Von Frank Claus
Es sind Momente, die auch ein Reporter nicht vergisst. Nicht euphorisch, aber doch mit Optimismus und Hoffnung klettern am Montag gegen 14 Uhr etwa 90 Zuckerwerker aus Brottewitz in die zwei Busse. Soeben haben sie geschlossen vor der Mannheimer Südzucker-Zentrale für den Erhalt ihres Standortes demonstriert.
Kurz bevor der Brottewitzer Betriebsratschef Stefan Born in den Bus steigt, sagt er auf die Frage einer Fernsehreporterin, wie er sich fühle: Gut. Wir haben gekämpft. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Im Bus herrscht bei der Abfahrt aus Mannheim Hoffnung. Die Gespräche sind angeregt, die Stimmung nicht überschwänglich, aber erleichtert.
Nicht mal vier Stunden später, der Bus ist kurz vor Jena, erfahren die Zuckerwerker, dass sämtlicher Kampf umsonst war. Plötzlich Totenstille. Die Köpfe sind gesenkt oder die Blicke gehen gedankenversunken ins Leere. Es ist spürbar: Alle malen sich auf ihre Weise aus, was das Aus für sie, ihre Familien und die Region bedeuten wird.
Es dauert fast eine Stunde, bis erste, leise Gesprächsfetzen wieder durch den Bus dringen. Da werden Schicksale nur angedeutet. Von 50-Jährigen und älteren, die es schwer haben dürften, in der industriell ohnehin schwachen Region wieder Arbeit zu finden. Es geht um Familien, in denen Frau und Mann in der Zuckerfabrik ihr Brot verdienen, um Familien, in denen nur einer das Geld ranschleppt.
Und immer wieder kommen die Gespräche auf die jungen Leute. Isabella Weidner hat sich schon auf der Hinfahrt, als die RUNDSCHAU sie fragt, mit welchen Erwartungen sie nach Mannheim fahre, erklärt, dass sie sich Sorgen um die Jugend macht: Wir haben gerade erfolgreich den Generationswechsel vollzogen, viel ausgebildet, gute Fachkräfte gewonnen. Und jetzt das. Ich kenne junge Familien, die gerade einen Kreditvertrag unterschreiben wollten, um ein Haus zu bauen oder zu modernisieren. Sie wollten hierbleiben und nun?
Steffen Neumann ist gerade aus dem Werk in Zeitz zurück in die Heimat gekommen. Auf der Hinfahrt meint er: Was soll das jetzt? 14 Jahre war ich in Zeitz. Man hätte mir doch sagen müssen, dass das Werk in Brottewitz keine Zukunft mehr haben soll. In sich zusammengesunken sitzt er nun im Bus.
Frank Matthiesen könnte sich eigentlich zurücklehnen. Er geht am 28. Februar in Altersteilzeit. Und trotzdem sitzt er im Bus. Das bin ich meinen Kollegen schuldig. Er versteht den plötzlichen Sinneswandel bei Südzucker nicht. Man hat uns gesagt, dass schwere Zeiten auf uns zukommen werden und immer betont: Wer soll es schaffen, wenn nicht Südzucker.
Steffen Weidner ist stinksauer. Südzucker muss die Entwicklungen auf dem Weltmarkt noch beobachten und deshalb eine Entscheidung vertagen, hat er am Vormittag noch gesagt und ist wie seine Kollegen eines Besseren belehrt worden. Wut macht sich breit, dass die Kleinen wieder mal ausbaden müssen, was nicht nur die Entwicklung auf dem Weltmarkt, sondern auch die Politik nach Abschaffung der Zuckermarktordnung und geduldeter Wettbewerbsverzerrung mit verschuldet hat. Während Deutschland wieder mal Vorbild spielen wolle und keinen Cent Subventionen mehr zahle, wie es im Bus heißt, würden elf Staaten der EU ihre heimische Wirtschaft weiter bezuschussen. Ein Zuckerwerker nimmt sein Telefon zur Hand. In seinem Profilbild hat er sich stolz als Südzucker-Mitarbeiter bekannt. Jetzt kreuzt ein dicker, schwarzer Strich den Firmennamen.
Hannelore Brendel, Mühlbergs Bürgermeisterin, ist ebenso geknickt: Was soll aus der Region nur werden? Die Zuckerfabrik war der letzte große, verarbeitende Betrieb. Viele Dinge schießen ihr durch den Kopf, die ohne die Zuckerfabrik viel schwerer werden. Vom städtischen Haushalt bis zur Unterstützung von gemeinnützigen Vereinen. Und da ist unsere Feuerwehr, in der viele Zuckerwerker aktiv sind. Hoffentlich bricht die mir jetzt nicht weg. Was Hannelore Brendel am Morgen angedeutet hat Wir werden doch nicht noch die Zuckerrübe aus dem Brottewitzer Wappen streichen müssen? ist am Abend bittere Realität.