehen. Gemeinsam mit ihren Lehrern zogen die Kinder – 1929 unter Begleitung von drei Musikkapellen und unter den neu beschafften schwarz-rot-goldenen Schulfahnen – vom Markt zum Waldspielplatz in der Bürgerheide. Dort erwarteten sie neben Sportwettkämpfen und Gesellschaftsspielen auch reichlich Limonade und Bockwurst. Ein Foto aus jenem Jahr zeigt festlich gekleidete junge Damen der Mädchenschule gemeinsam mit Rektor Gericke auf dem Weg zum Festplatz.

Der Verfassungstag 1929 bildete wohl den Höhepunkt in der kurzen Tradition dieses Festes in Finsterwalde. Die Goldenen Zwanziger Jahre mit ihrem bescheidenen Wohlstand und der Überwindung des Nachkriegschaos hatten die Weimarer Republik zeitweise stabilisiert und zur Akzeptanz der jungen Demokratie in breiten Bevölkerungsschichten geführt. So strömten „festlich gestimmte Menschenmassen“ in das völlig überfüllte Viktoria-Hotel (später Haus der Freundschaft, jetzt Ruine) zur offiziellen Feier der Stadtverwaltung. Wiederum gab es ein erlesenes Festprogramm.

Die Würdigungsrede für die Verfassung hielt Bürgermeister Georg Geist. Ausgehend von den Kernbegriffen der Nationalhymne „Einigkeit und Recht und Freiheit“ resümierte er: „Wir dürfen aber nicht nur mit unserer Vernunft den Gehalt der Verfassung begreifen. Wir müssen mit unserem Herzen die Verfassung in die Wirklichkeit des Lebens umsetzen. Dann wird sich zeigen, dass sich die (…) überwiegende Mehrheit unserer Nation in dem Hause wohlfühlt, das in Weimar vor 10 Jahren gebaut wurde. (…) Ich bin der Überzeugung, sollte von innen oder außen ernstlich der Versuch gemacht werden, unsere Verfassung von Weimar zu beseitigen, es erhebt sich unter unseren Fahnen schwarz-rot-gold die erdrückende Mehrheit für Weimar.“

Welch ein tragischer Irrtum!

Spätestens ab 1930 zerbröselte der ohnehin fragile demokratische Konsens in Finsterwalde wie im ganzen Deutschen Reich. Die Feinde der Republik gewannen die Oberhand. Unter Missachtung der Verfassung wurde 1933 der demokratisch gewählte Magistrat der Stadt aufgelöst, einige seiner Mitglieder – so auch Bürgermeister Geist – ins KZ verschleppt und ohne jede Legitimation ein NSDAP-Bürgermeister eingesetzt. Einer seiner ersten Beschlüsse: Die Abschaffung des Kinderfestes am 11. August und des Verfassungstages überhaupt.

Zitierte Quellen: „Volksblatt für die westliche Niederlausitz“ v. 12. u. 13.8.1929, „Niederlausitzer Anzeiger“ vom 13.8.1922 und vom 27.5.1933