Wären nicht die acht bis zehn Lkw, die jeden Freitagmorgen feinste Kunella-Speiseöle, Salatcreme und Mayonnaise, Knoblauch- und Meerretticherzeugnisse und Ketchup abholen, es würde wohl kaum auffallen, dass sich mitten im Wohngebiet in Cottbus-Ströbitz noch ein innerstädtischer Produktionsbetrieb befindet. Wir verkaufen gut drei Millionen Artikel pro Jahr. Die Rohstoffe und Zutaten dafür müssen alle einmal abgeladen und die fertigen Produkte wieder aufgeladen werden, sagt Lothar Parnitzke.
Seit 54 Jahren im Feinkost- und Ölgeschäft
Mehr als ein halbes Jahrhundert ist der Cottbuser schon mit Kunella verbunden. Seit 1991 ist er Inhaber und Geschäftsführer der Kunella Feinkost GmbH, Cottbus. Der Produktionsbetrieb ist der letzte seiner Art im Stadtgebiet. 38 Beschäftigten gibt er Lohn und Brot. Viele davon können zu Fuß, mit dem Fahrrad oder der Straßenbahn zur Arbeit kommen. Auch das hat Seltenheitswert. Ganz anders als ein Regal Kunella-Leinöl und Mayonnaise in einem Einkaufstempel in Hongkong. Die Traditionsmarke Kunella erobert inzwischen den Weltmarkt. Obwohl oder gerade weil sie Geschichte hat. Die Marke ist etwas, das bleibt, so wie das alte Betriebsgebäude, ein markanter roter Klinkerbau aus der Gründerzeit.
Zum Jubiläum feiert der Chef seine Mitarbeiter
Das 1894 von Ludwig Kunert und seiner Frau Anna zunächst mit einem Buttergeschäft gegründete Unternehmen hat das Kaiserreich, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und die DDR überlebt. In diesem Jahr, dem 125. seines Bestehen und dem 30. Jahr des Behauptens in der sozialen Marktwirtschaft hat der Betrieb den besten Umsatz seiner Geschichte eingefahren. Der Mann, der daran einen entscheidenden Anteil hat, Lothar Parnitzke, mag sich nicht in den Mittelpunkt stellen. Er hat zum Firmenjubiläum in der Alten Chemiefabrik in Cottbus lieber seine Mitarbeiter gefeiert. Denn sie haben und pflegen eine ganz besondere Qualität: Kollegialen Zusammenhalt, Loyalität und verlässlicher Einsatz für ihren Betrieb. Das kommt vor allem noch aus der alten Schule, auf die Parnitzke immer bauen konnte und kann. Er hat sie mit geprägt, als er im Januar 1974 mit erst 25 Jahren die Leitung des Cottbuser Betriebes VEB Feinkost übertragen bekam. Nun prägt er die nachwachsende Generation. Auch sie ist angehalten, sich diese Qualität zu eigen zu machen. Das klappt, wie Parnitzke zufrieden berichten kann.
Gute Arbeitsbedingungen schaffen Zufriedenheit
Zufriedenheit. Die erreicht der Kunella-Chef dann, wenn es allen gut geht. Dafür streckt sich der Chef seit er für alle denken kann und muss. Gerade mal 15 Jahre alt sei er gewesen, als er im Juli 1963 nach 14 Tagen Ferienarbeit in dem damals noch privaten Betrieb Gebrüder Kunert von den kinderlosen Unternehmern gefragt wurde, ob er nicht bleiben wolle, um das Unternehmen später weiterzuführen, schildert Parnitzke und erinnert: In meinem jugendlichen Leichtsinn hatte ich die Vision, im weißen Kittel über den Hof zu gehen und mir gesagt: Das kannst Du schaffen.
Frühzeitig Verantwortung übernommen
Das mit dem weißen Kittel ist durchaus so eingetreten. Etwas später: Nach der Ausbildung zum Industrie-Kaufmann mit Sondergenehmigung vom Rat des Bezirkes, denn damals durften nur Mädchen diesen Beruf erlernen, 18 Monaten Armeedienst und Studium der Lebensmitteltechnik an der Ingenieurschule in Gerwisch bei Magdeburg. Als ich zurückkam, war der Betrieb schon VEB. Parnitzke wurde vom Fleck weg zum Leiter Produktion und Technik und stellvertretender Betriebsdirektor ernannt und schon im Januar 1974 Chef fürs Ganze. 60 Mitarbeiter hatte der Betrieb damals. Sie stellten Mayonnaise, Öle und Harzer Käse her.
Besonderes Verständnis von Unternehmertum
Heute hat das Unternehmen 38 Mitarbeiter. Sie arbeiten im Zwei-Schicht-Betrieb, denn die Produkte von Kunella sind begehrt in ganz Deutschland, Westeuropa, Südamerika und Asien. Wir haben eine kontinuierliche Auslastung. So etwas kommt nicht von heute auf morgen. Das ist jahrelange Arbeit und Erfahrung und mancher Messe-Besuch, vor allem im Ausland, sagt Parnitzke. Wer ihn kennt weiß, die ihm eigene Bodenständigkeit und sein ganz eigenes, soziales Verständnis von Unternehmertum tragen ein Übriges zum Erfolg der Marke Kunella bei.
Nicht zimperlich oft selbst mit angepackt
Bis heute packt der Kunella-Chef selbst an an der Abfüllanlage oder Verpackungsmaschine mit an, wenn es sein muss. Deshalb weiß er auch, dass die Arbeit körperlich fordert und zollt jedem Mitarbeiter dafür Respekt. Die Hände schmutzig gemacht hat er sich für seinen Betrieb freilich schon oft und zur Genüge. Angefangen hat es in den 1970er-Jahren nach einem Brand im Betriebsgelände, der ein Leergutlager zerstörte und Lothar Parnitzke beschloss, mit dem Wiederaufbau eine grundlegende Modernisierung und Erweiterung des Betriebes einzuleiten.
Dafür legt er gemeinsam mit den Mitarbeitern und Freunden auch nach Feierabend und an den Wochenenden mit Hand an und half einzubauen, was er unter der Woche im Land ranorganisiert hatte. Denn das wusste und konnte er schon immer: Man muss sich kümmern.
Vertrauen gegen Vertrauen
So besorgte Parnitzke Baumaterial, das es nicht gab. Kartonagen, die nicht zu bekommen waren, Thermofenster und manches mehr. Und er musste unterschreiben, keine offiziellen Baukontingente in Anspruch zu nehmen. Das tat er auch nicht. Sein Generaldirektor habe darauf vertraut. Herr Parnitzke, hat er immer gesagt, das, was ich ihnen genehmigt habe, hätte ich keinem anderen genehmigt. Weil ich wusste, Sie bringen das zu Ende, erzählt der Kunella-Chef und sagt: Ein Bau angefangen ist schnell. Entscheidend ist, ihn zu vollenden.Gut fünfzehn Jahre haben Kunella-Mitarbeiter und Freunde in Feierabendarbeit dafür mit Hand angelegt. Sie haben den Hof betoniert und kanalisiert, neue, größere Produktionshallen gebaut, Gruben für zehn Öltanks gegraben, Böden gefliest alles, was man selber machen konnte, in die Hand genommen.
Gemeinsames Bauen hat zusammengeschweißt
Ein Team dafür begeistern und zusammenhalten, noch dazu über so eine lange Zeit, das wäre heute wohl kaum drin. Aber wir hätten ohne dies Baumaßnahmen und Investitionen in Technik, die schon damals zum Teil aus dem NSW kam, aus dem nicht sozialistischen Wirtschaftsgebiet, die Wende nicht überlebt, schildert Parnitzke. Es war schwere Arbeit, aber es hat auch Spaß gemacht und zusammengeschweißt. Auf die Truppe war und ist immer Verlass. Die meisten sind heute schon im Ruhestand. Viele Mitarbeiter, die in Rente sind, hatten in ihrem Leben nur einen Arbeitsplatz, hier bei Kunella. Trotz Privatisierung und schwierigen Zeiten nach der Wende habe er immer pünktlich Lohn gezahlt, betont Parnitzke. Dabei haben wir bis 1995 keinen Gewinn gemacht und jeden Pfennig, der übrig blieb in den Betrieb gesteckt.
Trotz schwieriger Zeiten keinen Tag arbeitslos
Die Wende von der Plan- in die Marktwirtschaft haben Parnitzke und sein eingeschworenes Team in Bezug auf die Privatisierung binnen sechs Wochen geschafft. Den dann folgenden, so niemals erwarteten, steinigen, zähen Weg in die Supermarkt-Regale, den Großhandel und vor allem in die Gewinnzone hätten sie wohl ohne ihre Vorgeschichte nur schwerlich überstanden, wie der Kunella-Chef einschätzt. Auch ihn hat die Vorgeschichte geprägt. Da habe ich gelernt zu leiten und Stress auszuhalten, sagt er.
Treuhand-Chef überzeugt auch ohne Konzept
So hat Lothar Parnitzke auch in den Wendewirren kühlen Kopf bewahrt und schnell an der richtige Tür geklopft; beim damaligen Chef der Cottbuser Treuhand-Niederlassung Günther Lühmann. Ich hatte gar kein Konzept, ich habe nur geredet, schildert Parnitzke. Denn eines sei ihm klar gewesen:. Ich musste schnell sein, bevor andere munter werden. Das hat geklappt. Im Februar 1991 hatte ich meinen ersten Termin beim Treuhand-Chef in Cottbus. Sechs Wochen später war der Betrieb privatisiert. Wenn er heute mit ihm darüber rede, sage Lühmann immer: Sie haben mich überzeugt.
Millionen investiert, auch im Energiesektor
Mehrere Millionen hat Parnitzke seitdem in seinen Betrieb investiert. Anfangs ohne Fördermittel, nur mit Unterstützung von Geschäftspartnern, die Verständnis aufbrachten und uns halfen, die schwierigen Zeiten zu überstehen, ohne dass sie Anteile am Unternehmen besaßen. Auch in den Energiesektor sind Investitionen geflossen. Im Ergebnis konnten wir 30 Prozent der Energiekosten einsparen.
Ich brauche keine Villa und kein Boot
Bis heute halte er es so, dass er alles, was übrig ist, in das Unternehmen steckt. Ich habe keine Villa. Auch kein Boot. So etwas brauche ich nicht, scherzt Lothar Parnitzke beim Rundgang durch seinen Betrieb. Mit einem zufriedenen Lächeln zeigt er auf Abfüll- und Verpackungsanlagen und sagt: Das hier sind meine Schätzchen und die Mitarbeiter, auf die ich mich jederzeit verlassen kann.
Die nächsten Schritte sind schon eingeleitet
Das lässt fast keine Fragen mehr offen zum Geheimnis der Langlebigkeit eines für gesundes Leinöl bekannten Lausitzer Unternehmens und seines 70-jährigen Chefs. Nur eine noch: Würde er es noch einmal tun? Heute? Mit dem Umfeld?, fragt Parnitzke zurück und antwortet: Ganz schwierige Frage. Man muss gesund sein. Und Mitarbeiter haben, die engagiert sind, und denen man vertrauen kann. Für ihn stellt sich die Frage nicht. Er treibt die nächsten Schritte voran. Darunter die Investition in zwei weitere Endverpackungsanlagen für das Ölsortiment von Kunella. Die haben eine Kreditrückzahlung von sieben Jahren, sagt Lothar Parnitzke und fügt beinahe beiläufig an: So lange werde ich also mindestens noch da sein.
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