Von Thilo Richter

Ganz klassisch aber in ungewöhnlichem Alter begann Jonas Roch (22) aus Gröden mit der Erforschung seiner Familiengeschichte. Er fand im Alter von zwölf Jahren erstmals alte Akten und Bilder auf dem Oberboden der Großmutter. Heute erforscht er auch anhand dieser Quellen DDR-Unrecht im Schradenland.

In seinem Ordnungssystem geht nichts unter. Jeder Familienzweig hat mehrere Ordner, in denen das seit nunmehr zehn Jahren zusammengetragene Material lagert. Von Geburts- und Sterbeurkunden über Bauanträge und Briefe ist alles dabei. Die am weitesten zurückverfolgbare Linie reicht übrigens bis ins Jahr 1550. Es gebe Zweige, so Jonas Roch, wo er „nur“ ein paar Aktenordner gesammelt habe, und solche, wo es mehrerer Schränke bedürfe, um alles Material unterzubringen. Neben dem Studium der Geschichtswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin ist der engagierte Grödener unter anderem im Heimatverein seines Dorfes, im Hirschfelder Spielmannszug sowie in der CDU und Jungen Union aktiv. „Bei diesem manchmal stressigen Alltag gibt mir die ruhige Arbeit am Schreibtisch mit den Nachlässen meiner Vorfahren immer etwas Demut. Ich sehe dabei häufig, wie klein und nichtig die eigenen vermeintlichen Probleme oft sind“, so Jonas Roch.

Seit ein paar Monaten sitzt der junge Mann aus Gröden schon an einem Artikel für den nächsten Bad Liebenwerdaer Heimatkalender. „Eigentlich wollte ich über etwas ganz anderes schreiben, aber dann erinnerte ich mich an diese Akten“, so der Student. Der Deutz-Traktor seines Urgroßvaters war 1958 durch die Volkspolizei eingezogen worden und sollte nicht wieder zurückgegeben werden. Nachdem Jonas Roch die betreffenden Akten in seinem Besitz geordnet und gesichert und darüber hinaus in der Fachliteratur gelesen hatte, wusste der Nachwuchs-Heimatforscher, dass er diese Geschichte mit anderen Interessierten teilen wollte.

„Die SED war 1958 ganz und gar nicht zufrieden mit dem Stand der 1952 offiziell begonnenen Kollektivierung der Landwirtschaft“, so Jonas Roch. „Im Kreis Bad Liebenwerda war der Anteil der Einzelbauern, die für die Bestellung ihrer Felder selbst erworbene oder gar selbst gebaute Traktoren verwendeten, in den Schradendörfern besonders hoch.“ Dies rief auch das Ministerium für Staatssicherheit auf den Plan: „Das MfS meldete an das ZK der SED, dass die Anzahl privat genutzter Traktoren in der DDR im Jahr 1957 von 20 000 auf 22 000 gestiegen sei. In einem Land, das seit sechs Jahren den Sozialismus aufbaute, durfte das nicht sein und Traktoren wurden zu Tatwaffen.“

Die Volkspolizeikreisämter erhielten im Sommer 1958 republikweit den Befehl, spontane Kontrollen von Traktoren von Einzelbauern vorzunehmen, Verstöße gegen die Straßenverkehrszulassungsordnung festzustellen und diese Traktoren danach unbedingt einzuziehen. So geschehen auch bei Jonas Rochs Urgroßvater. „Man argumentierte damit, dass die Traktoren als Tatwerkzeuge anzusehen seien und daher konfisziert werden könnten. Die SED wollte damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die Einzelbauern in die LPG zwingen und gleichzeitig den Materialmangel in den Fuhrparks der MAS und MTS beseitigen.“ Der junge Historiker fand heraus, dass diese Taktik landesweit oft den gewünschten Erfolg brachte, da die Besitzer der Traktoren zu empfindlich hohen Strafen verurteilt worden seien und den Widerspruch scheuten.

Über einen Freund erhielt Jonas Roch die Information, dass mit Roland Schobert (83) noch einer der sieben damals verurteilten Hirschfelder lebe. Noch am selben Tag rief er bei dem Hirschfelder Rentner an. Der freute sich über das Interesse des 22-Jährigen und schon tags darauf kam es zu einem Treffen. „Ich habe vom Kreisgericht Liebenwerda drei Monate Gefängnisstrafe auf Bewährung bekommen und meinen Traktor wollten sie mir endgültig wegnehmen“, so Roland Schobert, der damals erst 23 Jahre alt war. Seine Frau Anneliese erinnert sich: „Wir waren kurz davor, abzuhauen. Wenn unsere wenige Monate alte Tochter nicht gewesen wäre, dann wären wir in den Westen geflohen.“

Dank des Urgroßvaters von Jonas Roch widersetzten sich die Verurteilten und klagten über das Bezirksgericht in Cottbus bis zum Obersten Gericht der DDR, das die Entscheidungen der Gerichte in Bad Liebenwerda und Cottbus für ungültig erklärte. „Da nur wenige diesen langen und anstrengenden Weg auf sich nahmen, galt diese Kassation für die SED-Justiz wohl eher als Kollateralschaden und nicht als Niederlage“, so Jonas Rochs Bewertung. Die Änderung der Urteile bewirkte nämlich nur die Rückgabe der drei und nicht etwa aller landesweit rechtswidrig abgenommenen Traktoren. Auch die Geld- und Bewährungsstrafen blieben unangetastet.

Dass die Hirschfelder die Traktoren je wiederbekommen würden, hätte sich Roland Schobert anfangs nie träumen lassen, erklärt er Jonas Roch. „Nur durch das Beharren deines Urgroßvaters und des Anwaltes haben wir uns durchgesetzt. Doch auf dem Weg dorthin wurden wir ständig eingeschüchtert. Ich habe gesehen, wie ein älterer Mitangeklagter, der sonst nie Gefühle gezeigt hat, vor Gericht weinte. Man wollte uns kaputt machen und enteignen.“

Nicht nur für seine Familiengeschichte machte sich Jonas Roch die ganze Recherchearbeit. „Ich forsche schon seit längerem im Studium über die Zeit von 1945 bis 1961 in der SBZ/DDR. Da war es für mich sehr lehrreich, diese Zeit der Diktaturdurchsetzung auch in meiner Familie aufzuarbeiten. Auch für das Gefühl, wie gut wir heute leben und welchen Wert unsere Demokratie und unser Rechtsstaat haben, sensibilisieren solche Ereignisse.“

Die ganze Geschichte wird im nächsten Bad Liebenwerdaer Heimatkalender nachzulesen sein.