Von Dr. Rainer Ernst

Am Donnerstagabend wurde im Sänger- und Kaufmannsmuseum die Ausstellung über das Finsterwalder Märchenhaus eröffnet. Die beeindruckenden Fotos zeigen anschaulich die Meisterschaft der Bildhauer, die die 27 Märchenreliefs geschaffen haben. Der Künstler, der den größten Anteil an diesen baugebundenen Bildwerken besitzt, ist Ernst Born. Karl Dassel, der Architekt des Märchenhauses, hatte ihn während der Arbeit an gemeinsamen Projekten in Forst (Lausitz) kennengelernt.

 Glücklicherweise blieb eines ihrer Schöpfungen in der ansonsten im Krieg enorm zerstörten Textilmetropole nahezu unversehrt: das Gymnasium der Neiße-Stadt. Ernst Born gestaltete die Aula des damals und noch heute beeindruckenden Schulbaus mit Reliefdarstellungen an den Stützpfeilern des repräsentativen Raumes aus. Passend zu dieser Örtlichkeit hatte man als Motive für den Bildschmuck die antiken Musen gewählt. Nach der griechischen Sagenüberlieferung waren die neun Musen-Schwestern Töchter des Göttervaters Zeus und der Nymphe Mnemosyne (Erinnerung), die ursprünglich die Heldentaten des Kampfes gegen die urzeitlichen Titanen durch Gesang verherrlichen sollten. Bald schon erhob sie die griechische Mythologie jedoch zu Schutzgöttinnen der Künste und der Wissenschaften überhaupt.

 Eine Darstellung der Musen wäre auch in Finsterwalde durchaus nicht fehl am Platze gewesen, denn einige historische Persönlichkeiten der Stadt zeichneten sich als von ihnen geküsste Schützlinge aus.

So Christoph Lehmann (* 1568 in Finsterwalde † 1638 in Heilbronn), der als Jünger der Muse Clio gelten darf. Clio war (und ist es hoffentlich noch immer) die Muse der Historiker. Lehmann errang in diesem Wissenschaftszweig insbesondere mit seiner Chronik der Stadt Speyer (1612), die eigentlich eine penibel erarbeitete Chronik des mittelalterlichen deutschen Reiches darstellt, einen hervorragenden Ruf. Seine Zunftkollegen verglichen ihn deshalb mit dem legendären antiken Historiker Livius. Unter der besonderen Schutzherrschaft der Muse Erato, die für die Poetik zuständig war, stand offenbar Pancratius Krüger (* 1546 in Finsterwalde †1614 in Frankfurt/Oder). Ihn hatte die Helmstädter Universität zum Poeten gekrönt. Seine Wissenschaftsbiografie endete mit einer Professur für griechische Sprache an der Universität Frankfurt/Oder. Einer besonderen Förderung der Musen erfreute sich gewiss auch Bartholomäus Scheräus, der 1574 als Barthel Schere in Finsterwalde geboren wurde. Sein Hauptwerk, eine als Wörterbuch angelegte „Geistliche, weltliche und häusliche Sprachen-Schule“ (1619) weist ihn als Sprachwissenschaftler und als Universalgelehrten aus. Deshalb dürfte auf ihn auch die Universalmuse Urania ein besonderes Augenmerk gerichtet haben. Fortuna, keine Muse, sondern die Glücksgöttin, hingegen, hatte ihn wohl nicht im Blick, denn Barthel Schere wurde 1633 während des Dreißigjährigen Krieges in Finsterwalde von marodierenden Soldaten erschlagen.

 Schon im antiken Alexandria hieß eine den Musen gewidmete Forschungsstätte Museion, wovon sich der Begriff Museum ableitet. In Finsterwalde hatten die Musen schon recht früh eine solche Heimstatt, denn die Studierstube des hiesigen Oberpfarrers trug bereits 1650 diese Bezeichnung. Im heutigen Finsterwalder Musentempel, dem Kreismuseum, sind die Musen zwar nicht zu sehen, dafür aber die wunderschönen Märchendarstellungen des Bildhauers Ernst Born, die der Fotograf Jürgen Vetter meisterlich fotografierte. Ob beide als Inspiration für ihre Kunstwerke von den Musen geküsst wurden?