Von Julian Münz
Im Cottbuser Winterquartier der Zirkusfamilie Scholl, gegenüber eines Baumarkts gelegen, ist von der großen Showbühne auf den ersten Blick nichts zu sehen. Nur ein Lastwagen vor dem Gelände, auf dem in hellblauer Schrift Festival geschrieben steht, verrät, dass die Bewohner der Wohnwagensiedlung ihr Geld in der Zirkusmanege verdienen.
Seit dem 6. Januar, als ihr Winterzirkus hier zu Ende ging, machen der Circus Schollini sowie der Circus Festival der Familie Scholl in Cottbus Station. Monika Scholl ist die Matriarchin beider Zirkusse. Die 75-Jährige, von allen nur Oma Scholl genannt, ist eine kleine und rüstige Frau, die ihrem Spitznamen nicht so recht entsprechen möchte. Zielstrebig führt sie in den Hauptraum ihres Wohnwagens, der mit einer kleinen Küchenzeile und einem Esstisch ausgestattet ist. Wir bieten eine Schulstunde Programm, machen Luftakrobatik, Seiltanz, Jonglieren oder Clownerie, wirbt die 75-Jährige und kramt dabei sogleich einen Flyer hervor.
Es ist Winterpause bis zum 15. März bleibt der große Manegenvorhang für die Artisten geschlossen. Trotzdem suchen Monika Scholl und ihre Kinder für die Zirkusfamilie bis dahin intensiv nach neuen Auftrittsmöglichkeiten. Denn die Shows in der Vorweihnachtszeit liefen nicht gut genug, um die Zeit bis in den März sorgenfrei zu überbrücken. Das Problem war, dass vor unserem Weihnachtszirkus in Cottbus schon zwei Großzirkusse gespielt haben, hadert die Chefin. Daher sei die letzte Station des Jahres unerwartet schlecht gelaufen.
Monika Scholl ist in dem Geschäft bereits ein alter Hase, schon von Kindesbeinen war sie mit dem Zirkus auf Reisen. Ich bin im Wohnwagen geboren und meine Kinder sind es ebenfalls, erzählt die 75-Jährige mit Stolz und fügt hinzu, dass sich ihre Zirkusfamilie schon in der achten Generation befände. Mit ihren vielen Ablegern ist sie in ganz Deutschland unterwegs.
Auch Monika Scholls Schwiegertochter Peggy Scholl rührt die Werbetrommel für Auftritte der Zirkusartisten kräftig mit. Gemeinsam mit ihrem Mann Martin hat sich die heute 40-Jährige vor sieben Jahren selbstständig gemacht und den Circus Schollini aufgebaut. Auch Peggy Scholl entstammt einer Zirkusfamilie und ist schon ihr Leben lang in einem mobilen Zuhause unterwegs. Bei meiner Geburt ist mein Vater noch im Clownskostüm ins Krankenhaus gefahren, erzählt die Zirkusartistin. Als das Ehepaar ihren eigenen Zirkus gründete, machte die Familie ebenfalls in Cottbus Station. In die Stadt kommen sie immer wieder gern, hier haben sie auch außerhalb des Zirkusses viele Kontakte aufgebaut. Wir sind sozusagen ein Lausitzer Unternehmen, sagt die gebürtige Reutlingerin, auch wenn die Zirkusleute mit einer festen Heimat nicht viel anfangen können.
Dass das Zirkusleben auch außerhalb der Manege ein Drahtseilakt sein kann, weiß Peggy Scholl nur zu gut. Als sich ihr Mann vor zwei Jahren einer Rückenoperation unterziehen musste, stand der Betrieb erstmal still. Das ist das Schlimmste für einen Artisten, weiß die 40-Jährige. Eine finanzielle Absicherung abseits der Show-Einnahmen gab es auch damals nicht. Wer möchte schon einen Zirkusartisten versichern?, macht Peggy Scholl die Situation deutlich.
Dazu können die Artisten immer weniger Zuschauer in die Manegen locken. Unsere größte Konkurrenz ist die Medienwelt, sagt Peggy Scholl. Früher gab es viel mehr Zulauf, Kinder sind schon vor den Auftritten gekommen und haben mit aufgebaut. Mittlerweile haben Smartphones und das Internet den Zirkusvorstellungen den Rang abgelaufen.
Missen möchten die Scholls das Zirkusdasein trotzdem nicht. Viele können sich das ständige Reisen mit einem Wohnwagen nicht vorstellen bei uns ist das umgekehrt, erzählt Peggy Scholl. Der Winter ist der einzige Zeitpunkt, an dem die Zirkusleute mal länger als nur einige Tage an einem Ort sind. Bereits jetzt jucke es den Familienmitgliedern in den Fingern, sodass schon wieder für Auftritte trainiert werde.
Auch auf Scholls vier Kinder ist die Begeisterung für den Zirkus übergesprungen. Als meine Tochter fünf Jahre alt war, kam sie schon mit neuen Tricks zu mir, erzählt die 40-Jährige. Mittlerweile treten die Töchter Jolina und Letizia mit Hula-Hoop- und Seiltanzaufführungen auf. Bruder Sandro hingegen feilt gerade an einer Showeinlage auf dem Trampolin. Für die Zukunft stehe den Kindern der Weg offen, betont Peggy Scholl: Wir geben ihnen zumindest alles mit auf den Weg, was man für das Artistendasein braucht.
Froh ist sie auch darüber, dass es in Hessen und Nordrhein-Westfalen spezielle Zirkusschulen gibt, an denen ihre vier Kinder ihren Schulabschluss machen können. Scholl selbst besuchte die Schule nur, so lange es nötig war. Als Kind habe ich an so etwas gar nicht gedacht, sagt die Artistin. Erst als Mutter sei ihr die Wichtigkeit der schulischen Ausbildung bewusst geworden: In der heutigen schnelllebigen Welt weiß man ja nie, was passiert.
Dass sie den Zirkus eines Tages ganz aufgeben müssen, glaubt die 40-Jährige nicht. Solange es Kinder gibt, wird es auch den Zirkus geben, ist sie sich sicher.