Von Andrea Hilscher
Er gehört tatsächlich einer Minderheit an: Gustav Lebhart ist Österreicher, einer von nur 36 Landsmännern und -frauen in Cottbus. Als Menschen mit junger Migrationsgeschichte bezeichnet sich der 51-Jährige gern, weil er trotz seines nicht mehr ganz geringen Lebensalters erst seit Mitte 2017 in die Lausitz eingewandert ist. Der Liebe wegen, sagt der renommierte Demografie-Forscher. Nach jahrelanger Fernbeziehung mit heftigem Pendeln zwischen Wien und Berlin habe sich die Familie nach einem gemeinsamen Nest gesehnt. Und das ließ sich offenbar in Deutschland eher finden als in Österreich.
Gustav Lebhart ist in Niederösterreich aufgewachsen, rund 100 Kilometer westlich von Wien. Das Abitur hat er an der Theresianischen Militärakademie abgelegt, einer Ausbildungsstätte für Offiziere. Statt mit dem Militär hat er sich dann doch lieber mit Zahlen und Statistiken beschäftigt, ist Demograf geworden und fand mit seiner Diplomarbeit zur Einbürgerungspolitik in Wien Beachtung im fernen Berlin er konnte 2001 an der Humboldt-Universität promovieren.
Beruflich hatte er fortan in Wien und Salzburg zu tun, arbeitete als Demograf und Migrationsforscher. So konnte er ein Bevölkerungsregister für ganz Österreich aufbauen, mit dem sich eine Migrationsstatistik bis hinunter auf Hausnummernebene erstellen lässt. Wenn es gelingt, Staatsangehörigkeiten und Geburtsland zusammenzuführen, dann hilft das ungemein, um Migrationsprozesse nachzuvollziehen, sagt Lebhart. Beruflich also fand er ein spannendes Betätigungsfeld in Österreich, privat allerdings war er weiterhin in Berlin verankert. Seine Frau, eine gebürtige Cottbuserin, lebte dort mit den beiden gemeinsamen Söhnen.
Irgendwann wollten wir uns tatsächlich ein Nest, eine gemeinsame Basis schaffen, erzählt Lebhart. Beide Ehepartner begannen also, Bewerbungen zu schreiben gerade zu einer Zeit, als in Cottbus ein IT-Stratege gesucht wurde. Lebhart erhielt den Zuschlag für die Aufgabe als CIO der Stadt, die Familie zog nach Cottbus. Und der Migrant aus Österreich musste lernen, dass nicht hinter jeder als seltsam empfundenen Regelung gleich eine Diskriminierung stecken muss. Ich selbst habe mich zum Beispiel sehr gewundert, dass ich meine Gehaltsnachweise von den letzten sechs Monaten vorlegen musste, bevor ich eine Wohnung mieten konnte, erinnert er sich. Dabei hätte doch auch die Vorlage eines gültigen Arbeitsvertrages gereicht. Als seine Frau ihn aufklärte, dass das mit den Gehaltsnachweisen in Deutschland übliche Praxis ist, fühlte er sich besser. Nicht mehr so fremd.
Es sind Erfahrungen wie diese, die er einbringen möchte in seine Arbeit als Leiter des neuen Migrationsbeirates der Stadt. Wir müssen den Diskurs versachlichen, das Thema wird viel zu oft emotional überfrachtet, sagt Lebhart. Neben den Ursachen für Migration will er definiert wissen, wann ein Zuwanderungsprozess endet. Mit der Übernahme einer neuen Staatsbürgerschaft? Es geht uns im Beirat darum, eine Brücke zu bilden und auch die Ängste der Aufnahmegesellschaft zu verstehen. Wenn eine Gesellschaft den Zuwanderern die Chance gäbe, hier ein neues Leben zu beginnen, dann müssten diese auch die hiesigen Regeln und die deutsche Rechtsprechung akzeptieren.
Mit meiner Arbeit im Beirat will ich Cottbus gern etwas zurückgeben, erklärt der Mann aus Österreich. Die Stadt habe so eine hohe Lebensqualität, mit Staatstheater und Kleinkunstbühne, fast auch mit einer Art Kaffeehauskultur. Da wundert es mich, wie schlecht der Ruf der Stadt ist.
Für ihn, den Demografen, liegt die Zukunft ohnehin in den mittelgroßen Städten. Hier begegnen sich die Menschen regelmäßig, treten in Beziehung zueinander, gehen vertraulicher miteinander um als etwa in Berlin oder Wien.
Dass das Leben in der Provinz nicht angestaubt wirken muss, dafür sorgt schon Lebharts Aufgabe als Chefinformatiker der Stadt: Er will in Cottbus in den nächsten fünf Jahren eine der modernsten Verwaltungen einführen. Wir denken darüber nach, für jeden Bürger ein eigenes Bürgerkonto einzuführen, ähnlich wie bei Internetkaufhäusern. Man könnte sein Strafmandat online bezahlen, den Pass beantragen, Gebühren entrichten, alles rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche, mit diesem einen Konto.
Die Einführung einer elektronischen Bürgerakte, die Abschaffung von Telefonen, all das steht auf Lebharts Agenda. Ein Leuchtturm der Digitalisierung soll Cottbus werden. Eine Pionieraufgabe, die den Österreicher reizt. An das Leben in der Lausitz hat er sich längst gewöhnt. Ich wurde sehr freundlich aufgenommen. Nur die Berge, die vermisst er. Und beim Wiener Schnitzel in den hiesigen Restaurants, da gibt es noch deutlich Luft nach oben.